INHALT
§
Gedanken
über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst
§
Sendschreiben
über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
Bildhauerkunst
§
Erläuterung
der Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
Bildhauerkunst; und Beantwortung des Sendschreibens über diese Gedanken
Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der
Malerei und Bildhauerkunst.
Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr
durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem griechischen
Himmel zu bilden. Alle Erfindungen fremder Völker kamen gleichsam nur als der
erste Same nach Griechenland, und nahmen eine andere Natur und Gestalt an in
dem Lande, welches Minerva, sagt man, vor allen Ländern, wegen der gemäßigten
Jahreszeiten, die sie hier angetroffen, den Griechen zur Wohnung angewiesen,
als ein Land welches kluge Köpfe hervorbringen würde.
Der Geschmack, den diese Nation ihren Werken
gegeben hat, ist ihr eigen geblieben; er hat sich selten weit von Griechenland
entfernet, ohne etwas zu verlieren, und unter entlegenen Himmelstrichen ist er
spät bekannt geworden. Er war ohne Zweifel ganz und gar fremde unter einem
nordischen Himmel, zu der Zeit, da die beiden Künste, deren große Lehrer die
Griechen sind, wenig Verehrer fanden; zu der Zeit, da die verehrungswürdigsten
Stücke des Correggio im königlichen Stalle zu Stockholm vor die Fenster, zu
Bedeckung derselben, gehänget waren.
Und man muß gestehen, daß die Regierung des großen
Augusts der eigentliche glückliche Zeitpunkt ist, in welchem die Künste, als
eine fremde Kolonie, in Sachsen eingeführet worden. Unter seinem Nachfolger,
dem deutschen Titus, sind dieselben diesem Lande eigen worden, und durch sie
wird der gute Geschmack allgemeine.
Es ist ein ewiges Denkmal der Größe dieses
Monarchen, daß zu Bildung des guten Geschmacks die größten Schätze aus Italien,
und was sonst Vollkommenes in der Malerei in andern Ländern hervorgebracht
worden vor den Augen aller Welt aufgestellet sind. Sein Eifer, die Künste zu
verewigen, hat endlich nicht geruhet, bis wahrhafte untrügliche Werke griechischer
Meister, und zwar vom ersten Range, den Künstlern zur Nachahmung sind gegeben
worden.
Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet:
glücklich ist, wer sie findet und schmecket. Diese Quellen suchen, heißt nach
Athen reisen; und Dresden wird nunmehro Athen für Künstler.
Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich
ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom
Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen
gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen. Man
muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon
ebenso unnachahmlich als den Homer zu finden. In solcher genauen Bekanntschaft
wird man wie Nikomachos von der Helena des Zeuxis urteilen: »Nimm meine Augen«,
sagte er zu einen Unwissenden, der das Bild tadeln wollte, »so wird sie dir
eine Göttin scheinen.«
Mit diesem Auge haben Michelangelo, Raffael und
Poussin die Werke der Alten angesehen. Sie haben den guten Geschmack aus seiner
Quelle geschöpfet, und Raffael in dem Lande selbst, wo er sich gebildet. Man
weiß, daß er junge Leute nach Griechenland geschicket, die Überbleibsel des
Altertums für ihn zu zeichnen.
Eine Bildsäule von einer alten römischen Hand wird
sich gegen ein griechisches Urbild allemal verhalten, wie Vergils Dido in ihrem
Gefolge mit der Diana unter ihren Oreaden verglichen, sich gegen Homers
Nausikaa verhält, welche jener nachzuahmen gesuchet hat.
Laokoon war den Künstlern im alten Rom ebendas, was
er uns ist; des Polyklets Regel; eine vollkommene Regel der Kunst.
Ich habe nicht nötig anzuführen, daß sich in den berühmtesten Werken der griechischen Künstler gewisse Nachlässigkeiten finden: der Delphin, welcher der Mediceischen Venus zugegeben ist, nebst den spielenden Kindern; die Arbeit des Dioskurides außer der Hauptfigur in seinem geschnittenen Diomedes mit dem Palladio, sind Beispiele davon. Man weiß, daß die Arbeit der Rückseite auf den schönsten Münzen der ägyptischen und syrischen Könige den Köpfen dieser Könige selten beikommt. Große Künstler sind auch in ihren Nachlässigkeiten weise, sie können nicht fehlen, ohne zugleich zu unterrichten. Man betrachte ihre Werke, wie Lukian den Jupiter des Phidias will betrachtet haben; den Jupiter selbst, nicht den Schemel seiner Füße.
Die Kenner und Nachahmer der griechischen Werke
finden in ihren Meisterstücken nicht allein die schönste Natur, sondern noch
mehr als Natur, das ist, gewisse idealische Schönheiten derselben, die, wie uns
ein alter Ausleger des Plato lehret, von Bildern bloß im Verstande entworfen,
gemacht sind.
Der schönste Körper unter uns wäre vielleicht dem
schönsten griechischen Körper nicht ähnlicher, als Iphikles dem Herkules,
seinem Bruder, war. Der Einfluß eines sanften und reinen Himmels würkte bei der
ersten Bildung der Griechen, die frühzeitigen Leibesübungen aber gaben dieser
Bildung die edle Form. Man nehme einen jungen Spartaner, den ein Held mit einer
Heldin gezeuget, der in der Kindheit niemals in Windeln eingeschränkt gewesen,
der von dem siebenden Jahre an auf der Erde geschlafen, und im Ringen und
Schwimmen von Kindesbeinen an war geübet worden. Man stelle ihn neben einen
jungen Sybariten unserer Zeit, und alsdenn urteile man, welchen von beiden der
Künstler zu einem Urbilde eines jungen Theseus, eines Achilles, ja selbst eines
Bacchus, nehmen würde. Nach diesem gebildet, würde es ein Theseus bei Rosen,
und nach jenem gebildet, ein Theseus bei Fleisch erzogen, werden, wie ein
griechischer Maler von zwo verschiedenen Vorstellungen dieses Helden urteilete.
Zu den Leibesübungen waren die großen Spiele allen
jungen Griechen ein kräftiger Sporn, und die Gesetze verlangeten eine
zehenmonatliche Vorbereitung zu den Olympischen Spielen, und dieses in Elis, an
dem Orte selbst, wo sie gehalten wurden. Die größten Preise erhielten nicht
allezeit Männer, sondern mehrenteils junge Leute, wie Pindars Oden zeigen. Dem
göttlichen Diagoras gleich zu werden, war der höchste Wunsch der Jugend.
Sehet den schnellen Indianer an, der einem Hirsche
zu Fuße nachsetzet: wie flüchtig werden seine Säfte, wie biegsam und schnell
werden seine Nerven und Muskeln, und wie leicht wird der ganze Bau des Körpers
gemacht. So bildet uns Homer seine Helden, und seinen Achilles bezeichnet er
vorzüglich durch die Geschwindigkeit seiner Füße.
Die Körper erhielten durch diese Übungen den großen
und männlichen Kontur, welchen die griechischen Meister ihren Bildsäulen
gegeben, ohne Dunst und überflüssigen Ansatz. Die jungen Spartaner mußten sich
alle zehen Tage vor den Ephoren nackend zeigen, die denjenigen, welche anfingen
fett zu werden, eine strengere Diät auflegten. Ja es war eins unter den
Gesetzen des Pythagoras, sich vor allen überflüssigen Ansatz des Körpers zu
hüten. Es geschahe vielleicht aus ebendem Grunde, daß jungen Leuten unter den
Griechen der ältesten Zeiten, die sich zu einem Wettkampf im Ringen angaben,
während der Zeit der Vorübungen nur Milchspeise zugelassen war.
Aller Übelstand des Körpers wurde behutsam
vermieden, und da Alkibiades in seiner Jugend die Flöte nicht wollte blasen
lernen, weil sie das Gesicht verstellete, so folgeten die jungen Athenienser
seinem Beispiele.
Nach dem war der ganze Anzug der Griechen so
beschaffen, daß er der bildenden Natur nicht den geringsten Zwang antat. Der
Wachstum der schönen Form litte nichts durch die verschiedenen Arten und Teile
unserer heutigen pressenden und klemmenden Kleidung, sonderlich am Halse, an
Hüften und Schenkeln. Das schöne Geschlecht selbst unter den Griechen wußte von
keinem ängstlichen Zwange in ihrem Putze: Die jungen Spartanerinnen waren so
leicht und kurz bekleidet, daß man sie daher Hüftzeigerinnen nannte.
Es ist auch bekannt, wie sorgfältig die Griechen
waren, schöne Kinder zu zeugen. Quillet in seiner Callipädie zeiget nicht so
viel Wege dazu, als unter ihnen üblich waren. Sie gingen sogar so weit, daß sie
aus blauen Augen schwarze zu machen suchten. Auch zu Beförderung dieser Absicht
errichtete man Wettspiele der Schönheit. Sie wurden in Elis gehalten: der Preis
bestand in Waffen, die in den Tempel der Minerva aufgehänget wurden. An
gründlichen und gelehrten Richtern konnte es in diesen Spielen nicht fehlen, da
die Griechen, wie Aristoteles berichtet, ihre Kinder im Zeichnen unterrichten
ließen, vornehmlich weil sie glaubten, daß es geschickter mache, die Schönheit
in den Körpern zu betrachten und zu beurteilen.
Das schöne Geblüt der Einwohner der mehresten
griechischen Inseln, welches gleichwohl mit so verschiedenen fremden Geblüte
vermischet ist, und die vorzüglichen Reizungen des schönen Geschlechts daselbst,
sonderlich auf der Insel Skios, geben zugleich eine gegründete Mutmaßung von
den Schönheiten beiderlei Geschlechts unter ihren Vorfahren, die sich rühmeten,
ursprünglich, ja älter als der Mond zu sein.
Es sind ja noch itzo ganze Völker, bei welchen die
Schönheit sogar kein Vorzug ist, weil alles schön ist. Die Reisebeschreiber
sagen dieses einhellig von den Georgiern, und ebendieses berichtet man von den
Kabardinski, einer Nation in der krimischen Tatarei.
Die Krankheiten, welche so viel Schönheiten
zerstören, und die edelsten Bildungen verderben, waren den Griechen noch
unbekannt. Es findet sich in den Schriften der griechischen Ärzte keine Spur
von Blattern, und in keines Griechen angezeigter Bildung, welche man beim Homer
oft nach den geringsten Zügen entworfen siehet, ist ein so unterschiedenes
Kennzeichen, dergleichen Blattergruben sind, angebracht worden.
Die venerischen Übel, und die Tochter derselben,
die englische Krankheit, wüteten auch noch nicht wider die schöne Natur der
Griechen.
Überhaupt war alles, was von der Geburt bis zur
Fülle des Wachstums zur Bildung der Körper, zur Bewahrung, zur Ausarbeitung und
zur Zierde dieser Bildung durch Natur und Kunst eingeflößet und gelehret
worden, zum Vorteil der schönen Natur der alten Griechen gewürkt und
angewendet, und kann die vorzügliche Schönheit ihrer Körper vor den unsrigen
mit der größten Wahrscheinlichkeit zu behaupten Anlaß geben.
Die vollkommensten Geschöpfe der Natur aber würden
in einem Lande, wo die Natur in vielen ihrer Wirkungen durch strenge Gesetze
gehemmet war, wie in Ägypten, dem vorgegebenen Vaterlande der Künste und
Wissenschaften, den Künstlern nur zum Teil und unvollkommen bekanntgeworden
sein. In Griechenland aber, wo man sich der Lust und Freude von Jugend auf
weihete, wo ein gewisser heutiger bürgerlicher Wohlstand der Freiheit der
Sitten niemals Eintrag getan, da zeigte sich die schöne Natur unverhüllet zum
großen Unterrichte der Künstler.
Die Schule der Künstler war in den Gymnasien, wo
die jungen Leute, welche die öffentliche Schamhaftigkeit bedeckte, ganz nackend
ihre Leibesübungen trieben. Der Weise, der Künstler gingen dahin: Sokrates den
Charmides, den Autolykos, den Lysis zu lehren; ein Phidias, aus diesen schönen
Geschöpfen seine Kunst zu bereichern. Man lernete daselbst Bewegungen der
Muskeln, Wendungen des Körpers: man studierte die Umrisse der Körper, oder den
Kontur an dem Abdrucke, den die jungen Ringer im Sande gemacht hatten.
Das schönste Nackende der Körper zeigte sich hier
in so mannigfaltigen, wahrhaften und edlen Ständen und Stellungen, in die ein
gedungenes Modell, welches in unseren Akademien aufgestellet wird, nicht zu
setzen ist.
Die innere Empfindung bildet den Charakter der
Wahrheit, und der Zeichner, welcher seinen Akademien denselben geben will, wird
nicht einen Schatten des Wahren erhalten, ohne eigene Ersetzung desjenigen, was
eine ungerührte und gleichgültige Seele des Modells nicht empfindet, noch durch
eine Aktion, die einer gewissen Empfindung oder Leidenschaft eigen ist,
ausdrücken kann.
Der Eingang zu vielen Gesprächen des Plato, die er
in den Gymnasien zu Athen ihren Anfang nehmen lassen, machet uns ein Bild von
den edlen Seelen der Jugend, und lässet uns auch hieraus auf gleichförmige
Handlungen und Stellungen an diesen Orten und in ihren Leibesübungen schließen.
Die schönsten jungen Leute tanzten unbekleidet auf
dem Theater, und Sophokles, der große Sophokles, war der erste, der in seiner
Jugend dieses Schauspiel seinen Bürgern machte. Phryne badete sich in den
Eleusinischen Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beim Heraussteigen
aus dem Wasser den Künstlern das Urbild einer Venus Anadyomene; und man weiß,
daß die jungen Mädchen in Sparta an einem gewissen Feste ganz nackend vor den
Augen der jungen Leute tanzten. Was hier fremde scheinen könnte, wird
erträglicher werden, wenn man bedenket, daß auch die Christen der ersten Kirche
ohne die geringste Verhüllung, sowohl Männer als Weiber, zu gleicher Zeit und
in einem und ebendemselben Taufsteine getauft, oder untergetaucht worden sind.
Also war auch ein jedes Fest bei den Griechen eine
Gelegenheit für Künstler, sich mit der schönen Natur aufs genaueste
bekanntzumachen.
Die Menschlichkeit der Griechen hatte in ihrer
blühenden Freiheit keine blutigen Schauspiele einführen wollen, oder wenn
dergleichen in dem Ionischen Asien, wie einige glauben, üblich gewesen, so
waren sie seit geraumer Zeit wiederum eingestellet. Antiochos Epiphanes, König
in Syrien, verschrieb Fechter von Rom, und ließ den Griechen Schauspiele dieser
unglücklichen Menschen sehen, die ihnen anfänglich ein Abscheu waren: mit der
Zeit verlor sich das menschliche Gefühl, und auch diese Schauspiele wurden
Schulen der Künstler. Ein Kresilas studierte hier seinen sterbenden Fechter,
»an welchem man sehen konnte, wieviel von seiner Seele noch in ihm übrig war.«
Diese häufigen Gelegenheiten zur Beobachtung der
Natur veranlasseten die griechischen Künstler noch weiter zu gehen: sie fingen
an, sich gewisse allgemeine Begriffe von Schönheiten sowohl einzelner Teile als
ganze Verhältnisse der Körper zu bilden, die sich über die Natur selbst erheben
sollten; ihr Urbild war eine bloß im Verstande entworfene geistige Natur.
So bildete Raffael seine Galatea. Man sehe seinen
Brief an den Grafen Baldassare Castiglione: »Da die Schönheiten«, schreibt er,
»unter dem Frauenzimmer so selten sind, so bediene ich mich einer gewissen Idee
in meiner Einbildung.«
Nach solchen über die gewöhnliche Form der Materie
erhabenen Begriffen bildeten die Griechen Götter und Menschen. An Göttern und
Göttinnen machte Stirn und Nase beinahe eine gerade Linie. Die Köpfe berühmter
Frauen auf griechischen Münzen haben dergleichen Profil, wo es gleichwohl nicht
willkürlich war, nach idealischen Begriffen zu arbeiten. Oder man könnte mutmaßen,
daß diese Bildung den alten Griechen ebenso eigen gewesen, als es bei den
Kalmücken die flachen Nasen, bei den Chinesen die kleinen Augen sind. Die
großen Augen der griechischen Köpfe auf Steinen und Münzen könnten diese
Mutmaßung unterstützen.
Die römischen Kaiserinnen wurden von den Griechen
auf ihren Münzen nach eben diesen Ideen gebildet: der Kopf einer Livia und
einer Agrippina hat ebendasselbe Profil, welches der Kopf einer Artemisia und
einer Kleopatra hat.
Bei allen diesen bemerket man, daß das von den
Thebanern ihren Künstlern vorgeschriebene Gesetz; »die Natur bei Strafe aufs
beste nachzuahmen« auch von andern Künstlern in Griechenland als ein Gesetz
beobachtet worden. Wo das sanfte griechische Profil ohne Nachteil der Ähnlichkeit
nicht anzubringen war, folgeten sie der Wahrheit der Natur, wie an den schönen
Kopf der Julia, Kaisers Titus Tochter, von der Hand des Euodos zu sehen ist.
Das Gesetz aber, »die Personen ähnlich und zu
gleicher Zeit schöner zu machen«, war allezeit das höchste Gesetz, welches die griechischen
Künstler über sich erkannten, und setzet notwendig eine Absicht des Meisters
auf eine schönere und vollkommenere Natur voraus. Polygnotos hat dasselbe
beständig beobachtet.
Wenn also von einigen Künstlern berichtet wird, daß
sie wie Praxiteles verfahren, welcher seine Knidische Venus nach seiner
Beischläferin Kratina gebildet, oder wie andere Maler, welche die Lais zum
Modell der Grazien genommen, so glaube ich, sei es geschehen, ohne Abweichung
von gemeldeten allgemeinen großen Gesetzen der Kunst. Die sinnliche Schönheit
gab dem Künstler die schöne Natur; die idealische Schönheit die erhabenen Züge:
von jener nahm er das Menschliche, von dieser das Göttliche.
Hat jemand Erleuchtung genug, in das Innerste der
Kunst hineinzuschauen, so wird er durch Vergleichung des ganzen übrigen Baues
der griechischen Figuren mit den mehresten neuen, sonderlich in welchen man
mehr der Natur, als dem alten Geschmacke gefolget ist, vielmals noch wenig
entdeckte Schönheiten finden.
In den meisten Figuren neuerer Meister siehet man
an den Teilen des Körpers, welche gedruckt sind, kleine gar zu sehr bezeichnete
Falten der Haut; dahingegen, wo sich ebendieselben Falten in gleichgedruckten
Teilen griechischer Figuren legen, ein sanfter Schwung eine aus der andern wellenförmig
erhebt, dergestalt, daß diese Falten nur ein Ganzes, und zusammen nur einen
edlen Druck zu machen scheinen. Diese Meisterstücke zeigen uns eine Haut, die
nicht angespannet, sondern sanft gezogen ist über ein gesundes Fleisch, welches
dieselbe ohne schwülstige Ausdehnung füllet, und bei allen Beugungen der
fleischigten Teile der Richtung derselben vereinigt folget. Die Haut wirft
niemals, wie an unsern Körpern, besondere und von dem Fleisch getrennete kleine
Falten.
Ebenso unterscheiden sich die neuern Werke von den
griechischen durch eine Menge kleiner Eindrücke, und durch gar zu viele und gar
zu sinnlich gemachte Grübchen, welche, wo sie sich in den Werken der Alten
befinden, mit einer sparsamen Weisheit, nach der Maße derselben in der
vollkommenern und völligern Natur unter den Griechen, sanft angedeutet, und
öfters nur durch ein gelehrtes Gefühl bemerket werden.
Es bietet sich hier allezeit die Wahrscheinlichkeit
von selbst dar, daß in der Bildung der schönen griechischen Körper, wie in den
Werken ihrer Meister, mehr Einheit des ganzen Baues, eine edlere Verbindung der
Teile, ein reicheres Maß der Fülle gewesen, ohne magere Spannungen und ohne
viel eingefallene Höhlungen unserer Körper.
Man kann weiter nicht, als bis zur
Wahrscheinlichkeit gehen. Es verdienet aber diese Wahrscheinlichkeit die
Aufmerksamkeit unserer Künstler und Kenner der Kunst; und dieses um so viel
mehr, da es notwendig ist, die Verehrung der Denkmale der Griechen von dem ihr
von vielen beigemessenen Vorurteile zu befreien, um nicht zu scheinen, der
Nachahmung derselben bloß durch den Moder der Zeit ein Verdienst beizulegen.
Dieser Punkt, über welchen die Stimmen der Künstler
geteilet sind, erfoderte eine ausführlichere Abhandlung, als in gegenwärtiger
Absicht geschehen können.
Man weiß, daß der große Bernini einer von denen
gewesen, die den Griechen den Vorzug einer teils schönern Natur, teils
idealischen Schönheit ihrer Figuren hat streitig machen wollen. Er war außerdem
der Meinung, daß die Natur allen ihren Teilen das erforderliche Schöne zu geben
wisse: die Kunst bestehe darin; es zu finden. Er hat sich gerühmet, ein
Vorurteil abgeleget zu haben, worin er in Ansehung des Reizes der Mediceischen
Venus anfänglich gewesen, den er jedoch nach einem mühsamen Studio bei verschiedenen
Gelegenheiten in der Natur wahrgenommen.
Also ist es die Venus gewesen, welche ihn
Schönheiten in der Natur entdecken gelehret, die er vorher allein in jener zu
finden geglaubet hat, und die er ohne der Venus nicht würde in der Natur
gesuchet haben. Folget nicht daraus, daß die Schönheit der griechischen Statuen
eher zu entdecken ist, als die Schönheit in der Natur, und daß also jene
rührender, nicht so sehr zerstreuet, sondern mehr in eins vereiniget, als es
diese ist? Das Studium der Natur muß also wenigstens ein längerer und
mühsamerer Weg zur Kenntnis des vollkommenen Schönen sein, als es das Studium
der Antiken ist: und Bernini hätte jungen Künstlern, die er allezeit auf das
Schönste in der Natur vorzüglich wies, nicht den kürzesten Weg dazu gezeiget.
Die Nachahmung des Schönen der Natur ist entweder
auf einen einzelnen Vorwurf gerichtet, oder sie sammlet die Bemerkungen aus
verschiedenen einzelnen, und bringet sie in eins. Jenes heißt eine ähnliche
Kopie, ein Porträt machen; es ist der Weg zu holländischen Formen und Figuren.
Dieses aber ist der Weg zum allgemeinen Schönen und zu idealischen Bildern
desselben; und derselbe ist es, den die Griechen genommen haben. Der
Unterschied aber zwischen ihnen und uns ist dieser: Die Griechen erlangeten
diese Bilder, wären auch dieselben nicht von schönern Körpern genommen gewesen,
durch eine tägliche Gelegenheit zur Beobachtung des Schönen der Natur, die sich
uns hingegen nicht alle Tage zeiget, und selten so, wie sie der Künstler
wünschet.
Unsere Natur wird nicht leicht einen so
vollkommenen Körper zeugen, dergleichen der Antinous Admirandus hat, und die
Idee wird sich über die mehr als menschlichen Verhältnisse einer schönen Gottheit
in dem Vatikanischen Apollo, nichts bilden können: was Natur, Geist und Kunst
hervorzubringen vermögend gewesen, lieget hier vor Augen.
Ich glaube, ihre Nachahmung könne lehren,
geschwinder klug zu werden, weil sie hier in dem einen den Inbegriff desjenigen
findet, was in der ganzen Natur ausgeteilet ist, und in dem andern, wie weit
die schönste Natur sich über sich selbst kühn, aber weislich erheben kann. Sie
wird lehren, mit Sicherheit zu denken und zu entwerfen, indem sie hier die
höchsten Grenzen des menschlich und zugleich des göttlich Schönen bestimmt
siehet.
Wenn der Künstler auf diesen Grund bauet, und sich
die griechische Regel der Schönheit Hand und Sinne führen lässet, so ist er auf
dem Wege, der ihn sicher zur Nachahmung der Natur führen wird. Die Begriffe des
Ganzen, des Vollkommenen in der Natur des Altertums werden die Begriffe des
Geteilten in unserer Natur bei ihm läutern und sinnlicher machen: er wird bei
Entdeckung der Schönheiten derselben diese mit dem vollkommenen Schönen zu
verbinden wissen, und durch Hülfe der ihm beständig gegenwärtigen erhabenen
Formen wird er sich selbst eine Regel werden.
Alsdenn und nicht eher kann er, sonderlich der
Maler, sich der Nachahmung der Natur überlassen in solchen Fällen, wo ihm die
Kunst verstattet von dem Marmor abzugehen, wie in Gewändern, und sich mehr
Freiheit zu geben, wie Poussin getan; denn »derjenige, welcher beständig andern
nachgehet, wird niemals voraus kommen, und welcher aus sich selbst nichts Gutes
zu machen weiß, wird sich auch der Sachen von anderen nicht gut bedienen«, wie
Michelangelo sagt.
Seelen, denen die Natur hold gewesen,
quibus arte benigna
Et meliore luto finxit praecordia Titan,
haben hier den Weg vor sich offen, Originale zu
werden.
In diesem Verstande ist es zu nehmen, wenn des
Piles berichten will, daß Raffael zu der Zeit, da ihn der Tod übereilet, sich
bestrebet habe, den Marmor zu verlassen, und der Natur gänzlich nachzugehen.
Der wahre Geschmack des Altertums würde ihn auch durch die gemeine Natur
hindurch beständig begleitet haben, und alle Bemerkungen in derselben würden
bei ihm durch eine Art einer chymischen Verwandlung dasjenige geworden sein,
was sein Wesen, seine Seele ausmachte.
Er würde vielleicht mehr Mannigfaltigkeit, größere
Gewänder, mehr Kolorit, mehr Licht und Schatten seinen Gemälden gegeben haben:
aber seine Figuren würden dennoch allezeit weniger schätzbar hierdurch, als
durch den edlen Kontur, und durch die erhabene Seele, die er aus Griechen hatte
bilden lernen, gewesen sein.
Nichts würde den Vorzug der Nachahmung der Alten
vor der Nachahmung der Natur deutlicher zeigen können, als wenn man zwei junge
Leute nähme von gleich schönem Talente, und den einen das Altertum, den andern
die bloße Natur studieren ließe. Dieser würde die Natur bilden, wie er sie
findet: als ein Italiener würde er Figuren malen vielleicht wie Caravaggio; als
ein Niederländer, wenn er glücklich ist, wie Jacob Jordaens: als ein Franzos,
wie Stella: jener aber würde die Natur bilden, wie sie es verlanget, und
Figuren malen, wie Raffael.
Könnte auch die Nachahmung der Natur dem Künstler
alles geben, so würde gewiß die Richtigkeit im Kontur durch sie nicht zu
erhalten sein; diese muß von den Griechen allein erlernet werden.
Der edelste Kontur vereiniget oder umschreibet alle
Teile der schönsten Natur und der idealischen Schönheiten in den Figuren der
Griechen; oder er ist vielmehr der höchste Begriff in beiden. Euphranor, der
nach des Zeuxis Zeiten sich hervortat, wird vor den ersten gehalten, der demselben
die erhabenere Manier gegeben.
Viele unter den neueren Künstlern haben den
griechischen Kontur nachzuahmen gesuchet, und fast niemanden ist es gelungen.
Der große Rubens ist weit entfernt von dem griechischen Umrisse der Körper, und
in denenjenigen unter seinen Werken, die er vor seiner Reise nach Italien, und
vor dem Studio der Antiken gemachet hat, am weitesten.
Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem
Überflüssigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die größten neueren
Meister sind über diese nicht allezeit greifliche Grenze auf beiden Seiten zu
sehr abgewichen. Derjenige, welcher einen ausgehungerten Kontur vermeiden
wollen, ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen, in das
Magere.
Michelangelo ist vielleicht der einzige, von dem
man sagen könnte, daß er das Altertum erreichet; aber nur in starken muskulösen
Figuren, in Körpern aus der Heldenzeit; nicht in zärtlich jugendlichen, nicht
in weiblichen Figuren, welche unter seiner Hand zu Amazonen geworden sind.
Der griechische Künstler hingegen hat seinen Kontur
in allen Figuren wie auf die Spitze eines Haars gesetzt, auch in den feinsten
und mühsamsten Arbeiten, dergleichen auf geschnittenen Steinen ist. Man
betrachte den Diomedes und den Perseus des Dioskurides; den Herkules mit der
Iole von der Hand des Teukers, und bewundere die hier unnachahmlichen Griechen.
Parrhasios wird insgemein vor den Stärksten im
Kontur gehalten.
Auch unter den Gewändern der griechischen Figuren
herrschet der meisterhafte Kontur, als die Hauptabsicht des Künstlers, der auch
durch den Marmor hindurch den schönen Bau seines Körpers wie durch ein koisches
Kleid zeiget.
Die im hohen Stile gearbeitete Agrippina, und die
drei Vestalen unter den Königlichen Antiken in Dresden, verdienen hier als
große Muster angeführet zu werden. Agrippina ist vermutlich nicht die Mutter
des Nero, sondern die ältere Agrippina, eine Gemahlin des Germanicus. Sie hat
sehr viel Ähnlichkeit mit einer vorgegebenen stehenden Statue ebendieser
Agrippina in dem Vorsaale der Bibliothek zu San Marco in Venedig. Unsere ist
eine sitzende Figur, größer als die Natur, mit gestütztem Haupte auf die rechte
Hand. Ihr schönes Gesicht zeiget eine Seele, die in tiefen Betrachtungen
versenkt, und vor Sorgen und Kummer gegen alle äußere Empfindungen fühllos
scheinet. Man könnte mutmaßen, der Künstler habe die Heldin in dem betrübten
Augenblick vorstellen wollen, da ihr die Verweisung nach der Insel Pandateria
war angekündiget worden.
Die drei Vestalen sind unter einem doppelten Titel
verehrungswürdig. Sie sind die ersten großen Entdeckungen von Herkulaneum:
allein was sie noch schätzbarer macht, ist die große Manier in ihren Gewändern.
In diesem Teile der Kunst sind sie alle drei, sonderlich aber diejenige, welche
größer ist als die Natur, der Farnesischen Flora und anderen griechischen
Werken vom ersten Range beizusetzen. Die zwo andern, groß wie die Natur, sind
einander so ähnlich, daß sie von einer und ebenderselben Hand zu sein scheinen;
sie unterscheiden sich allein durch die Köpfe, welche nicht von gleicher Güte
sind. An dem besten Kopfe liegen die gekräuselten Haare nach Art der Furchen
geteilt, von der Stirne an bis da wo sie hinten zusammengebunden sind. An dem
andern Kopfe gehen die Haare glatt über den Scheitel, und die vordere
gekräuselten Haare sind durch ein Band gesammlet und gebunden. Es ist
glaublich, daß dieser Kopf durch eine neuere wiewohl gute Hand gearbeitet und
angesetzt worden.
Das Haupt dieser beiden Figuren ist mit keinem
Schleier bedecket, welches ihnen aber den Titel der Vestalen nicht streitig
machet; da erweislich ist, daß sich auch anderwärts Priesterinnen der Vesta
ohne Schleier finden. Oder es scheinet vielmehr aus den starken Falten des
Gewandes hinten am Halse, daß der Schleier, welcher kein abgesondertes Teil vom
Gewande ist, wie an der größten Vestale zu sehen, hinten übergeschlagen liege.
Es verdienet der Welt bekanntgemacht zu werden, daß
diese drei göttlichen Stücke die ersten Spuren gezeiget zur nachfolgenden
Entdeckung der unterirdischen Schätze von der Stadt Herkulaneum.
Sie kamen an das Tagelicht, da annoch das Andenken
derselben gleichsam unter der Vergessenheit, so wie die Stadt selbst, unter
ihren eigenen Ruinen vergraben und verschüttet lag: zu der Zeit, da das
traurige Schicksal, welches diesen Ort betroffen, nur fast noch allein durch
des jüngern Plinius Nachricht von dem Ende seines Vetters, welches ihn in der
Verwüstung von Herkulaneum zugleich mit übereilete, bekannt war.
Diese großen Meisterstücke der griechischen Kunst
wurden schon unter den deutschen Himmel versetzet, und daselbst verehret, da
Neapel noch nicht das Glück hatte, ein einziges herkulanisches Denkmal, soviel
man erfahren können, aufzuweisen.
Sie wurden im Jahr 1706 in Portici bei Neapel in
einem verschütteten Gewölbe gefunden, da man den Grund grub zu einem Landhause
des Prinzen von Elbeuf, und sie kamen unmittelbar hernach, nebst andern
daselbst entdeckten Statuen in Marmor und Erzt, in den Besitz des Prinzen
Eugens nach Wien.
Dieser große Kenner der Künste, um einen
vorzüglichen Ort zu haben, wo dieselben könnten aufgestellet werden, hat
vornehmlich für diese drei Figuren eine Sala terrena bauen lassen, wo sie nebst
einigen andern Statuen ihren Platz bekommen haben. Die ganze Akademie und alle
Künstler in Wien waren gleichsam in Empörung, da man nur noch ganz dunkel von
derselben Verkauf sprach, und ein jeder sahe denselben mit betrübten Augen
nach, als sie von Wien nach Dresden fortgeführet wurden.
Der berühmte Mattielli,
dem Polyklet das Maß, und Phidias das Eisen gab
Algarotti
hat, ehe noch dieses geschahe, alle drei Vestalen
mit dem mühsamsten Fleiße in Ton kopieret, um sich den Verlust derselben
dadurch zu ersetzen. Er folgere ihnen einige Jahre hernach, und erfüllete
Dresden mit ewigen Werken seiner Kunst: aber seine Priesterinnen blieben auch
hier sein Studium in der Draperie, worin seine Stärke bestand, bis in sein
Alter; welches zugleich ein nicht ungegründetes Vorurteil ihrer Trefflichkeit
ist.
Unter dem Wort Draperie begreift man alles, was die
Kunst von Bekleidung des Nackenden der Figuren und von gebrochenen Gewändern
lehret. Diese Wissenschaft ist nach der schönen Natur, und nach dem edlen
Kontur, der dritte Vorzug der Werke des Altertums.
Die Draperie der Vestalen ist in der höchsten
Manier: die kleinen Brüche entstehen durch einen sanften Schwung aus den
größeren Partien, und verlieren sich wieder in diesen mit einer edlen Freiheit
und sanften Harmonie des Ganzen, ohne den schönen Kontur des Nackenden zu verstecken.
Wie wenig neuere Meister sind in diesem Teile der Kunst ohne Tadel!
Diese Gerechtigkeit aber muß man einigen großen
Künstlern, sonderlich Malern neuerer Zeiten, widerfahren lassen, daß sie in
gewissen Fällen von dem Wege, den die griechischen Meister in Bekleidung ihrer
Figuren am gewöhnlichsten gehalten haben, ohne Nachteil der Natur und Wahrheit
abgegangen sind. Die griechische Draperie ist mehrenteils nach dünnen und
nassen Gewändern gearbeitet, die sich folglich, wie Künstler wissen, dicht an
die Haut und an den Körper schließen, und das Nackende desselben sehen lassen.
Das ganze oberste Gewand des griechischen Frauenzimmers war ein sehr dünner
Zeug; er hieß daher Peplon, ein Schleier.
Daß die Alten nicht allezeit fein gebrochene
Gewänder gemacht haben, zeigen die erhabenen Arbeiten derselben. Die alten
Malereien, und sonderlich die alten Brustbilder. Der schöne Caracalla unter den
Königlichen Antiken in Dresden kann dieses bestätigen.
In den neuern Zeiten hat man ein Gewand über das
andere, und zuweilen schwere Gewänder, zu legen gehabt, die nicht in so sanfte
und fließende Brüche, wie der Alten ihre sind, fallen können. Dieses gab
folglich Anlaß zu der neuen Manier der großen Partien in Gewändern, in welcher
der Meister seine Wissenschaft nicht weniger, als in der gewöhnlichen Manier
der Alten zeigen kann.
Carlo Maratta und Francesco Solimena können in
dieser Art vor die Größten gehalten werden. Die neue Venezianische Schule,
welche noch weiter zu gehen gesuchet, hat diese Manier übertrieben, und indem
sie nichts als große Partien gesuchet, sind ihre Gewänder dadurch steif und
blechern worden.
Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen
Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in
der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig
bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den
Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.
Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des
Laokoons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der
Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und
den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem
schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubet; dieser
Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in
der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von
seinem Laokoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist
vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadoleto beschreibet.
Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der
Figur mit gleicher Stärke ausgeteilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet,
aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die
Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.
Der Ausdruck einer so großen Seele gehet weit über
die Bildung der schönen Natur: Der Künstler mußte die Stärke des Geistes in
sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägete. Griechenland hatte
Künstler und Weltweisen in einer Person, und mehr als einen Metrodor. Die
Weisheit reichte der Kunst die Hand, und blies den Figuren derselben mehr als
gemeine Seelen ein.
Unter einem Gewande, welches der Künstler dem
Laokoon als einem Priester hätte geben sollen, würde uns sein Schmerz nur halb
so sinnlich gewesen sein. Bernini hat sogar den Anfang der Würkung des Gifts
der Schlange in dem einen Schenkel des Laokoons an der Erstarrung desselben
entdecken wollen.
Alle Handlungen und Stellungen der griechischen
Figuren, die mit diesem Charakter der Weisheit nicht bezeichnet, sondern gar zu
feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Künstler
Parenthyrsis nannten.
Je ruhiger der Stand des Körpers ist, desto
geschickter ist er, den wahren Charakter der Seele zu schildern: in allen
Stellungen, die von dem Stande der Ruhe zu sehr abweichen, befindet sich die
Seele nicht in dem Zustande, der ihr der eigentlichste ist, sondern in einem
gewaltsamen und erzwungenen Zustande. Kenntlicher und bezeichnender wird die
Seele in heftigen Leidenschaften; groß aber und edel ist sie in dem Stande der
Einheit, in dem Stande der Ruhe. Im Laokoon würde der Schmerz, allein gebildet,
Parenthyrsis gewesen sein; der Künstler gab ihm daher, um das Bezeichnende und
das Edle der Seele in eins zu vereinigen, eine Aktion, die dem Stande der Ruhe
in solchem Schmerze der nächste war. Aber in dieser Ruhe muß die Seele durch
Züge, die ihr und keiner andern Seele eigen sind, bezeichnet werden, um sie
ruhig, aber zugleich wirksam, stille, aber nicht gleichgültig oder schläfrig zu
bilden.
Das wahre Gegenteil, und das diesem
entgegenstehende äußerste Ende ist der gemeinste Geschmack der heutigen,
sonderlich angehenden Künstler. Ihren Beifall verdienet nichts, als worin
ungewöhnliche Stellungen und Handlungen, die ein freches Feuer begleitet,
herrschen, welches sie mit Geist, mit Franchezza, wie sie reden, ausgeführet
heißen. Der Liebling ihrer Begriffe ist der Kontrapost, der bei ihnen der
Inbegriff aller selbstgebildeten Eigenschaften eines vollkommenen Werks der Kunst
ist. Sie verlangen eine Seele in ihren Figuren, die wie ein Komet aus ihrem
Kreise weichet; sie wünschten in jeder Figur einen Ajax und einen Kapaneus zu
sehen.
Die schönen Künste haben ihre Jugend so wohl, wie
die Menschen, und der Anfang dieser Künste scheinet wie der Anfang bei
Künstlern gewesen zu sein, wo nur das Hochtrabende, das Erstaunende gefällt.
Solche Gestalt hatte die tragische Muse des Aischylos, und sein Agamemnon ist
zum Teil durch Hyperbolen viel dunkler geworden, als alles, was Heraklit
geschrieben. Vielleicht haben die ersten griechischen Maler nicht anders
gezeichnet, als ihr erster guter Tragicus gedichtet hat.
Das Heftige, das Flüchtige gehet in allen
menschlichen Handlungen voran; das Gesetzte, das Gründliche folget zuletzt.
Dieses letztere aber gebrauchet Zeit, es zu bewundern; es ist nur großen
Meistern eigen: heftige Leidenschaften sind ein Vorteil auch für ihre Schüler.
Die Weisen in der Kunst wissen, wie schwer dieses
scheinbare Nachahmliche ist
ut sibi quivis
Speret idem, sudet multum frustraque laboret
Ausus idem.
Hor.
Lafage, der große Zeichner hat den Geschmack der
Alten nicht erreichen können. Alles ist in Bewegung in seinen Werken, und man
wird in der Betrachtung derselben geteilet und zerstreuet, wie in einer Gesellschaft,
wo alle Personen zugleich reden wollen.
Die edle Einfalt und stille Größe der griechischen
Statuen ist zugleich das wahre Kennzeichen der griechischen Schriften aus den
besten Zeiten, der Schriften aus Sokrates' Schule; und diese Eigenschaften sind
es, welche die vorzügliche Größe eines Raffaels machen, zu welcher er durch die
Nachahmung der Alten gelanget ist.
Eine so schöne Seele, wie die seinige war, in einem
so schönen Körper wurde erfordert, den wahren Charakter der Alten in neueren
Zeiten zuerst zu empfinden und zu entdecken, und was sein größtes Glück war,
schon in einem Alter, in welchem gemeine und halbgeformte Seelen über die wahre
Größe ohne Empfindung bleiben.
Mit einem Auge, welches diese Schönheiten empfinden
gelernet, mit diesem wahren Geschmacke des Altertums muß man sich seinen Werken
nähern. Alsdenn wird uns die Ruhe und Stille der Hauptfiguren in Raffaels
Attila, welche vielen leblos scheinen, sehr bedeutend und erhaben sein. Der
römische Bischof, der das Vorhaben des Königs der Hunnen, auf Rom loszugehen, abwendet,
erscheinet nicht mit Gebärden und Bewegungen eines Redners, sondern als ein ehrwürdiger
Mann, der bloß durch seine Gegenwart einen Aufruhr stillet; wie derjenige, den
uns Vergil beschreibet,
Tum pietate gravem ac meritis si forte virum quem
Conspexere, silent arrectisque auribus adstant.
Aen. I.
mit einem Gesichte voll göttlicher Zuversicht vor
den Augen des Wüterichs. Die beiden Apostel schweben nicht wie Würgeengel in
den Wolken, sondern wenn es erlaubt ist, das Heilige mit dem Unheiligen zu
vergleichen, wie Homers Jupiter, der durch das Winken seiner Augenlider den
Olymp erschüttern macht.
Algardi in seiner berühmten Vorstellung ebendieser
Geschichte in halb erhobener Arbeit, an einem Altar der St. Peterskirche in
Rom, hat die wirksame Stille seines großen Vorgängers den Figuren seiner beiden
Apostel nicht gegeben, oder zu geben verstanden. Dort erscheinen sie wie
Gesandten des Herrn der Heerscharen: hier wie sterbliche Krieger mit
menschlichen Waffen.
Wie wenig Kenner hat der schöne St. Michael des
Guido in der Kapuzinerkirche zu Rom gefunden, welche die Größe des Ausdrucks,
die der Künstler seinem Erzengel gegeben, einzusehen vermögend gewesen! Man
gibt des Conca seinem Michael den Preis vor jenen, weil er Unwillen und Rache
im Gesichte zeiget, anstatt daß jener, nachdem er den Feind GOttes und der
Menschen gestürzt, ohne Erbitterung mit einer heiteren und ungerührten Miene
über ihn schwebet.
Ebenso ruhig und stille malet der englische Dichter
den rächenden Engel, der über Britannien schwebet, mit welchem er den Helden
seines Feldzugs, den Sieger bei Blenheim vergleichet.
Die Königliche Galerie der Schildereien in Dresden
enthält nunmehro unter ihren Schätzen ein würdiges Werk von Raffaels Hand, und
zwar von seiner besten Zeit, wie Vasari und andere mehr bezeugen. Eine Madonna
mit dem Kinde, dem hl. Sixtus und der hl. Barbara, kniend auf beiden Seiten,
nebst zwei Engeln im Vorgrunde.
Es war dieses Bild das Hauptaltarblatt des Klosters
St. Sixti in Piacenza. Liebhaber und Kenner der Kunst gingen dahin, um diesen
Raffael zu sehen, so wie man nur allein nach Thespiä reisete, den schönen
Cupido von der Hand des Praxiteles daselbst zu betrachten.
Sehet die Madonna mit einem Gesichte voll Unschuld
und zugleich einer mehr als weiblichen Größe, in einer selig ruhigen Stellung,
in derjenigen Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten
herrschen ließen. Wie groß und edel ist ihr ganzer Kontur!
Das Kind auf ihren Armen ist ein Kind über gemeine
Kinder erhaben, durch ein Gesichte, aus welchem ein Strahl der Gottheit durch
die Unschuld der Kindheit hervorzuleuchten scheinet.
Die Heilige unter ihr kniet ihr zur Seiten in einer
anbetenden Stille ihrer Seelen, aber weit unter der Majestät der Hauptfigur;
welche Erniedrigung der große Meister durch den sanften Reiz in ihrem Gesichte
ersetzet hat.
Der Heilige dieser Figur gegenüber ist der
ehrwürdigste Alte mit Gesichtszügen, die von seiner Gott geweiheten Jugend zu
zeugen scheinen.
Die Ehrfurcht der hl. Barbara gegen die Madonna,
welche durch ihre an die Brust gedrückten schönen Hände sinnlicher und
rührender gemacht ist, hilft bei dem Heiligen die Bewegung seiner einen Hand ausdrücken.
Ebendiese Aktion malet uns die Entzückung des Heiligen, welche der Künstler zu
mehrerer Mannigfaltigkeit, weislicher der männlichen Stärke, als der weiblichen
Züchtigkeit geben wollen.
Die Zeit hat allerdings vieles von dem scheinbaren
Glanze dieses Gemäldes geraubet, und die Kraft der Farben ist zum Teil
ausgewittert; allein die Seele, welche der Schöpfer dem Werke seiner Hände eingeblasen,
belebet es noch itzo.
Alle diejenigen, welche zu diesem und andern Werken
Raffaels treten, in der Hoffnung, die kleinen Schönheiten anzutreffen, die den
Arbeiten der niederländischen Maler einen so hohen Preis geben; den mühsamen
Fleiß eines Netschers, oder eines Dou, das elfenbeinerne Fleisch eines van der
Werff, oder auch die geleckte Manier einiger von Raffaels Landesleuten unserer
Zeit; diese, sage ich, werden den großen Raffael in dem Raffael vergebens
suchen.
Nach dem Studio der schönen Natur, des Konturs, der
Draperie, und der edlen Einfalt und stillen Größe in den Werken griechischer
Meister, wäre die Nachforschung über ihre Art zu arbeiten ein nötiges Augenmerk
der Künstler, um in der Nachahmung derselben glücklicher zu sein.
Es ist bekannt, daß sie ihre ersten Modelle
mehrenteils in Wachs gemachet haben; die neuern Meister aber haben an dessen
Statt Ton oder dergleichen geschmeidige Massen gewählet: sie fanden dieselben,
sonderlich das Fleisch auszudrücken, geschickter als das Wachs, welches ihnen
hierzu gar zu klebricht und zähe schien.
Man will unterdessen nicht behaupten, daß die Art
in nassen Ton zu bilden den Griechen unbekannt, oder nicht üblich bei ihnen
gewesen. Man weiß sogar den Namen desjenigen, welcher den ersten Versuch hierin
gemacht hat. Dibutades von Sikyon ist der erste Meister einer Figur in Ton, und
Arkesilaos, der Freund des großen Lucullus, ist mehr durch seine Modelle in
Ton, als durch seine Werke selbst, berühmt worden. Er machte für den Lucullus
eine Figur in Ton, welche die Glückseligkeit vorstellete, die dieser mit 60 000
Sesterzen behandelt hatte, und der Ritter Octavius gab ebendiesem Künstler ein
Talent für ein bloßes Modell in Gips zu einer großen Tasse, die jener wollte in
Gold arbeiten lassen.
Der Ton wäre die geschickteste Materie, Figuren zu
bilden, wenn er seine Feuchtigkeit behielte. Da ihm aber diese entgehet, wenn
er trocken und gebrannt wird, so werden folglich die festeren Teile desselben
näher zusammentreten, und die Figur wird an ihrer Maße verlieren, und einen
engeren Raum einnehmen. Litte die Figur diese Verminderung in gleichem Grade in
allen ihren Punkten und Teilen, so bliebe ebendieselbe, obgleich verminderte,
Verhältnis. Die kleinen Teile derselben aber werden geschwinder trocknen, als
die größeren, und der Leib der Figur, als der stärkste Teil, am spätesten; und
jenen wird also in gleicher Zeit mehr an ihrer Maße fehlen als diesem.
Das Wachs hat diese Unbequemlichkeit nicht: es
verschwindet nichts davon, und es kann demselben die Glätte des Fleisches, die
es im Poussieren nicht ohne große Mühe annehmen will, durch einen andern Weg
gegeben werden.
Man machet sein Modell von Ton: man formet es in
Gips, und gießet es alsdenn in Wachs.
Die eigentliche Art der Griechen aber nach ihren
Modellen in Marmor zu arbeiten, scheinet nicht diejenige gewesen zu sein,
welche unter den meisten heutigen Künstlern üblich ist. In dem Marmor der Alten
entdecket sich allenthalben die Gewißheit und Zuversicht des Meisters, und man
wird auch in ihren Werken von niedrigem Range nicht leicht dartun können, daß
irgendwo etwas zu viel weggehauen worden. Diese sichere und richtige Hand der
Griechen muß durch bestimmtere und zuverlässigere Regeln, als die bei uns gebräuchlich
sind, notwendig sein geführet worden.
Der gewöhnliche Weg unserer Bildhauer ist, über
ihre Modelle, nachdem sie dieselben wohl ausstudieret, und aufs beste geformet
haben, Horizontal- und Perpendikularlinien zu ziehen, die folglich einander
durchschneiden. Alsdenn verfahren sie, wie man ein Gemälde durch ein Gitter
verjünget und vergrößert, und ebensoviel einander durchschneidende Linien
werden auf den Stein getragen.
Es zeiget also ein jedes kleines Viereck des
Modells seine Flächenmaße auf jedes große Viereck des Steins an. Allein weil
dadurch nicht der körperliche Inhalt bestimmt werden kann, folglich auch weder
der rechte Grad der Erhöhung und Vertiefung des Modells hier gar genau zu beschreiben
ist: so wird der Künstler zwar seiner künftigen Figur ein gewisses Verhältnis
des Modells geben können: aber da er sich nur der Kenntnis seines Auges
überlassen muß, so wird er beständig zweifelhaft bleiben, ob er zu tief oder zu
flach nach seinem Entwurf gearbeitet, ob er zu viel oder zu wenig Masse weggenommen.
Er kann auch weder den äußeren Umriß noch
denjenigen, welcher die inneren Teile des Modells, oder diejenigen, welche
gegen das Mittel zu gehen, oft nur wie mit einem Hauch anzeiget, durch solche
Linien bestimmen, durch die er ganz untrüglich und ohne die geringste
Abweichung ebendieselben Umrisse auf seinen Stein entwerfen könnte.
Hierzu kommt, daß in einer weitläuftigen Arbeit,
welche der Bildhauer allein nicht bestreiten kann, er sich der Hand seiner
Gehülfen bedienen muß, die nicht allezeit geschickt sind, die Absichten von
jenem zu erreichen: Geschiehet es, daß einmal etwas verhauen ist, weil
unmöglich nach dieser Art Grenzen der Tiefen können gesetzet werden, so ist der
Fehler unersetzlich.
Überhaupt ist hier zu merken, daß derjenige Bildhauer,
der schon bei der ersten Bearbeitung seines Steins seine Tiefen bohret, so weit
als sie reichen sollen, und dieselben nicht nach und nach suchet, so, daß sie
durch die letzte Hand allererst ihre gesetzte Höhlung erhalten, daß dieser,
sage ich, niemals wird sein Werk von Fehlern reinigen können.
Es findet sich auch hier dieser Hauptmangel, daß
die auf den Stein getragene Linien alle Augenblicke weggehauen, und ebensooft,
nicht ohne Besorgnis der Abweichung, von neuen müssen gezogen und ergänzt
werden.
Die Ungewißheit nach dieser Art nötigte also die
Künstler, einen sicherern Weg zu suchen, und derjenige, welchen die
französische Akademie in Rom erfunden, und zum Kopieren der alten Statuen
zuerst gebraucht hat, wurde von vielen, auch im Arbeiten nach Modellen,
angenommen.
Man befestiget nämlich über einer Statue, die man
kopieren will, nach dem Verhältnis derselben, ein Viereck, von welchem man nach
gleich eingeteilten Graden Bleifaden herunterfallen lässet. Durch diese Faden
werden die äußersten Punkte der Figur deutlicher bezeichnet, als in der ersten
Art durch Linien auf der Fläche, wo ein jeder Punkt der äußerste ist, geschehen
konnte: sie geben auch dem Künstler eine sinnlichere Maße von einigen der
stärksten Erhöhungen und Vertiefungen durch die Grade ihrer Entfernung von
Teilen, welche sie decken, und er kann durch Hülfe derselben etwas herzhafter
gehen.
Da aber der Schwung einer krummen Linie durch eine
einzige gerade Linie nicht genau zu bestimmen ist, so werden ebenfalls die
Umrisse der Figur durch diesen Weg sehr zweifelhaft für den Künstler
angedeutet, und in geringen Abweichungen von ihrer Hauptfläche wird sich derselbe
alle Augenblicke ohne Leitfaden und ohne Hülfe sehen.
Es ist sehr begreiflich, daß in dieser Manier auch
das wahre Verhältnis der Figuren schwer zu finden ist: Man suchet dieselben
durch Horizontallinien, welche die Bleifaden durchschneiden. Die Lichtstrahlen
aber aus den Vierecken, die diese von der Figur abstehende Linien machen,
werden unter einem desto größeren Winkel ins Auge fallen, folglich größer
erscheinen, je höher oder tiefer sie unserem Sehepunkte sind.
Zum Kopieren der Antiken, mit denen man nicht nach
Gefallen umgehen kann, behalten die Bleifaden noch bis itzo ihren Wert, und man
hat diese Arbeit noch nicht leichter und sicherer machen können. aber im
Arbeiten nach einem Modelle ist dieser Weg aus angezeigten Gründen nicht bestimmt
genug.
Michelangelo hat einen vor ihm unbekannten Weg
genommen, und man muß sich wundern, da ihn die Bildhauer als ihren großen Meister
verehren, daß vielleicht niemand unter ihnen sein Nachfolger geworden.
Dieser Phidias neuerer Zeiten und der Größte nach
den Griechen ist, wie man vermuten könnte, auf die wahre Spur seiner großen
Lehrer gekommen, wenigstens ist kein anderes Mittel der Welt bekanntgeworden,
alle möglich sinnlichen Teile und Schönheiten des Modells auf der Figur selbst
hinüberzutragen und auszudrücken.
Vasari hat diese Erfindung desselben etwas
unvollkommen beschrieben: der Begriff nach dessen Bericht ist folgender:
Michelangelo nahm ein Gefäß mit Wasser, in welches
er sein Modell von Wachs oder von einer harten Materie legte: Er erhöhete
dasselbe allmählich bis zur Oberfläche des Wassers. Also entdeckten sich zuerst
die erhabenen Teile, und die vertieften waren bedeckt, bis endlich das ganze
Modell bloß und außer dem Wasser lag. Auf ebendie Art, sagt Vasari, arbeitete
Michelangelo seinen Marmor: er deutete zuerst die erhabenen Teile an, und nach
und nach die tieferen.
Es scheinet, Vasari habe entweder von der Manier seines
Freundes nicht den deutlichsten Begriff gehabt, oder die Nachlässigkeit in
seiner Erzählung verursachet, daß man sich dieselbe etwas verschieden, von dem,
was er berichtet, vorstellen muß.
Die Form des Wassergefäßes ist hier nicht deutlich
genug bestimmt. Die nach und nach geschehene Erhebung seines Modells außer dem
Wasser von unten auf, würde sehr mühsam sein, und setzet viel mehr voraus, als
uns der Geschichtschreiber der Künstler hat wollen wissen lassen.
Man kann überzeugt sein, daß Michelangelo diesen
von ihm erfundenen Weg werde aufs möglichste ausstudieret, und sich bequem
gemacht haben. Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach folgendergestalt verfahren:
Der Künstler nahm ein Gefäß nach der Form der Masse
zu seiner Figur, die wir ein langes Viereck setzen wollen.
Er bezeichnete die Oberfläche der Seiten dieses
viereckigten Kastens mit gewissen Abteilungen, die er nach einem vergrößerten
Maßstabe auf seinen Stein hinübertrug, und außerdem bemerkte er die inwendigen
Seiten desselben von oben bis auf den Grund mit gewissen Graden. In dem Kasten
legte er sein Modell von schwerer Materie, oder befestigte es an dem Boden,
wenn es von Wachs war. Er bespannete etwa den Kasten mit einem Gitter nach den
gemachten Abteilungen, nach welchen er Linien auf seinen Stein zeichnete, und
vermutlich unmittelbar hernach seine Figur. Auf das Modell goß er Wasser, bis
es an die äußersten Punkte der erhabenen Teile reichete, und nachdem er
denjenigen Teil bemerket hatte, der auf seiner gezeichneten Figur erhoben
werden mußte, ließ er ein gewisses Maß Wasser ab, um den erhobenen Teil des
Modells etwas weiter hervorgehen zu lassen, und fing alsdenn an diesen Teil zu
bearbeiten, nach der Maße der Grade, wie er sich entdeckte. War zu gleicher
Zeit ein anderer Teil seines Modells sichtbar geworden, so wurde er auch, so
weit er bloß war, bearbeitet, und so verfuhr er mit allen erhabenen Teilen.
Es wurde mehr Wasser abgelassen, bis auch die
Vertiefungen hervorlagen. Die Grade des Kastens zeigten ihm allemal die Höhe
des gefallenen Wassers, und die Fläche des Wassers die äußerste Grundlinie der
Tiefen an. Ebensoviel Grade auf seinem Steine waren seine wahren Maße.
Das Wasser beschrieb ihm nicht allein die Höhen und
Tiefen, sondern auch den Kontur seines Modells; und der Raum von den inneren
Seiten des Kastens bis an den Umriß der Linie des Wassers, dessen Größe die
Grade der anderen zwei Seiten gaben, war in jedem Punkte das Maß, wieviel er
von seinem Steine wegnehmen konnte.
Sein Werk hatte nunmehr die erste aber eine
richtige Form erhalten. Die Fläche des Wassers hatte ihm eine Linie
beschrieben, von welcher die äußersten Punkte der Erhobenheiten Teile sind.
Diese Linie war mit dem Falle des Wassers in seinem Gefäße gleichfalls
waagerecht fortgerücket, und der Künstler war dieser Bewegung mit seinem Eisen
gefolget, bis dahin, wo ihm das Wasser den niedrigsten Abhang der erhabenen
Teile, der mit den Flächen zusammenfließt, bloß zeigete. Er war also mit jedem
verjüngten Grade in dem Kasten seines Modells einen gleichgesetzten größeren
Grad auf seiner Figur fortgegangen, und auf diese Art hatte ihn die Linie des
Wassers bis über den äußersten Kontur in seiner Arbeit geführet, so daß das
Modell nunmehro vom Wasser entblößt lag.
Seine Figur verlangte die schöne Form. Er goß von
neuem Wasser auf sein Modell, bis zu einer ihm dienlichen Höhe, und alsdenn
zählete er die Grade des Kastens bis auf die Linie, welche das Wasser
beschrieb, wodurch er die Höhe des erhabenen Teils ersahe. Auf ebendenselben erhabenen
Teil seiner Figur legte er sein Richtscheit vollkommen waagerecht, und von der
untersten Linie desselben nahm er die Maße bis auf die Vertiefung. Fand er eine
gleiche Anzahl verjüngter und größerer Grade, so war dieses eine Art
geometrischer Berechnung des Inhalts, und er erhielt den Beweis, daß er richtig
verfahren war.
Bei der Wiederholung seiner Arbeit suchte er den
Druck und die Bewegung der Muskeln und Sehnen, den Schwung der übrigen kleinen
Teile, und das Feinste der Kunst, in seinem Modelle, auch in seiner Figur
auszuführen. Das Wasser, welches sich auch an die unmerklichsten Teile legte,
zog den Schwung derselben aufs schärfste nach, und beschrieb ihm mit der
richtigsten Linie den Kontur derselben.
Dieser Weg verhindert nicht, dem Modelle alle
mögliche Lagen zu geben. Ins Profil geleget, wird es dem Künstler vollends
entdecken, was er übersehen hat. Es wird ihm auch den äußeren Kontur seiner erhabenen
und seiner inneren Teile und den ganzen Durchschnitt zeigen.
Alles dieses und die Hoffnung eines guten Erfolgs
der Arbeit setzet ein Modell voraus, welches mit Händen der Kunst nach dem
wahren Geschmack des Altertums gebildet worden.
Dieses ist die Bahn, auf welcher Michelangelo bis
zur Unsterblichkeit gelanget ist. Sein Ruf und seine Belohnungen erlaubeten ihm
Muße, mit solcher Sorgfalt zu arbeiten.
Ein Künstler unserer Zeiten, dem Natur und Fleiß
Gaben verliehen, höher zu steigen, und welcher Wahrheit und Richtigkeit in
dieser Manier findet, sieht sich genötiget, mehr nach Brot, als nach Ehre, zu
arbeiten. Er bleibet also in dem ihm üblichen Gleise, worin er eine größere
Fertigkeit zu zeigen glaubet, und fähret fort, sein durch langwierige Übung erlangtes
Augenmaß zu seiner Regel zu nehmen.
Dieses Augenmaß, welches ihn vornehmlich führen
muß, ist endlich durch praktische Wege, die zum Teil sehr zweifelhaft sind,
ziemlich entscheidend worden: wie fein und zuverlässig würde er es gemacht
haben, wenn er es von Jugend auf nach untrüglichen Regeln gebildet hätte?
Würden angehende Künstler bei der ersten Anführung,
in Ton oder in andere Materie zu arbeiten, nach dieser sichern Manier des
Michelangelo angewiesen, die dieser nach langem Forschen gefunden, so könnten
sie hoffen, so nahe, wie er, den Griechen zu kommen.
Alles was zum Preis der griechischen Werke in der
Bildhauerkunst kann gesaget werden, sollte nach aller Wahrscheinlichkeit auch
von der Malerei der Griechen gelten. Die Zeit aber und die Wut der Menschen hat
uns die Mittel geraubet, einen unumstößlichen Ausspruch darüber zu tun.
Man gestehet den griechischen Malern Zeichnung und
Ausdruck zu; und das ist alles: Perspektiv, Komposition und Kolorit spricht man
ihnen ab. Dieses Urteil gründet sich teils auf halb erhobene Arbeiten, teils
auf die entdeckten Malereien der Alten (der Griechen kann man nicht sagen) in
und bei Rom, in unterirdischen Gewölbern der Paläste des Maecenas, des Titus,
Trajans und der Antoniner, von welchen nicht viel über dreißig bis itzo ganz
erhalten worden, und einige sind nur in mosaischer Arbeit.
Turnbull hat seinem Werke von der alten Malerei
eine Sammlung der bekanntesten Stücke, von Camillo Paderni gezeichnet, und von
Mynde gestochen, beigefüget, welche dem prächtigen und gemißbrauchten Papier
seines Buchs den einzigen Wert geben. Unter denselben sind zwei, wovon die
Originale selbst in dem Kabinett des berühmten Arztes Richard Meads in London
sind.
Daß Poussin nach der sogenannten Aldobrandinischen
Hochzeit studieret; daß sich noch Zeichnungen finden, die Annibale Carracci
nach dem vorgegebenen Marcus Coriolanus gemacht; und daß man eine große Gleichheit
unter den Köpfen in Guido Reni Werken, und unter den Köpfen auf der bekannten
mosaischen Entführung der Europa, hat finden wollen, ist bereits von andern
bemerket.
Wenn dergleichen Freskogemälde ein gegründetes
Urteil von der Malerei der Alten geben können; so würde man den Künstlern unter
ihnen aus Überbleibseln von dieser Art auch die Zeichnung und den Ausdruck
streitig machen wollen.
Die von den Wänden des herkulanischen Theaters
mitsamt der Mauer versetzte Malereien mit Figuren in Lebensgröße, geben uns,
wie man versichert, einen schlechten Begriff davon. Der Theseus, als ein Überwinder
des Minotauren, wie ihm die jungen Athenienser die Hände küssen und seine Knie
umfassen: die Flora nebst den Herkules und einen Faun: der vorgegebene
Gerichtsspruch des Dezemvirs Appius Claudius, sind nach dem Augenzeugnis eines
Künstlers zum Teil mittelmäßig, und zum Teil fehlerhaft gezeichnet. In den
mehresten Köpfen ist, wie man versichert, nicht allein kein Ausdruck, sondern
in dem Appius Claudius sind auch keine guten Charaktere.
Aber ebendieses beweiset, daß es Malereien von der
Hand sehr mittelmäßiger Meister sind; da die Wissenschaft der schönen
Verhältnisse, der Umrisse der Körper, und des Ausdrucks bei griechischen
Bildhauern, auch ihren guten Malern eigen gewesen sein muß.
Diese den alten Malern zugestandene Teile der Kunst
lassen den neuern Malern noch sehr viel Verdienste um dieselbe.
In der Perspektiv gehöret ihnen der Vorzug
unstreitig, und er bleibt, bei aller gelehrten Verteidigung der Alten, in
Ansehung dieser Wissenschaft, auf seiten der Neueren. Die Gesetze der
Komposition und Ordonnance waren den Alten nur zum Teil und unvollkommen
bekannt; wie die erhobenen Arbeiten von Zeiten, wo die griechischen Künste in
Rom geblühet, dartun können.
In der Kolorit scheinen die Nachrichten in den
Schriften der Alten und die Überbleibsel der alten Malerei auch zum Vorteil der
neuern Künstler zu entscheiden.
Verschiedene Arten von Vorstellungen der Malerei
sind gleichfalls zu einen höheren Grad der Vollkommenheit in neuern Zeiten
gelanget. In Viehstücken und Landschaften haben unsere Maler allem Ansehen nach
die alten Maler übertroffen. Die schönern Arten von Tieren unter andern
Himmelstrichen scheinen ihnen nicht bekannt gewesen zu sein; wenn man aus einzelnen
Fällen, von dem Pferde des Marcus Aurelius, von den beiden Pferden in Monte
Cavallo, ja von den vorgegebenen Lysippischen Pferden über dem Portal der St.
Markuskirche in Venedig, von dem Farnesischen Ochsen und den übrigen Tieren
dieses Gruppo, schließen darf.
Es ist hier im Vorbeigehen anzuführen, daß die
Alten bei ihren Pferden die diametralische Bewegung der Beine nicht beobachtet
haben, wie an den Pferden in Venedig und auf alten Münzen zu sehen ist. Einige
Neuere sind ihnen hierin aus Unwissenheit gefolget, und sogar verteidiget
worden.
Unsere Landschaften, sonderlich der
niederländischen Maler, haben ihre Schönheit vornehmlich dem Ölmalen zu danken:
ihre Farben haben dadurch mehrere Kraft, Freudigkeit und Erhobenheit erlanget,
und die Natur selbst unter einem dickern und feuchtern Himmel hat zur
Erweiterung der Kunst in dieser Art nicht wenig beigetragen.
Es verdienten die angezeigten und einige andere
Vorzüge der neuern Maler vor den alten, in ein größeres Licht, durch
gründlichere Beweise, als noch bisher geschehen ist, gesetzet zu werden.
Zur Erweiterung der Kunst ist noch ein großer
Schritt übrig zu tun. Der Künstler, welcher von der gemeinen Bahn abzuweichen
anfängt, oder wirklich abgewichen ist, suchet diesen Schritt zu wagen; aber
sein Fuß bleibet an dem jähesten Orte der Kunst stehen, und hier siehet er sich
hülflos.
Die Geschichte der Heiligen, die Fabeln und
Verwandlungen sind der ewige und fast einzige Vorwurf der neuern Maler seit
einigen Jahrhunderten. Man hat sie auf tausenderlei Art gewandt und
ausgekünstelt, daß endlich Überdruß und Ekel den Weisen in der Kunst und den
Kenner überfallen muß.
Ein Künstler, der eine Seele hat, die denken
gelernet, läßt dieselbe müßig und ohne Beschäftigung bei einer Daphne und bei
einem Apollo; bei einer Entführung der Proserpina, einer Europa und bei dergleichen.
Er suchet sich als einen Dichter zu zeigen, und Figuren durch Bilder, das ist,
allegorisch zu malen.
Die Malerei erstreckt sich auch auf Dinge, die
nicht sinnlich sind; diese sind ihr höchstes Ziel, und die Griechen haben sich
bemühet, dasselbe zu erreichen, wie die Schriften der Alten bezeugen.
Parrhasios, ein Maler, der wie Aristides die Seele schilderte, hat sogar, wie
man sagt, den Charakter eines ganzen Volks ausdrücken können. Er malete die
Athenienser, wie sie gütig und zugleich grausam, leichtsinnig und zugleich
hartnäckig, brav und zugleich feige waren. Scheinet die Vorstellung möglich, so
ist sie es nur allein durch den Weg der Allegorie, durch Bilder, die allgemeine
Begriffe bedeuten.
Der Künstler befindet sich hier wie in einer
Einöde. Die Sprachen der wilden Indianer, die einen großen Mangel an
dergleichen Begriffen haben, und die kein Wort enthalten, welches Erkenntlichkeit,
Raum, Dauer usw. bezeichnen könnte, sind nicht leerer von solchen Zeichen, als
es die Malerei zu unseren Zeiten ist. Derjenige Maler, der weiter denket als
seine Palette reichet, wünschet einen gelehrten Vorrat zu haben, wohin er
gehen, und bedeutende und sinnlich gemachte Zeichen von Dingen, die nicht sinnlich
sind, nehmen könnte. Ein vollständig Werk in dieser Art ist noch nicht
vorhanden: die bisherigen Versuche sind nicht beträchtlich genug, und reichen
nicht bis an diese große Absichten. Der Künstler wird wissen, wie weit ihm des
Ripa Ikonologie, die Denkbilder der alten Völker von de Hooghe Gnüge tun
werden.
Dieses ist die Ursach, daß die größten Maler nur
bekannte Vorwürfe gewählet. Annibale Carracci, anstatt, daß er die berühmtesten
Taten und Begebenheiten des Hauses Farnese in der Farnesischen Galerie, als ein
allegorischer Dichter durch allgemeine Symbola und durch sinnliche Bilder hätte
vorstellen können, hat hier seine ganze Stärke bloß in bekannten Fabeln
gezeiget.
Die Königliche Galerie der Schildereien in Dresden
enthält ohne Zweifel einen Schatz von Werken der größten Meister, der
vielleicht alle Galerien in der Welt übertrifft, und Seine Majestät haben, als
der weiseste Kenner der schönen Künste, nach einer strengen Wahl nur das
Vollkommenste in seiner Art gesuchet; aber wie wenig historische Werke findet
man in diesem königlichen Schatze! von allegorischen, von dichterischen
Gemälden noch weniger.
Der große Rubens ist der vorzüglichste unter großen
Malern, der sich auf den unbetretenen Weg dieser Malerei in großen Werken als
ein erhabener Dichter, gewaget. Die Luxemburgische Galerie, als sein größtes
Werk, ist durch die Hand der geschicktesten Kupferstecher der ganzen Welt bekannt
worden.
Nach ihm ist in neueren Zeiten nicht leicht ein
erhabeners Werk in dieser Art unternommen und ausgeführet worden, dergleichen
die Cuppola der Kaiserlichen Bibliothek in Wien ist, von Daniel Gran gemalet,
und von Sedelmayr in Kupfer gestochen. Die Vergötterung des Herkules in Versailles,
als eine Allusion auf den Kardinal Hercule de Fleury, von Lemoyne gemalet,
womit Frankreich als mit der größten Komposition in der Welt pranget, ist gegen
die gelehrte und sinnreiche Malerei des deutschen Künstlers eine sehr gemeine
und kurzsichtige Allegorie: sie ist wie ein Lobgedicht, worin die stärksten Gedanken
sich auf den Namen im Kalender beziehen. Hier war der Ort, etwas Großes zu
machen, und man muß sich wundern, daß es nicht geschehen ist. Man siehet aber
auch zugleich ein, hätte auch die Vergötterung eines Ministers den vornehmsten
Plafond des königlichen Schlosses zieren sollen, woran es dem Maler gefehlet.
Der Künstler hat ein Werk vonnöten, welches aus der
ganzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und neuerer Zeiten, aus der
geheimen Weltweisheit vieler Völker, aus den Denkmalen des Altertums auf
Steinen, Münzen und Geräten diejenige sinnliche Figuren und Bilder enthält,
wodurch allgemeine Begriffe dichterisch gebildet worden. Dieser reiche Stoff
würde in gewisse bequeme Klassen zu bringen, und durch eine besondere Anwendung
und Deutung auf mögliche einzelne Fälle, zum Unterricht der Künstler, einzurichten
sein.
Hierdurch würde zu gleicher Zeit ein großes Feld
geöffnet, zur Nachahmung der Alten, und unsern Werken einen erhabenen Geschmack
des Altertums zu geben.
Der gute Geschmack in unsern heutigen Verzierungen,
welcher seit der Zeit, da Vitruv bittere Klagen über das Verderbnis desselben
führete, sich in neueren Zeiten noch mehr verderbet hat, teils durch die von
Morto, einem Maler von Feltre gebürtig, in Schwang gebrachte Grotesken, teils
durch nichts bedeutende Malereien unserer Zimmer, könnte zugleich durch ein
gründlicheres Studium der Allegorie gereiniget werden, und Wahrheit und
Verstand erhalten.
Unsere Schnirkel und das allerliebste Muschelwerk,
ohne welches itzo keine Zierat förmlich werden kann, hat manchmal nicht mehr
Natur als Vitruvs Leuchter, welche kleine Schlösser und Paläste trugen. Die
Allegorie könnte eine Gelehrsamkeit an die Hand geben, auch die kleinsten
Verzierungen dem Orte, wo sie stehen, gemäß zu machen.
Reddere personae scit convenientia cuique.
Hor.
Die Gemälde an Decken und über den Türen stehen
mehrenteils nur da, um ihren Ort zu füllen, und um die ledigen Plätze zu
decken, welche nicht mit lauter Vergöldungen können angefüllet werden. Sie
haben nicht allein kein Verhältnis mit dem Stande und mit den Umständen des
Besitzers, sondern sie sind demselben sogar oftmals nachteilig.
Der Abscheu vor den leeren Raum füllet also die
Wände; und Gemälde von Gedanken leer, sollen das Leere ersetzen.
Dieses ist die Ursach, daß der Künstler, dem man
seiner Willkür überläßt, aus Mangel allegorischer Bilder oft Vorwürfe wählet,
die mehr zur Satire, als zur Ehre desjenigen, dem er seine Kunst weihet,
gereichen müssen: und vielleicht, um sich hiervor in Sicherheit zu stellen,
verlanget man aus feiner Vorsicht von dem Maler, Bilder zu machen, die nichts
bedeuten sollen.
Es macht oft Mühe, auch dergleichen zu finden, und
endlich
velut aegri
somnia, vanae
Fingentur species. Hor.
Man benimmt also der Malerei dasjenige, worin ihr
größtes Glück bestehet, nämlich die Vorstellung unsichtbarer, vergangener und
zukünftiger Dinge.
Diejenigen Malereien aber, welche an diesem oder
jenem Orte bedeutend werden könnten, verlieren das, was sie tun würden, durch
einen gleichgültigen oder unbequemen Platz, den man ihnen anweiset.
Der Bauherr eines neuen Gebäudes
Dives agris, dives positis in foenore nummis.
Hor.
wird vielleicht über die hohen Türen seiner Zimmer
und Säle kleine Bilder setzen lassen, die wider den Augenpunkt und wider die
Gründe der Perspektiv anstoßen. Die Rede ist hier von solchen Stücken, die ein
Teil der festen und unbeweglichen Zieraten sind; nicht von solchen, die in
einer Sammlung nach der Symmetrie geordnet werden.
Die Wahl in Verzierungen der Baukunst ist zuweilen
nicht gründlicher: Armaturen und Trophäen werden allemal auf ein Jagdhaus
ebenso unbequem stehen, als Ganymedes und der Adler, Jupiter und Leda unter der
erhobenen Arbeit der Türen von Erzt, am Eingang der St. Peterskirche in Rom.
Alle Künste haben einen gedoppelten Endzweck: sie
sollen vergnügen und zugleich unterrichten, und viele von den größten
Landschaftmalern haben daher geglaubet, sie würden ihrer Kunst nur zur Hälfte
ein Genüge getan haben, wenn sie ihre Landschaften ohne alle Figuren gelassen
hätten.
Der Pinsel, den der Künstler führet, soll im
Verstand getunkt sein, wie jemand von dem Schreibegriffel des Aristoteles
gesaget hat: Er soll mehr zu denken hinterlassen, als was er dem Auge gezeiget,
und dieses wird der Künstler erhalten, wenn er seine Gedanken in Allegorien
nicht zu verstecken, sondern einzukleiden gelernet hat. Hat er einen Vorwurf,
den er selbst gewählet, oder der ihm gegeben worden, welcher dichterisch
gemacht, oder zu machen ist, so wird ihn seine Kunst begeistern, und wird das
Feuer, welches Prometheus den Göttern raubete, in ihm erwecken. Der Kenner wird
zu denken haben, und der bloße Liebhaber wird es lernen.
Sendschreiben
über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
Bildhauerkunst.
Mein Freund!
Sie haben von den Künsten und von den Künstlern der
Griechen geschrieben, und ich hätte gewünscht, daß Sie mit Ihrer Schrift, wie
die griechischen Künstler mit ihren Werken, verfahren wären. Sie stelleten sie
den Augen aller Welt und sonderlich der Kenner bloß, ehe sie dieselben aus den
Händen ließen, und ganz Griechenland urteilete über ihre Werke in den großen
Spielen, sonderlich in den Olympischen. Sie wissen, daß Aëtion sein Gemälde von
Alexanders Vermählung mit der Roxane dahin brachte. Sie hätten mehr als einen
Proxenides, der dort den Künstler richtete, nötig gehabt. Wenn Sie nicht gar zu
heimlich mit Ihrer Schrift gewesen wären, so hätte ich dieselbe, ohne den Namen
des Verfassers zu melden, einigen Kennern und Gelehrten, mit denen ich hier in
Bekanntschaft gekommen bin, vor dem Druck mitteilen wollen.
Einer von ihnen hat zweimal Italien und die Gemälde
der größten Meister an dem Orte selbst, wo sie gemacht sind, ganze Monate ein
jedes angesehen. Sie wissen, daß man allein auf diese Art ein Kenner wird. Ein Mann
der Ihnen sogar zu sagen weiß, welche von Guido Reni Altarblättern auf Taffend
oder auf Leinwand gemalet sind; was vor Holz Raffael zu seiner Transfiguration
genommen, usw. dessen Urteil, glaube ich, würde entscheidend gewesen sein!
Ein anderer unter meinen Bekannten hat das Altertum
studieret: er kennet es am Geruche;
callet et artificem solo deprendere odore.
Sectani Sat.
er weiß wieviel Knoten an der Keule des Herkules
gewesen sind; wieviel des Nestors Becher nach dem heutigen Maß enthalten: ja
man sagt, er werde endlich imstande sein, alle die Fragen zu beantworten,
welche Kaiser Tiberius den Sprachlehrern vorgeleget hat.
Noch ein anderer hat seit vielen Jahren nichts als
alte Münzen angesehen. Er hat viel neue Entdeckungen gemacht, sonderlich zu
einer Geschichte der alten Münzmeister; und man sagt, er werde die Welt
aufmerksam machen durch einen Vorläufer von den Münzmeistern der Stadt Kyzikos.
Wie sicher würden Sie gefahren sein, wenn Ihre
Arbeit vor den Richterstuhl solcher Gelehrten wäre gebracht worden! Diese
Herren haben mir ihre Bedenken über dieselbe eröffnet: es ist mir leid um Ihre
Ehre, wenn dergleichen öffentlich erscheinen sollten.
Unter andern Einwürfen wundert sich der erste, daß
Sie die beiden Engel auf dem Raffael der Königlichen Galerie zu Dresden nicht
beschrieben haben. Man hat ihm gesagt, daß ein Maler von Bologna, da er dieses
Stück zu St. Sixtus in Piacenza gesehen, voller Verwunderung in einem Briefe
ausruft; »Oh! was vor ein Engel aus dem Paradiese«! Dieses deutet er auf diese
Engel, und er behauptet, daß es die schönsten Figuren in Raffaels Werke sein.
Er könnte Ihnen auch vorwerfen, der Raffael sei in
der Art beschrieben, wie Raguenet einen hl. Sebastian von Beccafumi, einen
Herkules mit dem Antaios von Lanfranco usw. schildert.
Der zweite glaubet, der Bart des Laokoons hätte
ebensoviel Aufmerksamkeit in Ihrer Schrift als der eingezogene Leib desselben
verdienet. Ein Kenner der Werke der Griechen, sagt er, muß den Bart des
Laokoons mit ebenden Augen ansehen, mit welchen der Pater Labat den Bart des
Moses von Michelangelo angesehen hat.
Dieser erfahrne Dominikaner,
qui mores hominum multorum vidit er urbes,
hat nach so vielen Jahrhunderten aus dem Barte der
Statue bewiesen, wie Moses seinen Bart getragen, und wie die Juden denselben
tragen müssen, wenn sie wollen Juden heißen.
Sie haben nach dieses Mannes Meinung ohne alle
gelehrte Kenntnis von dem Peplon der Vestalen geschrieben: an der Beugung des
Schleiers über der Stirn der größten Vestale hätte er Ihnen vielleicht
ebensoviel entdecken können, als Cuper von der Spitze des Schleiers an der
Figur der Tragödie auf der berühmten Vergötterung des Homers gesagt hat.
Es fehlet auch der Beweis, daß die Vestalen
wirklich von der Hand eines griechischen Meisters sind. Unser Verstand bringt
uns sehr oft nicht auf Sachen die uns natürlich einfallen sollten. Wenn man
Ihnen beweisen wird, daß der Marmor zu diesen Figuren nicht Lychnites gewesen,
so kann es nicht fehlen, die Vestalen verlieren nebst Ihrer Schrift einen
großen Wert. Sie hätten nur sagen dürfen, der Marmor habe große Körner: Beweis
genug über eine griechische Arbeit; wer wird Ihnen so leicht dartun können, wie
groß die Körner sein müssen, um einen griechischen Marmor von dem Marmor von
Luna, den die alten Römer nahmen, zu unterscheiden. Ja, was noch mehr ist, man
will sie nicht einmal vor Vestalen halten.
Der Münzverständige hat mir von Köpfen der Livia
und der Agrippina gesagt, welche das von Ihnen angegebene Profil nicht haben.
An diesem Orte, meinet er, hätten Sie die schönste Gelegenheit gehabt, von dem,
was die Alten eine viereckigte Nase nennen, zu reden, welches zu Ihren
Begriffen von der Schönheit gehöret hätte. Unterdessen wird Ihnen bekannt sein,
daß die Nase an einigen der berühmtesten griechischen Statuen, als an der
Mediceischen Venus, und an den Picchinischen Meleager viel zu dicke scheinet,
als daß sie unsern Künstlern ein Muster der schönen Natur sein könnte.
Ich will Sie nicht kränken mit viel Zweifeln und
Einwürfen, die wider Ihre Schrift vorgebracht sind, und welche zum Ekel
wiederholet wurden, da ein akademischer Gelehrter, der den Charakter des
Homerischen Margites zu erlangen strebet, dazukam. Man zeigte ihm die Schrift;
er sahe sie an und legte sie weg. Der erste Blick war ihm also schon anstößig
gewesen, und man sahe es ihm an, daß er um sein Urteil befragt sein wollte,
welches wir alle taten. Es scheinet eine Arbeit, fing er an, über welche sich
des Verfassers Fleiß nicht in Unkosten hat setzen wollen: ich finde nicht über
vier bis fünf Allegata, und diese sind zum Teil nachlässig angegeben, ohne
Blatt und Kapitel zu bemerken. Es kann nicht fehlen, er hat seine Nachrichten
aus Büchern genommen, die er sich anzuführen schämet.
Endlich muß ich Ihnen sagen, daß jemand etwas in
der Schrift will gefunden haben, was mir noch itzo in derselben verdeckt
geblieben ist; nämlich, daß die Griechen als die Erfinder der Malerei und
Bildhauerkunst angegeben worden; welches ganz falsch ist, wie sich derselbe zu
erklären beliebet. Er hat gehöret, daß es die Ägypter gewesen, oder noch ein
älter Volk, welches er nicht kenne.
Man kann auch aus den unerheblichsten Einfällen
Nutzen ziehen: unterdessen ist klar, daß Sie nur allein von dem guten
Geschmacke in diesen Künsten haben reden wollen, und die erste Erfindung einer
Kunst verhält sich mehrenteils zu dem Geschmacke in derselben, wie das
Samenkorn zu der Frucht. Man kann die Kunst in der Wiege unter den Ägyptern in
späteren Zeiten, und die Kunst in ihrer Schönheit unter den Griechen auf ein
und ebendemselben Stücke vergleichen. Man betrachte den Ptolemaios Philopator
von der Hand des Aulos, auf einem geschnittenen Steine, und neben besagten
Kopfe ein paar Figuren eines ägyptischen Meisters, um das geringe Verdienst
seiner Nation um diese Künste einzusehen.
Die Form und den Geschmack ihrer Gemälde haben
Middleton und andere beurteilet. Die Gemälde von Personen in Lebensgröße auf
zwo Mumien in dem Königlichen Schatze der Altertümer zu Dresden geben von der
elenden Malerei der Ägypter deutliche Beweise. Diese beiden Körper sind
unterdessen unter mehr als einem Umstande merkwürdig, und ich werde meinem
Schreiben eine kleine Nachricht von denselben beifügen.
Ich kann nicht leugnen, mein Freund, ich muß diesen
Erinnerungen zum Teil Recht widerfahren lassen. Der Mangel angeführter
Schriften gereichet Ihnen zu einigem Vorurteil: die Kunst aus blauen Augen
schwarze zu machen hätte wenigstens ein Allegatum verdienet. Sie machen es fast
wie Demokritos; Was ist der Mensch? fragte man ihn: etwas das wir alle wissen,
antwortete er. Welcher vernünftige Mensch kann alle griechische Scholiasten
lesen!
Ibit eo, quo vis, qui zonam perdidit -
Horat.
Diese Erinnerungen haben mich unterdessen
veranlasset, die Schrift mit einem andern Auge, als vorher geschehen war,
durchzugehen. Man ist insgemein gar zu geneigt, der Waage durch das Gewicht der
Freundschaft oder des Gegenteils den Ausschlag geben zu lassen. Ich würde mich
im ersteren Fall befinden: Allein um dieses Vorurteil zu heben, werde ich meine
Einwürfe so weit zu treiben suchen, als es mir möglich ist.
Die erste und andere Seite will ich Ihnen schenken;
ob ich schon über die Vergleichung der Diana des Vergils mit der Nausikaa des
Homers, und über die Anwendung derselben, ein paar Worte sagen könnte. Ich
glaube auch, die Nachricht auf der zweiten Seite von den gemißhandelten Stücken
des Correggio, welche vermutlich aus des Herrn Graf Tessins Briefen genommen
ist, hätte können erläutert werden mit einer Nachricht von dem Gebrauche, den
man zu ebender Zeit von den Stücken der besten Meister in Stockholm gemacht
hat.
Man weiß, daß in der Eroberung der Stadt Prag anno
1648 den 15. Julii durch den Graf Königsmark, das Beste aus der kostbaren
Sammlung von Gemälden Kaiser Rudolfs II. weggenommen und nach Schweden geführet
ist. Unter denselben waren etliche Stücke des Correggio, die derselbe für den
Herzog Friedrich von Mantua gearbeitet hatte, und die dieser dem Kaiser
schenkte. Die berühmte Leda, und ein Cupido der an seinen Bogen arbeitet, waren
die vornehmsten von besagten Stücken. Die Königin Christina, die zu derselben
Zeit mehr Schulwissenschaft als Geschmack hatte, verfuhr mit diesen Schätzen,
wie Kaiser Claudius mit einem Alexander von der Hand des Apelles, der den Kopf
der Figur ausschneiden, und an desselben Stelle des Augustus Kopf setzen ließ.
Aus den schönsten Gemälden schnitte man in Schweden die Köpfe, Hände und Füße
heraus, die man auf eine Tapete klebete; das übrige wurde dazugemalet.
Dasjenige, was das Glück gehabt hat, der Zerstümmelung zu entgehen, sonderlich
die Stücke vom Correggio, nebst den Gemälden, welche die Königin in Rom
angekauft hat, kamen in den Besitz des Herzogs von Orleans, der 250 Stücke vor
90 000 Scudi erstanden: unter denselben waren eilf Gemälde von der Hand des
Correggio.
Ich bin auch nicht allerdings zufrieden, daß Sie
den nordischen Ländern allein vorwerfen, daß der gute Geschmack bei ihnen spät
bekanntgeworden, und dieses aus ihrer geringen Achtung schöner Gemälde. Wenn
dieses von dem Geschmacke zeuget, so weiß ich nicht, wie man von unsern Nachbarn
urteilen könnte. Da Bonn die Residenz der Kurfürsten von Köln, in der
sogenannten Fürstenbergischen Sache, nach dem Tode Maximilian Heinrichs, von
den Franzosen erobert wurde, ließ man die großen Gemälde von ihren Rahmen ohne
Unterschied herausschneiden, und über die Bügel der Wagen spannen, auf welchen
die Geräte und die Kostbarkeiten des kurfürstlichen Schlosses nach Frankreich
abgeführet wurden. Glauben Sie nicht, daß ich mit bloß historischen
Erinnerungen, wie ich angefangen habe, fortfahren werde. Ehe ich Ihnen aber
meine Zweifel bringe, kann ich nicht umhin, Ihnen zwei allgemeine Punkte
vorzuhalten.
Sie haben zum ersten in einem Stile geschrieben, wo
oft die Deutlichkeit unter der Kürze zu leiden scheinet. Haben Sie besorget,
Sie möchten künftig zu der Strafe desjenigen Spartaners, der mehr als drei
Worte gesaget, verdammt werden; nämlich Guicciardinis Krieg von Pisa zu lesen?
Wo ein allgemeiner Unterricht der Endzweck ist, das muß für jedermann faßlich
sein. Die Speisen sollen mehr nach dem Geschmack der Gäste, als nach dem
Geschmack der Köche zugerichtet werden,
coenae fercula nostrae
Malim convivis, quam placuisse coquis.
Hernach geben Sie sich fast in einer jeden Zeile
mit einer allzu großen Passion für das Altertum bloß. Ich hoffe, Sie werden der
Wahrheit etwas einräumen, wenn ich in der Folge meiner Anmerkungen, wo mir
etwas in diesem Punkte anstößig scheinet, erinnere.
Der erste besondere Einwurf, den ich Ihnen mache,
ist auf der dritten Seite. Erinnern Sie sich allezeit, daß ich glimpflich mit
Ihnen verfahre; ich habe die zwo ersten Seiten unangefochten gelassen;
non temere
a me
Quivis ferret idem. Hor.
Itzo werde ich anfangen in der gewöhnlichen Form
der Beurteilungen einer Schrift mit Ihnen zu verfahren.
Der Verfasser redet von gewissen Nachlässigkeiten
in den Werken der griechischen Künstler, die man ansehen soll, wie Lukian den
Jupiter des Phidias zu Pisa will angesehen haben, »den Jupiter selbst, nicht
den Schemel seiner Füße«; und man konnte demselben über dem Schemel vielleicht nichts,
über die Statue selbst aber ein großes Vergehen vorwerfen.
Ist es nichts, daß Phidias seinen sitzenden Zeus so
groß gemacht hat, daß er beinahe an die Decke des Tempels gereichet, und daß
man befürchten müssen, der Gott werde das ganze Dach abwerfen, wenn es ihm
einmal einfallen sollte aufzustehen? Man hätte weislicher gehandelt, diesen
Tempel ohne Dach, wie den Tempel des Olympischen Jupiters zu Athen zu lassen.
Es ist keine Unbilligkeit, wenn man von dem
Verfasser eine Erklärung fordert, was er unter seinen Begriff der
Nachlässigkeiten verstehet. Es scheinet, als wenn die Fehler der Alten unter
diesem Namen zugleich mit durchschleichen sollten, welche man sehr geneigt
wäre, wie der griechische Dichter Alkaios ein Mal auf dem Finger seines geliebten
Knabens, uns vor Schönheiten auszugeben. Man siehet vielmals die Unvollkommenheiten
der Alten, wie ein väterlich Auge die Mängel seiner Kinder, an.
Strabonem
Appellat Paetum pater, er Pulluin, male parvus
Si cui filius est. Horat.
Wären es Nachlässigkeiten von der Art, welche die
Alten »Parerga« nenneten, und dergleichen man wünschte, daß Protogenes in
seinem Ialysos begangen hätte, wo der große Fleiß des Malers an ein Rebhuhn den
ersten Blick auf sich zog, zum Nachteil der Hauptfigur, so wären sie wie
gewisse Nachlässigkeiten an dem Frauenzimmer, welche zieren. Weit sicherer wäre
es gewesen, den Diomedes des Dioskurides gar nicht anzuführen; der Verfasser
aber, der diesen Stein gar zu wohl zu kennen scheinet, wollte sich gleich anfänglich
wider alle Einwendungen über die Fehler der alten Künstler verwahren, und da er
glauben können, wenn man ihm in einer der berühmtesten und schönsten Arbeiten
der Griechen, wie der Diomedes ist, Fehler zeigen würde, daß dieses zugleich
wenigstens ein Vorurteil wider geringere Werke der Künstler dieser Nation geben
können, so suchte er eine ganz leichte Abfertigung, und meinete alle Fehler
unter dem glimpflichen Ausdruck der Nachlässigkeiten zu bedecken.
Wie! wenn ich zeige, daß Dioskurides weder
Perspektiv noch die gemeinsten Regeln der Bewegung des menschlichen Körpers
verstanden, ja sogar wider die Möglichkeit gehandelt habe? Ich werde es wagen;
aber
incedo per
ignes
Suppositos cineri doloso Hor.
und ich würde vielleicht nicht zuerst Fehler in
diesem Steine entdecken, aber mir ist gänzlich unbekannt, daß jemand dieselben
schriftlich mitgeteilet habe.
Der Diomedes des Dioskurides ist eine Figur, die
entweder sitzet, oder die sich von dem Sitze heben will; denn die Aktion
desselben ist zweideutig. Er sitzet aber nicht; welches offenbar ist: er kann
sich aber auch nicht heben; welches in der Aktion, die er macht, nicht
geschehen kann.
Die Bemühung die unser Körper anwendet, von einem
Sitze aufzustehen, geschiehet den Regeln der Mechanik zufolge, nach den
Mittelpunkt der Schwere zu, welchen der Körper sucht. Diesen suchet der sich
hebende Körper zu erhalten, wenn er die im Sitzen vorwärtsgelegten Beine nach
sich ziehet; und auf unserm Steine ist hingegen das rechte Bein gestreckt. Die
Bemühung sich zu erheben fängt sich an mit aufgehobenen Fersen, und die Schwere
ruhet in diesem Augenblicke nur auf den Zehen; welches Felix in seinem
geschnittenen Diomedes beobachtet hat: hier hingegen ruhet die ganze Fußsohle.
In einer sitzenden Stellung, in welcher Diomedes
ist, mit dem untergeschlagenen linken Beine, kann der Körper, wenn er sich
erheben will, den Mittelpunkt seiner Schwere nicht bloß durch das Zurückziehen
der Beine finden; folglich sich unmöglich durch diese Bewegung, die er sich
gibt, allein heben. Diomedes hat in der linken Hand, welche auf dem
untergeschlagenen Beine ruhet, das geraubte Palladium, und in der rechten Hand
ein kurzes Schwert, dessen Spitze nachlässig auf dem Postamente liegt. Des
Diomedes Körper äußert also weder die erste und natürliche Bewegung der Füße,
die zu einer jeden ungezwungenen Aufrichtung eines Sitzenden notwendig ist,
noch auch die Kraft der stützenden Arme, die in einer ungewöhnlichen Lage des
Sitzens zum Heben erfordert wird; folglich kann sich Diomedes nicht heben.
Zu gleicher Zeit ist die Figur in dieser Aktion
betrachtet, ein Fehler wider die Perspektiv begangen.
Der Fuß des linken untergeschlagenen Beins berühret
das Gesims des Postaments, welches über die Grundfläche, worauf es selbst und
der vordere ausgestreckte Fuß ruhet, hervorraget; folglich ist die Linie, die
der hintere Fuß beschreiben würde, auf dem Steine die vördere, und diejenige,
welche der vordere Fuß macht, die hintere.
Wäre auch diese Stellung möglich, so ist sie wider
den Charakter in den meisten Werken der griechischen Künstler, als welche
allezeit das Natürliche, das Ungezwungene gesucht haben, welches niemand in
einer so gewaltsamen Verdrehung des Diomedes finden kann.
Ein jeder der sich bemühen wird, diese Stellung im
Sitzen möglich zu machen, wird dieselbe beinahe unmöglich finden. Könnte man
aber dieselbe durch Mühe endlich erhalten, ohne sich aus vorhergegangenen
Sitzen in dieselbe zu setzen, so wäre sie dennoch wider alle Wahrscheinlichkeit:
denn welcher Mensch wird sich mit Fleiß in einem so peinlichen Stande die
äußerste Gewalt antun?
Felix, welcher vermutlich nach dem Dioskurides
gelebet, hat zwar seinen Diomedes in der Aktion gelassen, welche sein Vorgänger
demselben gegeben hat, aber er suchte das Gezwungene derselben wo nicht zu
heben, doch wenigstens erträglicher vorzustellen durch die dem Diomedes
gegenübergestellete Figur des Ulysses, welcher, wie man sagt, die Ehre des
geraubten Palladii dem Diomedes nehmen, und ihm dasselbe hinterlistigerweise
entreißen wollen. Diomedes setzt sich also zur Gegenwehr und durch die
Heftigkeit, welche der Held äußert, bekommt dessen Stellung einige mehrere
Wahrscheinlichkeit.
Eine sitzende Figur kann Diomedes ebensowenig sein,
welches der freie und ungedruckte Kontur der Teile des Gesäßes und des
Schenkels zeiget: es könnte auch der Fuß des untergeschlagenen entfernteren
Beins nicht sichtbar sein; zu geschweigen, daß ebendieses Bein mehr aufwärts gebogen
stehen müßte.
Der Diomedes beim Mariette ist vollends wider alle
Möglichkeit: denn das linke Bein ist wie ein zugelegtes Taschenmesser
untergeschlagen, und der Fuß, welcher nicht sichtbar ist, hebt sich so hoch,
daß er nirgend auf etwas ruhen kann.
Kann man dergleichen Fehler mit dem Titel der
Nachlässigkeiten entschuldigen, und würde man sie in den Werken neuerer Meister
mit solchem Glimpfe übergehen?
Dioskurides hat sich in der Tat in dieser seiner
berühmten Arbeit nur als einen Kopisten des Polyklets gezeiget. Man glaubt,
dieser sei ebender Polyklet, dessen Doryphoros den griechischen Künstlern die
höchste Regel in menschlichen Verhältnissen gewesen. Sein Diomedes war also
vermutlich das Urbild des Dioskurides; und dieser hat einen Fehler vermieden,
den jener begangen hatte. Das Postament, über welches der Diomedes des
Polyklets schwebet, ist wider die bekanntesten Regeln der Perspektiv gearbeitet.
Das untere und das obere Gesims desselben machen zwo ganz verschiedene Linien,
da sie doch aus einem Punkte fortlaufen sollten.
Mich wundert, daß Perrault nicht auch aus
geschnittenen Steinen Beweise zur Behauptung der Vorzüge der neueren Künstler
über die Alten genommen hat. Ich glaube, es werde dem Verfasser und dessen
Schrift nicht nachteilig sein, wenn ich, außer meinen Erinnerungen, auch den
Quellen nachspüre, woher er einige von besonderen Stellen und Nachrichten
genommen hat.
Von der Speise, welche den jungen Ringern unter den
Griechen der ältesten Zeiten vorgeschrieben gewesen, redet Pausanias. Ist
dieses ebender Ort, den man in der Schrift vor Augen gehabt hat, warum ist hier
Milchspeise überhaupt angegeben, da der griechische Text von weichen Käse
redet? Dromeus von Stymphalos hat an dessen Stelle das Fleischessen aufgebracht,
wie ebendaselbst gemeldet wird.
Mit der Nachforschung über das große Geheimnis der
Griechen, aus blauen Augen schwarze zu machen, hat es mir nicht gelingen
wollen. Ich finde nur einen einzigen Ort, und diesen beim Dioskurides, der von
dieser Kunst sehr nachlässig, und nur wie im Vorbeigehen redet. Hier wäre der
Ort gewesen, wo der Verfasser seine Schrift merkwürdiger machen können, als vielleicht
durch seinen neuen Weg in Marmor zu arbeiten. Newton und Algarotti würden hier
den Weisen mehr Aufgaben und den Schönen mehr Reizungen vorlegen können. Diese
Kunst würde von den deutschen Schönen höher geschätzt werden, als von den
griechischen, bei denen große und schöne blaue Augen seltener, als die
schwarzen gewesen zu sein scheinen.
Grüne Augen waren zu einer gewissen Zeit Mode.
Et si bel oeil vert er riant et clair
Le Sire de Coucy Chanson
ich weiß nicht, ob die Kunst einigen Anteil an der
Farbe derselben gehabt hat.
Über die Blattergruben würden auch ein paar Worte
aus dem Hippokrates zu reden sein, wenn man sich in Worterklärungen einzulassen
gesonnen wäre.
Ich bin im übrigen der Meinung, die Verstellung,
die ein Gesicht durch Blattern leidet, verursache einem Körper keine so große
Unvollkommenheit, als diejenige war, die man an den Atheniensern bemerken
wollen. So wohlgebildet ihr Gesicht war, so armselig war ihr Körper an dem
Hinterteile. Die Sparsamkeit der Natur an diesen Teilen war wie der Überfluß
derselben bei den Enotoceten in Indien, die so große Ohren sollen gehabt haben,
daß sie sich derselben anstatt der Küssen bedienet.
Überhaupt glaube ich, unsere Künstler wurden
vielleicht ebenso gute Gelegenheit haben können, das schönste Nackende zu
studieren, wie in den Gymnasien der Alten geschehen. Warum nutzen sie diejenige
nicht, die man den Künstlern in Paris vorschlägt, in heißen Sommertagen längst
den Ufern der Seine, um die Zeit, da man sich zu baden pfleget, zu gehen, wo
man das Nackende von sechs bis zu funfzig Jahren wählen kann? Nach solchen
Betrachtungen hat Michelangelo in seinem berühmten Karton von dem Kriege von
Pisa vermutlich die Figuren der Soldaten entworfen, die sich in einem Flusse
baden, und über dem Schall einer Trompete aus dem Wasser springen, zu ihren
Kleidern eilen, und dieselben über sich werfen.
Einer von den anstößigsten Orten in der Schrift ist
ohne Zweifel derjenige, wo zu Ende der zehenten Seite die neueren Bildhauer gar
zu tief unter die griechischen heruntergesetzt werden. Die neueren Zeiten haben
im Starken und Männlichen mehr als einen Glykon, und im Zärtlichen,
Jugendlichen und Weiblichen mehr als einen Praxiteles aufzuweisen.
Michelangelo, Algardi und Schlüter, dessen Meisterstücke Berlin zieren, haben
muskulöse Körper, und
- invicti membra Glyconis
Hor.
so erhaben und männlich als Glykon selbst
gearbeitet; und im Zärtlichen könnte man beinahe behaupten, daß Bernini,
Fiammingo, Legros, Rauchmüller und Donner die Griechen selbst übertroffen haben.
Unsere Künstler kommen darin überein, daß die alten
Bildhauer nicht verstanden, schöne Kinder zu arbeiten, und ich glaube, sie
würden zur Nachahmung viel lieber einen Cupido vom Fiammingo als vom Praxiteles
selbst wählen. Die bekannte Erzählung von einem Cupido, den Michelangelo
gemacht, und den er neben einen Cupido eines alten Meisters gestellet, um
unsere Zeiten dadurch zu lehren, wie vorzüglich die Kunst der Alten sei, beweiset
hier nichts: denn Kinder von Michelangelo werden uns niemals einen so nahen Weg
führen als es die Natur selbst tut.
Ich glaube, es sei nicht zuviel gesagt, wenn man
behauptet, Fiammingo habe als ein neuer Prometheus Geschöpfe gebildet,
dergleichen die Kunst wenige vor ihn gesehen hat. Wenn man von den mehresten
Figuren von Kindern auf geschnittenen Steinen, und auf erhobenen Arbeiten der
Alten, auf die Kunst überhaupt schließen darf, so wünschte man ihren Kindern
mehr Kindisches, weniger ausgewachsene Formen, mehr Milchfleisch und weniger
angedeutete Knochen. Ebendergleichen Bildung haben Raffaels Kinder und der
ersten großen Maler bis auf die Zeiten, da Frans Duquesnoy, genannt Fiammingo erschien,
dessen Kinder, weil er ihnen mehr Unschuld und Natur gegeben, den Künstlern
nach ihm ebendasjenige geworden, was Apollo und Antinous demselben im
Jugendlichen sind. Algardi, der zu gleicher Zeit gelebet, ist dem Fiammingo in
Figuren von Kindern an die Seite zu setzen. Ihre Modelle in Ton sind unsern
Künstlern schätzbarer als der Alten ihre Kinder in Marmor; und ein Künstler,
den ich namentlich anzuführen mich nicht schämen dürfte, hat mich versichert,
daß in sieben Jahren, solange er in der Akademie der Künstler zu Wien
studieret, er niemand wisse, der nach einem dasigen antiken Cupido gezeichnet
habe.
Ich weiß auch nicht, was es vor ein Begriff von
einer schönen Form bei den griechischen Künstlern gewesen, die Stirn an Kindern
und jungen Leuten mit herunterhängenden Haaren zu bedecken. Ein Cupido vom
Praxiteles, ein Patroklos auf einem Gemälde beim Philostratos war also
vorgestellet; und Antinous erscheinet weder in Statuen und Brustbildern, noch
auf geschnittenen Steinen und auf Münzen anders: und vielleicht verursacht
dergleichen Stirn dem Liebling des Hadrians die trübe und etwas melancholische
Miene, welche man an dessen Köpfen bemerket.
Gibt eine offene und freie Stirn einem Gesichte
nicht mehr Edeles und Erhabenes? und scheinet Bernini das Schöne in der Form
nicht besser gekannt zu haben, als die Alten, da er dem damals jungen Könige in
Frankreich Ludwig XIV. dessen Brustbild er in Marmor arbeitete, die Haarlocken
aus der Stirn rückte, welche dieser Prinz vorher bis auf die Augenbraunen
herunterhängend getragen? »Euer Majestät,« sagte der Künstler, »ist König, und
kann die Stirn der ganzen Welt zeigen.« Der König und der ganze Hof trugen die
Haare von der Zeit an, so wie es Bernini gut gefunden hatte.
Ebendieses großen Künstlers Urteil über die
erhobene Arbeit an dem Monumente Papst Alexanders VI. kann Anlaß geben, über
dergleichen Arbeit der Alten eine Anmerkung zu machen. »Die Kunst der erhobenen
Arbeit bestehet darin,« sagte er, »zu machen, daß dasjenige, was nicht erhoben
ist, erhoben scheine. Die fast ganz erhobenen Figuren am gedachten Monumente«
pflegte er zu sagen, »schienen, was sie wären, und schienen nicht, was sie nicht
wären.«
Erhobene Arbeiten sind von den ersten Erfindern
angebracht worden an Orten, welche man mit historischen oder allegorischen
Bildern zieren wollte, wo aber ein Gruppo von freistehenden Statuen, auch in
Absicht des Gesimses, weder Platz noch ein bequemes Verhältnis fand. Ein Gesims
dienet nicht sowohl zur zierlichen Bekleidung, als vielmehr zur Verwahrung und
Beschützung desjenigen Teils eines Werks und Gebäudes, woran es stehet. Die
Vorlage desselben sei allezeit dem Nutzen gemäß, den es leisten soll, nämlich
Wetter, und Regengüsse, und andere gewaltsame Beschädigungen von den Hauptteilen
abzuhalten. Hieraus folget, daß erhobene Arbeiten über die Bekleidung des Orts,
welchen sie zieren, als dessen zufälliges Teil sie selbst nur sind, nicht
hervorspringen sollen, indem es sowohl dem natürlichen Endzwecke eines Gesimses
entgegen, als für die erhobenen Figuren selbst gefährlich sein würde.
Die mehresten erhobenen Arbeiten der Alten sind
beinahe ganz freistehende Figuren, deren völliger Umriß unterarbeitet ist. Nun
sind aber erhobene Arbeiten erlogene Bilder, und zufolge der Absicht ihrer
Erfindung, nicht die Bilder selbst, sondern nur eine Vorstellung derselben; und
die Kunst in der Malerei sowohl, als in der Poesie bestehet in der Nachahmung.
Alles, was durch dieselbe wirklich und körperlich nach seiner Maße also würde
hervorgebracht werden, wie es in der Natur erscheinet, ist wider das Wesen der
Kunst. Sie soll machen, daß das, was nicht erhaben ist, erhaben, und was
erhaben ist, nicht erhaben scheine.
Aus diesem Grunde sind ganz hervorliegende Figuren
in erhobenen Arbeiten ebenso anzusehen, als feste und wirklich aufgeführte
Säulen unter den Verzierungen eines Theaters, welche bloß wie ein angenehmes
Blendwerk der Kunst als solche unserem Auge erscheinen sollten. Die Kunst
erhält hier, so wie jemand von der Tragödie gesagt hat, mehr Wahrheit durch den
Betrug, und Unwahrheit durch Wahrheit. Die Kunst ist es, welche macht, daß oft
eine Kopie mehr reizet, als die Natur selbst. Ein natürlicher Garten, und lebendige
Bäume auf der Szene eines Theaters machen kein so angenehmes Schauspiel, als
wenn dergleichen durch Künstlerhände glücklich dargestellet werden. Wir finden
mehr zu bewundern an einer Rose von van Huysum, oder an einer Pappel von
Veerendael, als an denen, die der geschickteste Gärtner gezogen hat. Eine
entzückende Landschaft in der Natur, ja das glückselige thessalische Tempe
selbst wird vielleicht nicht die Würkung auf uns machen, die Geist und Sinne
bei Betrachtung ebendieser Gegend durch den reizenden Pinsel eines Dietrichs
erhalten müssen.
Auf diese Erfahrungen kann sich unser Urteil über
die erhobenen Arbeiten der Alten gründen. Die zahlreiche Sammlung der
Königlichen Altertümer in Dresden enthält zwei vorzügliche Werke von dieser
Art. Das eine ist eine Bacchanale an einem Grabmale: das andere ist ein Opfer
des Priapos an einem großen marmornen Gefäße.
Es ist ein absonderliches Teil der Kunst eines
Bildhauers, erhobene Werke zu arbeiten: nicht ein jeder großer Bildhauer ist
hierin glücklich gewesen. Mattielli kann hier als ein Beispiel dienen. Es
wurden auf Befehl Kaiser Karls VI. von den geschicktesten Künstlern Modelle
verfertiget zu dergleichen Arbeiten auf die beiden Spiralsäulen an der Kirche
des hl. Caroli Borromäi. Mattielli, der allbereits einen großen Ruf erlanget
hatte, war einer der vornehmsten, die hierbei in Betrachtung gezogen wurden:
allein seine Arbeit war nicht diejenige, welche den Preis erhielt. Die gar zu erhabene
Figuren seines Modells beraubeten ihn der Ehre eines so wichtigen Werks aus dem
Grunde, weil die Masse des Steins durch die großen Tiefen würde verringert und
die Säulen geschwächt worden sein. Mader heißt der Künstler, dessen Modelle vor
seiner Mitwerber ihren den größten Beifall fanden, und die er an den Säulen selbst
unvergleichlich ausgeführet hat. Es ist bekannt, daß es eine Vorstellung des
Heiligen ist, dem die Kirche geweihet worden.
Überhaupt ist bei dieser Arbeit zu merken:
Erstlich; daß nicht eine jede Aktion und Stellung zu derselben bequem sei,
dergleichen sind allzu starke Verkürzungen, welche daher vermieden werden
müssen. Zum andern: daß nachdem die einzelne modellierte Figuren wohl
ordonniert und gruppiert worden, der Durchmesser einer jeden derselben in der
Tiefe, nach einem verjüngten Maßstabe zu den Figuren der erhobenen Arbeit
selbst genommen werde, also, daß wenn zum Exempel der Durchmesser einer Figur
einen Fuß gehalten, die Maß des Profils ebenderselben Figur, nachdem sie halb
oder weniger erhoben gearbeitet werden soll, in drei Zoll oder weniger gebracht
werde; mit dieser notwendigen Beobachtung, daß die Profile perspektivisch nicht
allein gestellet, sondern in ihrer gehörigen Degradation verjünget werden
müssen. Je mehr Rundung der flach gehaltene Durchmesser einer Figur gibt, desto
größer ist die Kunst. Insgemein fehlet es der erhobenen Arbeit an der
Perspektiv; und wo Werke von dieser Art keinen Beifall gefunden, ist es
meistenteils aus diesem Grunde geschehen.
Da ich nur eine kleine Anmerkung über die erhobene
Arbeiten der Alten zu machen gedachte, merke ich, daß ich, wie jener alte
Redner, beinahe jemand nötig hätte, der mich wiederum in den Ton brächte. Ich
bin über meine Grenzen gegangen; und mich deucht, es sei eine gewisse Beobachtung
unter Skribenten, in Absicht der Erinnerungen über eine Schrift: keine zu
machen, als über ausdrücklich in der Schrift befindliche bedenkliche Punkte.
Zugleich erinnere ich mich, daß ich einen Brief und kein Buch schreiben will:
es fällt mir auch zuweilen ein, daß ich für mich selbst einen Unterricht ziehen
könnte,
ut vineta egomet caedam mea
Hor.
aus dem Ungestüm gewisser Leute wider den
Verfasser, die nicht zugeben wollen, daß man eins und das andere schreibe über
Dinge, wozu sie gedungen worden.
Die Römer hatten ihren Gott Terminus, der die
Aufsicht über die Grenzen und Marksteine überhaupt, und, wenn es diesen Herren
gefällt, auch über die Grenzen in Künsten und Wissenschaften hatte. Gleichwohl
urteileten Griechen und Römer über Werke der Kunst, die keine Künstler waren,
und ihr Urteil scheinet auch unsern Künstlern gültig. Ich finde auch nicht, daß
der Küster in dem Tempel des Friedens zu Rom, der das Register über den Schatz
von Gemälden der berühmtesten griechischen Meister, die daselbst aufgehänget
waren, haben mochte, sich ein Monopolium der Gedanken über dieselbe angemaßet,
da Plinius die Gemälde mehrenteils beschrieben,
publica materies privati iuris sit -
Hor.
Es wäre zu wünschen, daß Künstler selbst nach dem
Beispiel eines Pamphilos und eines Apelles die Feder ergreifen, und die
Geheimnisse der Kunst denenjenigen, welche dieselben zu nutzen verstehen,
entdecken möchten.
Ma di costor, che à lavorar s'accingono
Quattro quinti, per Dio, non sanno leggere
Salvatore Rosa. Sat. III.
Zween oder drei haben sich hier verdient gemacht;
die übrigen Skribenten unter ihnen haben uns nur historische Nachrichten von
ihren Mitbrüdern erteilet. Aber von der Arbeit, welche der berühmte Pietro da
Cortona und der Pater Ottonelli mit vereinigten Kräften angegriffen haben,
hätte man sich einen großen Unterricht auch für die späte Nachwelt der Künstler
versprechen können. Ihre Schrift ist unterdessen, außer den historischen Nachrichten,
die man in hundert Büchern besser finden kann, fast zu nichts weiter nützlich,
als
ne scombris tunicae desint piperique cuculli.
Sectani Sat.
Wie gemein und niedrig sind die Betrachtungen über
die Malerei von dem großen Nicolas Poussin, welche Bellori aus einer
Handschrift als etwas Seltenes mitteilet, und dem Leben dieses Künstlers
beigefüget hat?
Der Verfasser hat ohnzweifel nicht für Künstler
schreiben wollen; sie würden auch viel zu großmütig sein, als daß sie über eine
so kleine Schrift einen Aristarchos vorstellen wollten. Ich erinnere dem Verfasser
nur einige Kleinigkeiten, die ich einigermaßen einzusehen imstande bin; und ich
werde es noch mit einigen wenigen Bedenken wagen.
Auf der eilften Seite hat man sich unterstanden,
ein Urteil des Bernini vor ungegründet zu erklären, und wider einen Mann
aufzutreten, den man eine Schrift zu beehren nur hätte nennen dürfen. Bernini
war der Mann, der in ebendem Alter, in welchem Michelangelo die berühmte Kopie
eines Kopfs vom Pan, die man insgemein Studiolo nennet, gearbeitet hat, das
ist, im achtzehenden Jahre seines Alters eine Daphne machte, wo er gezeiget,
daß er die Schönheiten der Werke der Griechen kennenlernen, in einem Alter, wo
vielleicht noch Dunkelheit und Finsternis beim Raffael war.
Bernini war einer von den glücklichen Köpfen, die
zu gleicher Zeit Blüten des Frühlings, und Früchte des Herbsts zeigen, und ich
glaube nicht, daß man erweisen könne, daß sein Studium der Natur, woran er sich
in reifern Jahren gehalten, weder ihn selbst, noch seine Schüler durch ihn übel
geführet. Die Weichlichkeit seines Fleisches war die Frucht dieses Studii, und
hat den höchsten Grad des Lebens und der Schönheit, zu welchen der Marmor zu
erheben ist. Die Nachahmung der Natur gibt den Figuren des Künstlers Leben, und
belebt Formen, wie Sokrates sagt, und Kleiton der Bildhauer stimmet ihm bei.
»Die Natur selbst ist nachzuahmen, kein Künstler«; gab Lysippos der große
Bildhauer zur Antwort, da man ihn fragte, wem er unter seinen Vorgängern
folgere? Man wird nicht leugnen können, daß die eifrige Nachahmung der Alten
mehrenteils ein Weg zur Trockenheit werden kann, zu welcher die Nachahmung der Natur
nicht leicht verleiten wird. Diese lehret Mannigfaltigkeit, wie sie selbst
mannigfaltig ist, und die öftere Wiederholung wird Künstlern, welche die Natur
studieret haben, nicht können vorgeworfen werden. Guido, Lebrun und einige
andere, welche das Antike vornehmlich studieret, haben einerlei Gesichtszüge in
vielen Werken wiederholet. Eine gewisse Idee von Schönheit war ihnen dermaßen
eigen geworden, daß sie dieselbe ihren Figuren gaben, ohne es zu wollen.
Was aber die bloße Nachahmung der Natur mit Hintansetzung
des Antiken betrifft, so bin ich völlig der Meinung des Verfassers: aber zu
Beispielen von Naturalisten in der Malerei würde ich andere Meister gewählet
haben. Dem großen Jordaens ist gewiß zu viel geschehen. Mein Urteil soll hier
nicht allein gelten; ich berufe mich auf dasjenige, welches wie die übrigen
Urteile von Malern wenige verwerfen werden. »Jacob Jordaens« sagt ein Kenner
der Kunst, »hat mehr Ausdruck und Wahrheit als Rubens«.
»Die Wahrheit ist der Grund und die Ursach der
Vollkommenheit und der Schönheit; eine Sache, von was vor Natur sie auch ist,
kann nicht schön und vollkommen sein, wenn sie nicht wahrhaftig ist, alles was
sie sein muß, und wenn sie nicht alles das hat, was sie haben muß«.
Die Richtigkeit des obigen Urteils vorausgesetzt,
so wird nach dem Begriff von der Wahrheit in einer berühmten Originalschrift,
Jordaens mit mehrern Recht unter die größten Originale, als unter die Affen der
gemeinen Natur zu setzen sein: Ich würde hier an die Stelle dieses großen
Künstlers einen Rembrandt, und für den Stella einen Raoux oder einen Watteau
gesetzt haben; und alle diese Maler tun nichts anders, als was Euripides zu
seiner Zeit getan hat; sie stellen die Menschen vor, wie sie sind. In der Kunst
ist nichts klein und geringe; und vielleicht ist auch aus den sogenannten
holländischen Formen und Figuren ein Vorteil zu ziehen, so wie Bernini die
Karikaturen genutzet hat. Dergleichen übertriebenen Figuren hat er, wie man
versichert, eins der größten Stücke der Kunst zu danken gehabt, nämlich die
Freiheit seiner Hand; und seitdem ich dieses gelesen, habe ich angefangen etwas
anders zu denken über die Karikaturen, und ich glaube, man habe einen großen
Schritt in der Kunst gemacht, wenn man eine Fertigkeit in denselben erlanget
hat. Der Verfasser gibt es als einen Vorzug bei den Künstlern des Altertums an,
daß sie über die Grenzen der gemeinen Natur gegangen sind: tun unsere Meister
in Karikaturen nicht ebendieses? und niemand bewundert sie. Es sind vor einiger
Zeit große Bände von solcher Arbeit unter uns ans Licht getreten, und wenig
Künstler achten dieselben ihres Anblicks würdig.
Über die vierzehende Seite werde ich dem Verfasser
ein Urteil unserer Akademien vorlegen. Er behauptet mit dem Tone eines
Gesetzgebers, »die Richtigkeit des Konturs müsse allein von den Griechen
erlernet werden«. In unseren Akademien wird insgemein gelehret, daß die Alten
von der Wahrheit des Umrisses einiger Teile des Körpers wirklich abgegangen
sind, und daß an den Schlüsselbeinen, am Ellenbogen, am Schienbeine, an den
Knien, und wo sonst große Knorpel liegen, die Haut nur über die Knochen gezogen
scheinet, ohne wahrhaftig deutliche Anzeigung der Tiefen und Höhlungen, welche
die Apophyses und Knorpel an den Gelenken machen. Man weiset junge Leute an,
solche Teile, wo unter der Haut nicht viel Fleischigtes lieget, eckigter zu
zeichnen; und ebenso im Gegenteil, wo sich das meiste Fett ansetzet. Man hält
es ordentlich vor einen Fehler, wenn der Umriß gar zu sehr nach dem alten
Geschmacke ist. Ganze Akademien in corpore, die also lehren, werden doch, hoffe
ich, nicht irren können.
Parrhasios selbst, »der Größte im Kontur«, hat »die
Linie, welche das Völlige von dem überflüssigen scheidet,« nicht zu treffen
gewußt: Er ist, wie man berichtet, da er die Schwulst vermeiden wollen, in das
Magere verfallen. Und Zeuxis hat vielleicht seinen Kontur wie Rubens gehalten,
wenn es wahr ist, daß er völligere Teile gezeichnet, um seine Figuren
ansehnlicher und vollkommner zu machen. Seine weiblichen Figuren hat er nach
Homers Begriffen gebildet, dessen Weiber von starker Statur sind. Der zärtliche
Theokrit selbst malet seine Helena fleischigt und groß, und Raffaels Venus in
der Versammlung der Götter des kleinen Farnesischen Palastes in Rom, ist nach
gleichförmigen Ideen einer weiblichen Schönheit entworfen. Rubens hat also wie
Homer und wie Theokrit gemalet: was kann man mehr zu seiner Verteidigung sagen?
Der Charakter des Raffaels in der Schrift ist
richtig und wahr entworfen: aber würde nicht ebendas, was Antalkidas der
Spartaner einem Sophisten sagte, der eine Lobrede auf den Herkules ablesen
wollte, auch hier gelten? »Wer tadelt ihn«, sagte er. Was die Schönheiten
betrifft, die man in dem Raffael der Königlichen Galerie zu Dresden, und insbesondere
an dem Kinde auf den Armen der Madonna finden wollen, so urteilet man sehr
verschieden darüber.
? s? ?a?µa?e??, t???' ete???s? ?e???.
Lukian. Epigr. I.
Der Verfasser hätte ebenso rühmlich die Person
eines Patrioten annehmen können wider einige jenseit der Alpen, denen alles,
was niederländisch ist, Ekel macht:
Turpis Romano Belgicus ore color.
Propert. L. II. Eleg. 8.
Ist nicht die Zauberei der Farben etwas so
Wesentliches, daß kein Gemälde ohne dieselbe allgemein gefällt, und daß durch
dieselbe viel Fehler teils übergangen, teils gar nicht angemerket werden? Diese
machet nebst der großen Wissenschaft in Licht und Schatten den Wert der niederländischen
Stücke. Sie ist dasjenige in der Malerei, was der Wohlklang und die Harmonie
der Verse in einem Gedichte sind. Durch diese Zauberei der dichterischen Farben
verschwinden dessen Vergehungen, und derjenige, welcher ihn mit dem Feuer,
worin er gedichtet, lesen kann, wird durch die göttliche Harmonie in solche
Entzückung mit fortgerissen, daß er nicht Zeit hat an das, was anstößig ist, zu
gedenken.
Bei Betrachtung eines Gemäldes ist etwas, was
vorangehen muß; dieses ist die Belustigung der Augen, sagt jemand; und diese
bestehet in den ersten Reizungen, anstatt daß dasjenige, was den Verstand
rühret, allererst aus der Überlegung folget. Die Kolorit ist überdem allein
Gemälden eigen; Zeichnung suchet man in jedem Entwurfe, in Kupferstichen und
dergleichen; und diese scheinet in der Tat eher als jene von Künstlern erlanget
zu sein. Ein großer Skribent in der Kunst will auch bemerkt haben, daß die
Koloristen viel später als die dichterischen Maler in Ruf gekommen sind. Kenner
wissen, wie weit es dem berühmten Poussin in der Kolorit gelungen ist; und alle
diejenigen,
qui rern Romanam Latiumque augescere student.
Ennius.
werden hier die niederländischen Maler vor ihre
Meister erkennen müssen. Ein Maler ist ja eigentlich nichts anders, als ein
Affe der Natur, und je glücklicher er diese nachäffet, desto vollkommener ist
er.
Ast heic, quem nunc tu tam turpiter increpuisti.
Ennius
Der zärtliche van der Werff, dessen Arbeiten mit
Golde aufgewogen werden, und nur allein die Kabinette der Großen in der Welt
zieren, hat sie für jeden welschen Pinsel unnachahmlich gemacht. Es sind
Stücke, welche die Augen der Unwissenden, der Liebhaber und der Kenner auf sich
ziehen. »Ein jeder Poet, welcher gefällt«, sagt der kritische englische
Dichter, »hat niemals übel geschrieben«, und wenn der niederländische Maler
dieses erhält, so ist sein Beifall allgemeiner, als derjenige, den die
richtigste Zeichnung von Poussin hoffen kann.
Man zeige mir viel Gemälde von Erfindung,
Komposition und Kolorit, wie einige von Gerard de Lairesses Hand sind. Alle
unparteiische Künstler in Paris, die das allervorzüglichste, und ohne Zweifel
das erste Stück in dem Kabinett der Schildereien des Herrn de la Boixières
kennen, ich meine, die Stratonike, werden mir Beifall geben müssen.
Die Geschichte des Vorwurfs, welchen der Künstler
hier ausgeführet, ist nicht die gemeinste. König Seleukos I. trat seine
Gemahlin Stratonike, eine Tochter des berühmten Demetrios Poliorketes, seinem
Sohne Antiochos ab, der aus heftiger Neigung gegen die Königin, als seine
Stiefmutter, in eine gefährliche Krankheit gefallen war. Der Arzt Erasistratos
fand nach langen Forschen die wahre Ursach derselben, und zur Genesung des
Prinzen das einzige Mittel in der Gefälligkeit des Vaters gegen die Liebe
seines Sohns. Der König begab sich seiner Gemahlin, und ernennete zu gleicher
Zeit den Antiochos zum König der Morgenländer.
Lairesse hat ebendiese Geschichte zweimal gemalet:
die Stratonike des Herrn Boixières ist das kleinere, die Figuren halten etwa
anderthalb Fuß, und im Hinterwerke ist dieses verschieden von jenem.
Die Hauptperson des Gemäldes Stratonike ist die
edelste Figur; eine Figur, die der Schule des Raffaels selbst Ehre machen
könnte. Die schönste Königin,
colle sub Idaeo vincere digna deas
Ovid. Art.
Sie nahet sich mit langsamen und zweifelhaften
Schritten zu dem Bette ihres bestimmten neuen Gemahls; aber annoch mit Gebärden
einer Mutter, oder vielmehr einer heiligen Vestale. In ihrem Gesichte, welches
sich in dem schönsten Profil zeigt, lieset man Scham und zugleich eine
gefällige Unterwerfung unter dem Befehl des Königs. Sie hat das Sanfte ihres
Geschlechts, die Majestät einer Königin, die Ehrfurcht bei einer heiligen
Handlung, und alle Weisheit in ihrem Betragen, die in einem so feinen und
außerordentlichen Umstande, wie der gegenwärtige ist, erfordert wurde. Ihr
Gewand ist meisterhaft geworfen, und es kann die Künstler lehren, wie sie den
Purpur der Alten malen sollen. Es ist nicht allgemein bekannt, daß der Purpur
die Farbe von Weinblättern gehabt, wenn sie anfangen welk zu werden, und zu
gleicher Zeit ins Rötliche fallen.
König Seleukos stehet hinter ihr in einer dunklen
Kleidung, um die Hauptfigur noch mehr zu heben, und teils um die Stratonike
nicht in Verwirrung zu setzen, teils um den Prinzen nicht beschämt zu machen,
oder dessen Freude zu stören. Erwartung und Zufriedenheit schildern sich zu
gleicher Zeit in seinem Gesichte, welches der Künstler nach dem Profil der
besten Köpfe auf dessen Münzen genommen hat.
Der Prinz, ein schöner Jüngling, der auf seinem
Bette halb nackend aufgerichtet sitzt, hat die Ähnlichkeit vom Vater und von
seinen Münzen. Sein blasses Gesicht zeuget von dem Fieber, welches in seinen
Adern gewütet, allein man glaubt schon den Anfang der Genesung zu spüren aus
der wenigen aufsteigenden Röte, die nicht durch die Scham gewürkt worden.
Der Arzt und Priester Erasistratos, ehrwürdig wie
des Homers Kalchas, welcher vor dem Bette stehet, ist die aus Vollmacht des
Königs redende Person, und erkläret dem Prinzen den Willen des Königs; und indem
er ihm mit der einen Hand die Königin zuführet, so überreicht er ihm mit der
andern Hand das Diadem. Freude und Verwunderung wollen aus dem Gesichte des
Prinzen bei Annäherung der Königin hervorbrechen,
und jedem Blick von ihr wallt dessen Herz entgegen
Haller
die aber durch die Ehrfurcht in der edelsten Stille
erhalten werden, so daß er gleichsam sein Glück mit gebeugten Haupte zu
überdenken scheinet.
Alle Charakter, die der Künstler seinen handelnden
Personen gegeben, sind mit solcher Weisheit ausgeteilet, daß ein jeder
derselben dem andern Erhobenheit und Nachdruck zu geben scheinet.
Auf die Stratonike, als die Hauptperson fällt die
größte Masse des Lichts, und sie ziehet den ersten Blick auf sich. Der Priester
stehet im schwächern Lichte, er hebet sich aber durch die Aktion, die man ihm gegeben:
er ist der Redner, und außer ihm regieret eine allgemeine Stille und Aufmerksamkeit.
Der Prinz, welcher nach der Hauptfigur vornehmlich merkwürdig sein mußte, ist
mehr beleuchtet; und da des Künstlers Verstand zum vornehmsten Teil seines
Gruppo weislicher eine schöne Königin, als einen kranken Prinzen, der es
vermöge der Natur der Sachen hätte sein sollen, wählete, so ist dieser dennoch
dem Ausdruck nach, das Vorzüglichste im ganzen Gemälde. Die größten Geheimnisse
der Kunst liegen in dessen Gesicht.
Quales nequeo monstrare et sentio tantum.
Juvenal Sat. VII.
Die Regungen der Seele, die miteinander zu streiten
scheinen, fließen hier mit einer friedlichen Stille zusammen. Die Genesung
meldet sich in dem siechen Gesichte, so wie die Ankündigung der ersten nahen
Blicke der Morgenröte, die unter dem Schleier der Nacht selbst den Tag, und einen
schönen Tag zu versprechen scheinet.
Der Verstand und der Geschmack des Künstlers
breiten sich durch sein ganzes Werk aus bis auf die Vasen, die nach den besten
Werken des Altertums in dieser Art, entworfen sind. Das Tischgestell vor dem
Bette hat er, wie Homer, von Elfenbein gemacht.
Das Hinterwerk des Gemäldes stellet eine prächtige
griechische Baukunst vor, deren Verzierungen auf die Handlung selbst zu deuten
scheinen. Das Gebälke an einem Portal tragen Karyatiden, die einander umfassen,
als Bilder einer zärtlichen Freundschaft zwischen Vater und Sohn, und zugleich
einer ehelichen Verbindung.
Der Künstler zeigt sich bei aller Wahrheit seiner
Geschichte, als einen Dichter, und er machte seine Nebenwerke allegorisch, um
gewisse Umstände durch Sinnbilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des
Prinzen deuteten auf die Nachforschung des Arztes, und auf die besondere
Entdeckung der Ursach von der Krankheit desselben.
Man hat mir erzählt, daß junge Künstler jenseits
der Gebürge, die dieses Meisterstück gesehen, da ihnen der Arm des Prinzen, der
etwa um eine Linie zu stark sein mag, ins Gesicht gefallen, vorbeigegangen,
ohne nach den Vorwurf des Gemäldes selbst zu fragen. Wenn auch Minerva selbst
gewissen Leuten, wie dem Diomedes, wollte den Nebel wegnehmen, so würden sie
dennoch nicht erleuchtet werden.
- - Pauci dignoscere possunt
Vera bona atque illis multum diversa, remota
Erroris nebula.
Juvenal. Sat.
Ich habe eine lange Episode gemacht; ich finde es
aber gleichwohl billig, ein Werk, welches unter die ersten in der Welt kann
gesetzet werden, da es so wenig Kenner gefunden, bekannt zu machen. Ich komme
wieder auf die Schrift selbst.
Ich weiß nicht, ob dasjenige, was in Raffaels
Figuren der Begriff einer »edlen Einfalt und stillen Größe« in sich fassen
soll, nicht viel allgemeiner durch die sogenannte »Natur in Ruhe« von zwei
namhaften Skribenten bezeichnet worden. Es ist wahr, diese große Lehre gibt ein
vorzügliches Kennzeichen der schönsten griechischen Werke; aber die Anwendung
derselben bei jungen Zeichnern ohne Unterschied, würde vielleicht ebenso besorgliche
Folgen haben, als die Lehre einer körnigten Kürze in der Schreibart bei jungen
Leuten, welche sie verleiten würde, trocken, hart und unfreundlich zu
schreiben. »Bei jungen Leuten«, sagt Cicero, »muß allezeit etwas Überflüssiges
sein, wovon man etwas abzunehmen finde: denn dasjenige, was gar zu schnell zur
Reife gelanget ist, kann nicht lange Saft behalten. Von Weinstöcken sind die
gar zu jungen Schößlinge eher abgeschnitten, als neue Reben gezogen, wenn der
Stamm nichts taugt«. Außerdem werden Figuren in einer ungerührten Stille von
dem größten Teile der Menschen angesehen werden, so wie man eine Rede lesen
würde, welche ehemals vor den Areopagiten gehalten worden, wo ein scharfes
Gesetz dem Redner alle Erregung auch der menschlichsten und sanftesten
Leidenschaften untersagte; und alle dergleichen Bilder werden Schildereien von
jungen Spartanern vorzustellen scheinen, die ihre Hände unter ihren Mantel
verstecken, in der größten Stille einhertreten, und ihr Augen nirgendwohin,
sondern vor sich auf die Erde richten mußten.
Über die Allegorie in der Malerei bin ich mit dem
Verfasser auch nicht völlig einerlei Meinung. Durch die Anwendung derselben in
allen Vorstellungen, und an allen Orten würde in der Malerei ebendas geschehen,
was der Meßkunst durch die Algebre widerfahren ist: der Zugang zur einen Kunst
würde so schwer werden, als er zur andern geworden ist. Es kann nicht fehlen,
die Allegorie würde endlich aus allen Gemälden Hieroglyphen machen.
Die Griechen selbst haben nicht allgemein, wie uns
der Verfasser überreden will, ägyptisch gedacht. Der Plafond in dem Tempel der
Juno zu Samos war nicht gelehrter gemalet, als die Farnesische Galerie. Es
waren die Liebeshändel des Jupiters und der Juno; und in dem Fronten eines
Tempels der Ceres zu Eleusis war nichts, als die bloße Vorstellung einer
Gewohnheit bei dem Dienste dieser Göttin. Es waren zwei große Steine, die
aufeinanderlagen, zwischen welchen die Priester alle Jahr eine schriftliche Anweisung
über die jährlichen Opfer hervorsuchten; weil sie niemals ein Jahr wie das
andere waren.
Was die Vorstellung desjenigen, was nicht sinnlich
ist, betrifft, so hätte ich mehr Erklärung davon gewünscht; weil ich jemand
sagen hören, es verhalte sich mit Abbildung solcher Dinge, wie mit dem
mathematischen Punkte, der nur gedacht werden kann; und er stimmet demjenigen
bei, der die Malerei auf Dinge, welche nur sichtbar sind, einzuschränken
scheinet. Denn was die Hieroglyphen betrifft, fuhr er fort, durch welche die
abgesondersten Ideen angedeutet werden: als die Jugend durch die Zahl
sechszehn; die Unmöglichkeit durch zwei Füße auf dem Wasser; so müßte man
dieselben größtenteils mehr vor Monogrammen, als vor Bilder halten. Eine solche
Bildersprache würde Gelegenheit geben zu neuen Chimären, und würde schwerer,
als die chinesische zu erlernen sein: die Gemälde aber würden den Gemälden
dieser Nation nicht unähnlich werden.
Parrhasios, glaubt ebendieser Widersacher der
Allegorien, habe alle Widersprüche, die er bei den Atheniensern bemerket, ohne
Hülfe der Allegorie vorstellen können; und vielleicht hätte er es in mehr als
einem Stücke ausgeführet. Wenn er es auf diese Art nimmt,
et sapit, et mecum facit, et Iove iudicat aequo.
Hor.
Das Todesurteil über die Befehlshaber der
atheniensischen Flotte, nach ihrem Siege über die Lakedämonier, bei den
arginusischen Inseln, gab dem Künstler ein sehr sinnliches und reiches Bild,
die Athenienser gütig und zugleich grausam vorzustellen.
Der berühmte Theramenes, einer von den
Befehlshabern, klagte seine Kollegen an, daß sie die Körper der in der Schlacht
Gebliebenen nicht gesammlet, und ihnen die letzte Ehre erweisen lassen. Dieses
war hinreichend, den größten Teil des Volks in Wut zu setzen wider die Sieger,
von welchen nur sechs nach Athen zurückkamen; die übrigen waren dem Sturm
ausgewichen. Theramenes hielt eine sehr rührende Rede, in welcher er öftere
Pausen machte, um die Klagen derjenigen, die ihre Eltern oder Anverwandte
verloren hatten, hören zu lassen. Er ließ zu gleicher Zeit einen Menschen
auftreten, welcher vorgab, die letzten Worte der Ertrunkenen gehört zu haben,
die um Rache geschrien wider ihre Befehlshaber. Sokrates der Weise, welcher
damals ein Glied des Rats war, erklärte sich nebst etlichen andern wider die
Anklage; aber vergebens: die tapferen Sieger wurden anstatt der
Ehrenbezeugungen, die sie hoffen konnten, zum Tode verurteilet. Einer unter
ihnen war der einzige Sohn des Perikles von der berühmten Aspasia.
Parrhasios, der diese Begebenheit erlebet hat, war
um so viel geschickter, durch die wahren Charakter der hier handelnden Personen
seinem Bilde ohne Allegorie eine Deutung zu geben, die weiter, als auf die
bloße Vorstellung einer Geschichte ging; als welche noch itzo einem Künstler
bequem genug sein könnte, ebenden Widerspruch in dem Charakter der Athenienser
zu schildern.
Und endlich, meinet ebenderselbe, komme dasjenige,
was man Künstlern, und sonderlich Malern in Absicht der Allegorie aufzubürden
sucht, auf ebendie Forderung hinaus, die Columella an einen Landmann macht. Er
sähe gern, daß er ein Weltweiser wäre, wie Demokritos, Pythagoras und Eudoxos
gewesen.
Kann man hoffen mit den Allegorien in Verzierungen
glücklicher zu sein, als mit denen in Gemälden? Mich deucht, der Verfasser
würde mehr Schwierigkeit finden, seine vermeinte gelehrte Bilder hier anzubringen,
als Vergil fand, die Namen eines Vibius Caudex, eines Tanaquil Lucumo, oder
eines Decius Mus in heroische Verse zu setzen.
Man sollte vermuten, das Muschelwerk würde in
Verzierungen der Baukunst und sonst angebracht, nunmehro mit allgemeinen
Beifall angenommen zu sein scheinen können. Ist denn weniger Natur in der
Zierde, die dasselbe geben soll, als in den korinthischen Kapitälern, wenn man
auf den bekannten vorgegebenen Ursprung derselben siehet? Ein Korb, den man auf
das Grab eines jungen Mädchens von Korinth mit einigen Spielsachen von ihr
angefüllet, gesetzt, und mit einem breiten Ziegel bedeckt hatte, gab
Gelegenheit zu der Form dieses Kapitals. Es wuchs unter demselben die Pflanze
Akanthus hervor, die denselben bekleidete. Der Bildhauer Kallimachos fand an
diesem bewachsenen Korbe so viel Artiges, daß er das erste Kapital zu einer
korinthischen Säule nach diesem Modelle arbeitete.
Dieses Kapital ist also ein Korb mit Blättern, und
er soll das ganze Gebälke auf einer Säule tragen. Vielleicht fand man es zu
Perikles Zeiten noch nicht der Natur und Vernunft gemäß genug, da es einem
berühmten Skribenten fremde scheinet, daß man anstatt der korinthischen Säulen,
dem Tempel der Minerva zu Athen dorische gegeben hat. Mit der Zeit wurde diese
scheinbare Ungereimtheit zur Natur, und man gewöhnete sich einen Korb, auf dem
ein ganzes Gebäude ruhete, nicht mehr als anstößig anzusehen;
quodque fuit vitium, desinit esse mora.
Ovid. Art.
Unsere Künstler überschreiten ja keine in der Kunst
vorgeschriebene Gesetze, wenn sie neue Zieraten, die allezeit willkürlich
gewesen, erdenken: die Erfindung ist itzo mit keinen Strafgesetzen, wie bei den
Ägyptern, beleget. Das Gewächs und die Form einer Muschel haben jederzeit etwas
so Liebliches gehabt, daß Dichter und Künstler sogar ungewöhnlich große
Muscheln erdacht, und dieselben der Göttin der Liebe zu einem Wagen zugegeben
haben. Das Schild Ancile, welches bei den Römern ebendas, was in Troja das Palladium
war, hatte Einschnitte in Form einer Muschel; und es sind sogar alte Lampen mit
Muscheln gezieret.
Die so leicht und frei gelegten muschelförmigen
Schilder scheinet die Natur selbst nach den wunderbaren Wendungen unendlich
verschiedener Seeschnecken den Künstlern dargeboten zu haben.
Es ist meine Absicht im geringsten nicht, mich zu
einen Sachwalter der ungeschickten Verzierer unserer Zeit aufzuwerfen: ich will
nur diejenigen Gründe einer ganzen Zunft (die Künstler werden mir hier dieses
Wort verzeihen) anführen, durch welche dieselbe die Gründlichkeit ihres Verfahrens
darzutun gesucht haben; man wird hier Billigkeit genug finden.
Es wird erzählet, die Maler und Bildhauer in Paris
hätten denenjenigen, welche Verzierungen arbeiten, den Namen der Künstler
streitig machen wollen, weil weder der Verstand des Arbeiters noch des
Liebhabers in ihren Werken eine Beschäftigung finde, indem sie nicht durch die
Natur, sondern durch eine gezwungene Kunst erzeuget worden. Ihre Verteidigung
soll folgende gewesen sein.
Wir folgen der Natur in unserer Arbeit, und unsere
Verzierungen bilden sich, wie die Rinde eines Baums, aus verschiedenen
willkürlichen Einschnitten in dieselbe. Die Rinde wächst in mancherlei
Gestalten.
Alsdenn tritt die Kunst zur spielenden Natur, und
verbessert und hilft derselben. Dieses ist der Weg, den wir in unsern
Verzierungen nehmen und der Augenschein gibt, daß die mehresten derselben, auch
in den Werken der Alten, von Bäumen, von Pflanzen, und deren Früchten und
Blumen genommen worden.
Die erste und allgemeine Regel ist also hier die
Mannigfaltigkeit, (wenn man der angeführten Verteidigung Recht will widerfahren
lassen) und nach dieser würkt die Natur, wie es scheinet, ohne Beobachtung
anderer Regeln. Diese Einsicht zeigte in den Verzierungen diejenige Art, welche
die heutigen Künstler gewählet haben. Sie lerneten erkennen, daß in der Natur
nichts dem andern gleich ist; sie gingen von der ängstlichen Zwillingsform ab,
und überließen den Teilen ihrer Verzierungen, sich zusammenzufügen, so wie
Epikurs Atomen getan. Eine Nation, die sich in neuern Zeiten von allem Zwange
in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst frei gemacht, wurde auch in der
Freiheit in diesem Teile der Kunst unser Lehrer. Man gab dieser Art zu arbeiten
die Benennung des Barockgeschmacks, vermutlich von einem Worte, welches
gebraucht wird bei Perlen und Zähnen, die von ungleicher Größe sind.
Und endlich hat ja eine Muschel, glaube ich, eben
ein so gutes Recht, ein Teil der Zieraten zu sein, als es ein Ochsen- oder
Schafskopf hat. Es ist bekannt, daß die Alten dergleichen von der Haut
entblößte Köpfe in die Friesen, sonderlich der dorischen Säulenordnung zwischen
den Dreischlitzen, oder in die Metopen, gesetzt. Sie befinden sich sogar in
einem korinthischen Fries eines alten Tempels der Vesta zu Tivoli: an
Grabmälern: wie an einem Grabmale des Metellischen Geschlechts bei Rom, und
einem Grabmale des Munatius Plancus bei Gaeta: an Vasen: wie an zwei derselben,
unter den Königlichen Altertümern in Dresden. Einige neuere Baumeister, die
diese Köpfe vielleicht als unanständig angesehen, haben an deren Stelle ihre
dorischen Friesen teils mit Donnerkeilen, dergleichen Jupiter zu führen
pfleget; wie Vignola: teils mit Rosen; wie Palladio und Scamozzi gezieret.
Wenn also Verzierungen eine Nachahmung des Spiels
der Natur sind, wie aus Obigen folgen kann, so wird alle angebrachte
Gelehrsamkeit der Allegorie dieselben nicht schöner machen, sondern vielmehr
verderben. Man wird auch wahrhaftig nicht viel Exempel beibringen können, wo
die Alten allegorisch gezieret haben.
Ich weiß zum Exempel nicht, was vor eine Schönheit,
oder vor eine Bedeutung der berühmte Graveur Mentor in der Eidechse gesucht
hat, die er auf einem Becher gegraben. Denn
- picti squalentia terga lacerti
Verg. Georg. IV. 13.
sind zwar das lieblichste Bild auf einem
Blumenstücke einer Rachel Ruysch, nicht aber auf einem Trinkgeschirre. Was vor
eine geheime Bedeutung haben Weinstöcke mit Vögeln, welche von den Trauben an
denselben fressen, auf einem Aschentopfe? Vielleicht sind diese Bilder ebenso
leer und willkürlich anzusehen, als es die in einem Mantel gewürkte Fabel vom
Ganymedes ist, mit welchem Aeneas den Cloanthus, als einen Preis in den
Wettspielen zu Schiffe, beschenkte.
Und was vor Widersprechendes haben endlich Trophäen
auf ein fürstliches Jagdhaus? Glaubt der Verfasser, als ein eifriger Verfechter
des griechischen Geschmacks, es erstrecke sich derselbe sogar bis auf die
Nachahmung Königs Philippi, und der Makedonier überhaupt, von denen Pausanias
meldet, daß sie sich selbst keine Trophäen errichtet haben? Eine Diana mit
einigen Nymphen in ihrem Gefolge, nebst ihrem übrigen Jagdzeuge,
quales exercet Diana choros, quam mille secutae
Hinc atque hinc glomerantur Oreades - -
Verg.
schiene etwa dem Orte gemäßer zu sein. Die alten
Römer hängeten ja außen an der Türe ihrer Häuser die Waffen überwundener Feinde
auf, die der Käufer nicht herabnehmen durfte, um dem Eigentümer des Hauses eine
immerwährende Erinnerung zur Tapferkeit zu geben. Hat man bei Trophäen
vorzeiten diese Absicht gehabt, so glaube ich, können dieselbe nirgend zur
Unzeit für große Herren angebracht werden.
Ich wünsche bald eine Antwort auf mein Schreiben zu
sehen. Es kann Sie, mein Freund, nicht sehr befremden, daß es öffentlich
erscheinet: in der Zunft der Schriftsteller ist man seit einiger Zeit mit
Briefen verfahren, wie auf dem Theater, wo ein Liebhaber, der mit sich selbst
spricht, zu gleicher Zeit das ganze Parterre als seine vertrautesten Freunde
ansiehet. Man findet es aber im Gegenteil nicht weniger billig, Antworten
quos legeret tereretque viritim publicus usus
Hor.
anzunehmen,
- et hanc veniam petimusque damusque vicissim.
Hor.
Erläuterung
der Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst;und
Beantwortung des Sendschreibens über diese Gedanken.
Ich habe nicht geglaubet, daß meine kleine Schrift
einiges Aufmerken verdienen, und Urteile über sich erwecken würde. Sie ist nur
für einige Kenner der Künste geschrieben, und dieserwegen schien es überflüssig,
ihr einen gewissen gelehrten Anstrich zu geben, den eine Schrift durch Anführungen
von Büchern erhalten kann. Künstler verstehen, was man mit halben Worten von
der Kunst schreibet, und da es der größte Teil unter ihnen vor »töricht hält«
und halten muß, »auf das Lesen mehr Zeit zu wenden als auf das Arbeiten«, wie
ein alter Redner lehret, so macht man, wenn man sie nichts Neues lehren kann,
sich wenigstens durch die Kürze bei ihnen gefällig; und ich bin überhaupt der
Meinung, da das Schöne in der Kunst mehr auf feine Sinnen und auf einen
geläuterten Geschmack, als auf ein tiefes Nachdenken beruhet, daß des
Neoptolemos Satz, »philosophiere; aber mit wenigen«, sonderlich in Schriften
dieser Art zu beobachten sei.
Einige Stellen in meiner Schrift würden eine
Erklärung annehmen, und da eines Ungenannten Erinnerungen über dieselbe an das
Licht getreten sind, so wäre es billig, daß ich mich erklärte und zugleich
antwortete. Die Umstände aber, in welchen ich mich bei meiner nahe
bevorstehenden Reise befinde, verstatten mir weder dieses noch jenes nach
meinen gemachten Entwurfe auszuführen. Von etlichen Bedenken wird auch der
Verfasser des Sendschreibens, seiner Billigkeit gemäß, meine Antwort im voraus
haben erraten können; nämlich keine Antwort zu erhalten. Ebenso ungerührt höre
ich das Geschrei wider die Stücke vom Correggio an, von denen man gewiß weiß,
daß sie nicht allein nach Schweden gekommen, sondern daß sie auch im
königlichen Stalle zu Stockholm gehänget haben. Meine Verteidigung würde
wenigstens nicht viel anders werden, als des Aemilius Scaurus seine wider den
Valerius von Sucro war: »Dieser leugnet, ich bejahe; Römer! wem von beiden
glaubt ihr?«
Im übrigen kann diese Nachricht noch weniger bei
mir als bei den Herrn Grafen von Tessin selbst zum Nachteil der schwedischen
Nation gedeutet werden. Ich weiß nicht, ob der belesene Verfasser der umständlichen
Lebensbeschreibung der Königin Christina anders geurteilet hat; weil er uns
ohne alle Nachricht gelassen über den Schatz von Gemälden, der von Prag nach
Stockholm gebracht worden; über die gegen den Maler Bourdon bezeugte unerfahrne
Freigebigkeit der Königin; und über den schlechten Gebrauch, den man von so
berühmten Stücken des Correggio gemacht hat. In einer Reisebeschreibung durch
Schweden von einem berühmten Manne in Diensten dieser Krone wird gemeldet, daß
in Linköping ein mit sieben Dozenten versehenes Gymnasium, aber kein einziger
Handwerker noch Arzt sei. Dieses könnte dem Verfasser übel gedeutet werden, und
gleichwohl muß es nicht geschehen sein.
Über die Nachlässigkeiten in den Werken der
griechischen Künstler würde ich mich bei erlaubter Muße umständlicher erkläret
haben. Die Griechen kannten die gelehrte Nachlässigkeit; wie ihr Urteil über
das Rebhuhn des Protogenes zeiget: aber man weiß auch, daß es der Maler ganz
und gar ausgelöschet hat. Der Jupiter des Phidias aber war nach den erhabensten
Begriffen der Gottheit, die alles erfüllet, gearbeitet; es war ein Bild wie des
Homers Eris, die auf der Erde stand, und mit dem Kopf bis in den Himmel reichte;
es war gleichsam nach dem Sinn der heiligsten Dichtkunst entworfen: »Wer kann
ihn fassen etc.« Man ist so billig gewesen, dergleichen Freiheit, die sich
Raffael genommen, von den natürlichen Verhältnissen in seinem Karton vom
Fischzuge Petri abzugehen, zu entschuldigen, ja dieselbe nötig zu finden. Die
Kritik über den Diomedes scheinet mir gründlich; aber deswegen nicht wider
mich: Die Aktion desselben an und vor sich betrachtet, der edle Umriß und der
Ausdruck werden allezeit unsern Künstlern ein großes Beispiel zur Nachahmung
bleiben können: und weiter war der Diomedes des Dioskurides meiner Absicht
nicht gemäß.
Meine Gedanken von der Nachahmung der griechischen
Werke in der Malerei und Bildhauerkunst betreffen vier Hauptpunkte. I. Von der
vollkommenen Natur der Griechen. II. Von dem Vorzug ihrer Werke. III. Von der
Nachahmung derselben. IV. Von der Griechen ihrer Art zu denken in Werken der
Kunst, sonderlich von der Allegorie.
Den ersten Punkt habe ich wahrscheinlich zu machen
gesuchet: bis zur völligen Überzeugung werde ich hier, auch mit den seltensten
Nachrichten nicht gelangen können. Diese Vorzüge der Griechen scheinen sich
vielleicht weniger auf die Natur selbst, und auf den Einfluß des Himmels, als
auf die Erziehung derselben zu gründen.
Unterdessen war die glückselige Lage ihres Landes
allezeit die Grundursach, und die Verschiedenheit der Luft und der Nahrung
machte unter den Griechen selbst den Unterschied, der zwischen den Atheniensern
und ihren nächsten Nachbarn jenseit des Gebürges war.
Die Natur eines jeden Landes hat ihren Eingebornen
sowohl, als ihren neuen Ankömmlingen eine ihr einige Gestalt, und eine ähnliche
Art zu denken gegeben. Die alten Gallier waren eine Nation, wie es die Franken
aus Deutschland, ihre Nachkommen geworden sind. Die erste und blinde Wut in
Angriffen war jenen schon zu Cäsars Zeiten ebenso nachteilig, wie es sich bei
diesen in neuern Zeiten gezeiget hat. Jene hatten gewisse andere Eigenschaften,
welche der Nation noch itzo eigen sind, und Kaiser Julian berichtet, daß zu
seiner Zeit mehr Tänzer, als Bürger in Paris gewesen.
Die Spanier hingegen handelten allezeit behutsam
und mit einem gewissen kalten Blute; und ebendadurch machten sie den Römern die
Eroberung ihres Landes so schwer.
Man urteile, ob die Westgoten, Mauretanier, und
andere Völker, die dieses Land überschwemmet, nicht den Charakter der alten
Iberer angenommen haben. Man nehme die Vergleichung zu Hülfe, die ein berühmter
Skribent bei einigen Nationen über die ehemaligen und jetzigen Eigenschaften derselben
machet.
Ebenso würksam muß sich auch der Himmel und die
Luft bei den Griechen in ihren Hervorbringungen gezeiget haben, und diese
Wirkung muß der vorzüglichen Lage des Landes gemäß gewesen sein. Eine gemäßigte
Witterung regierte durch alle Jahrszeiten hindurch, und die kühlen Winde aus
der See überstrichen die wollüstigen Inseln im ionischen Meere, und die
Seegestade des festen Landes; und vermutlich auch aus diesem Grunde waren im
Peloponnes alle Orte an der See angeleget, wie Cicero aus des Dikaiarchos
Schriften zu behaupten suchet.
Unter einem so gemäßigten, und zwischen Wärme und
Kälte gleichsam abgewogenen Himmel spüret die Kreatur einen gleich ausgeteilten
Einfluß desselben. Alle Früchte erhalten ihre völlige Reife, und selbst die
wilden Arten derselben gehen in eine bessere Natur hinüber; so wie bei Tieren,
welche besser gedeihen und öfter werfen. Ein solcher Himmel, sagt Hippokrates,
bildet unter Menschen die schönsten und wohlgebildetesten Geschöpfe und
Gewächse, und eine Übereinstimmung der Neigungen mit der Gestalt. Das Land der
schönen Menschen, Georgien, beweiset dieses, welches ein reiner und heiterer
Himmel mit Fruchtbarkeit erfüllet. Das Wasser allein soll so viel Anteil haben
an unserer Gestalt, daß die Indianer sagen, es könne keine Schönheiten geben in
Ländern, wo kein gut Wasser sei; und das Orakel selbst gibt dem Wasser der
Arethusa die Würkung, schöne Menschen zu machen.
Mich deucht, man könne auch aus der Sprache der
Griechen auf die Beschaffenheit ihrer Körper urteilen. Die Natur bildet bei
jedem Volke die Werkzeuge der Sprache nach dem Einflusse des Himmels in ihren
Ländern, also daß es Geschlechter gibt, welche wie die Troglodyten mehr pfeifen
als reden, und andere, die ohne Bewegung der Lippen reden können. Die Phasianer
in Griechenland hatten, wie man es von den Engländern sagt, einen heiseren
Laut.
Unter einem rauchen Himmel werden harte Töne
formiert, und die Teile des Körpers, welche hierzu dienen, haben nicht die
feinsten sein dürfen.
Der Vorzug der griechischen vor allen bekannten
Sprachen ist unstreitig: ich rede hier nicht von dem Reichtume, sondern von dem
Wohlklange derselben. Alle nordische Sprachen sind mit Konsonanten überladen,
welches ihnen oftmals ein unfreundliches Wesen gibt. In der griechischen
Sprache hingegen sind die Vokalen mit jenen dergestalt abgewechselt, daß ein
jeder Konsonant seinen Vokalen hat, der ihn begleitet: zwei Vokalen aber stehen
nicht leicht bei einem Konsonant, daß nicht sogleich durch die Zusammenziehung
zwei in einem sollten gezogen werden. Das Sanfte der Sprache leidet nicht, daß
sich eine Silbe mit den drei rauhen Buchstaben (TF?) endige, und die Verwechselung
der Buchstaben, die mit einerlei Werkzeug der Rede gebildet werden, hatte
füglich statt, wenn dadurch der Härte des Lauts konnte abgeholfen werden.
Einige uns scheinbar harte Worte können keinen Einwurf machen, da wir die wahre
Aussprache der griechischen sowenig als der römischen Sprache wissen. Dieses
alles gab der Sprache einen sanften Fluß, machte den Klang der Worte mannigfaltig,
und erleichterte zu gleicher Zeit die unnachahmliche Zusammensetzung derselben.
Ich will nicht anführen, daß allen Silben auch im gemeinen Reden ihre wahre
Abmessung konnte gegeben werden, woran sich in den abendländischen Sprachen
nicht gedenken läßt. Sollte man nicht aus dem Wohlklange der griechischen
Sprache auf die Werkzeuge der Sprache selbst schließen können? Man hat daher
einiges Recht zu glauben, Homer verstehe unter der Sprache der Götter die
griechische, und unter der Sprache der Menschen die phrygische.
Der Überfluß der Vokalen war vornehmlich dasjenige,
was die griechische Sprache vor andern geschickt machte, durch den Klang und
durch die Folge der Worte aufeinander die Gestalt und das Wesen der Sache
selbst auszudrücken. Zwei Verse im Homer machen den Druck, die Geschwindigkeit,
die verminderte Kraft im Eindringen, die Langsamkeit im Durchfahren, und den
gehemmten Fortgang des Pfeils, welchen Pandaros auf den Menelaos abschoß,
sinnlicher durch den Klang als durch die Worte selbst. Man glaubt den Pfeil
wahrhaftig abgedruckt, durch die Luft fahren, und in den Schild des Menelaos eindringen
zu sehen.
Die Beschreibung des von Achilles gestellten
Haufens seiner Myrmidonen, wo Schild an Schild, und Helm an Helm, und Mann an
Mann schloß, ist von dieser Art, und die Nachahmung derselben ist allezeit
unvollkommen geraten. Ein einziger Vers enthält diese Beschreibung; man muß ihn
aber lesen, um die Schönheiten zu fühlen. Der Begriff von der Sprache würde bei
dem allen unrichtig sein, wenn man sich dieselbe als einen Bach, der ohne alles
Geräusch (eine Vergleichung über des Plato Schreibart) vorstellen wollte; sie
wurde ein gewaltiger Strom, und konnte sich erheben, wie die Winde, die des
Ulysses Segel zerrissen. Nach dem Klange der Worte, die nur einen drei- oder
vierfachen Riß beschrieben, scheinet das Segel in tausend Stücke zu platzen.
Aber außer einem so wesentlichen Ausdrucke fand man dergleichen Worte hart und
unangenehm.
Eine solche Sprache erforderte also feine und
schnelle Werkzeuge, für welche die Sprachen anderer Völker, ja die römische
selbst nicht gemacht schienen; so daß sich ein griechischer Kirchenvater
beschweret, daß die römischen Gesetze in einer Sprache, die schrecklich klinge,
geschrieben wären.
Wenn die Natur bei dem ganzen Baue des Körpers, wie
bei den Werkzeugen der Sprache verfähret, so waren die Griechen aus einem
feinen Stoffe gebildet; Nerven und Muskeln waren aufs empfindlichste elastisch,
und beförderten die biegsamsten Bewegungen des Körpers. In allen ihren
Handlungen äußerte sich folglich eine gewisse gelenksame und geschmeidige
Gefälligkeit, welche ein munteres und freudiges Wesen begleitete. Man muß sich
Körper vorstellen, die das wahre Gleichgewicht zwischen dem Mageren und
Fleischigten gehalten haben. Die Abweichung auf beiden Seiten war den Griechen
lächerlich, und ihre Dichter machen sich lustig über einen Kinesias, einen
Philetas, und über einen Agorakritos.
Dieser Begriff von der Natur der Griechen könnte
dieselben vielleicht als Weichlinge vorstellen, die durch den zeitigen und
erlaubten Genuß der Wollüste noch mehr entkräftet worden sind. Ich kann mich
hierauf durch des Perikles Verteidigung der Athenienser gegen Sparta, in
Absicht ihrer Sitten, einigermaßen erklären, wenn mir erlaubt ist, dieselbe auf
die Nation überhaupt zu deuten: Denn die Verfassung in Sparta war fast in allen
Stücken von der übrigen Griechen ihrer verschieden. »Die Spartaner«, sagt
Perikles, »suchen von ihrer Jugend an durch gewaltsame Übungen eine männliche
Stärke zu erlangen; wir aber leben in einer gewissen Nachlässigkeit, und wir
wagen uns nichtsdestoweniger in ebenso große Gefährlichkeiten; und da wir mehr
mit Muße, als mit langer Überdenkung der Unternehmungen, und nicht sowohl nach
Gesetzen, als durch eine großmütige Freiwilligkeit der Gefahr entgegengehen, so
ängstigen wir uns nicht über Dinge, die uns bevorstehen, und wenn sie wirklich
über uns kommen, so sind wir nicht weniger kühn, sie zu ertragen, als
diejenigen, welche sich durch eine anhaltende Übung dazu anschicken. Wir lieben
die Zierlichkeit ohne Übermaße und die Weisheit ohne Weichlichkeit. Unser
Vorzügliches ist, daß wir zu großen Unternehmungen gemacht sind«.
Ich kann und will nicht behaupten, daß alle
Griechen gleich schön gewesen sind: unter den Griechen vor Troja war nur ein
Thersites. Dieses aber ist merkwürdig, daß in den Gegenden, wo die Künste
geblühet haben, auch die schönsten Menschen gezeuget worden. Theben war unter
einem dicken Himmel gelegen, und die Einwohner waren dick und stark, auch nach
des Hippokrates Beobachtung über dergleichen sumpfigte und wäßrigte Gegenden.
Es haben auch die Alten schon bemerket, daß diese Stadt, außer dem einzigen
Pindaros, ebensowenig Poeten und Gelehrte aufzeigen können, als Sparta, außer
dem Alkman. Das attische Gebiet hingegen genoß einen reinen und heitern Himmel,
welcher feine Sinne würkte, (die man den Atheniensern beileget,) folglich
diesen proportionierte Körper bildete; und in Athen war der vornehmste Sitz der
Künste. Ebendieses ließe sich erweisen von Sikyon, Korinth, Rhodos, Ephesos
usw. welches Schulen der Künstler waren, und wo es also denselben an schönen
Modellen nicht fehlen konnte. Den Ort, welcher in dem Sendschreiben aus dem
Aristophanes zum Beweise eines natürlichen Mangels bei den Atheniensern
angeführet worden, nehme ich, wie er muß genommen werden. Der Scherz des Poeten
gründet sich auf eine Fabel vom Theseus. Mäßig völlige Teile an dem Orte, wo
sedet
aeternumque sedebit
Infelix Theseus, Verg.
waren eine attische Schönheit. Man sagt, daß
Theseus aus seinem Verhafte bei den Thesprotiern nicht ohne Verlust der Teile,
von welchen geredet wird, durch den Herkules befreiet worden, und daß er dieses
als ein Erbteil auf seine Nachkommen gebracht habe. Wer also beschaffen war,
konnte sich rühmen, in gerader Linie von dem Theseus abzustammen, so wie ein
Geburtsmal in Gestalt eines Spießes einen Nachkommen von den Spartis bedeutete.
Man findet auch, daß die griechischen Künstler an diesem Orte die Sparsamkeit
der Natur bei ihnen, nachgeahmet haben.
In Griechenland selbst war unterdessen allezeit
derjenige Stamm von der Nation, in welcher sich die Natur freigebig, doch ohne
Verschwendung erzeigte. Ihre Kolonien in fremde Länder hatten beinahe das
Schicksal der griechischen Beredsamkeit, wenn diese aus ihren Grenzen ging.
»Sobald die Beredsamkeit«, sagt Cicero, »aus dem atheniensischen Hafen auslief,
hat sie in allen Inseln, welche sie berühret hat, und in ganz Asien, welches
sie durchzogen ist, fremde Sitten angenommen, und ist völlig ihres gesunden
attischen Ausdrucks, gleichsam wie ihrer Gesundheit, beraubet worden«. Die
Ionier, welche Neleus nach der Wiederkunft der Herakliden aus Griechenland nach
Asien führete, wurden unter dem heißeren Himmel noch wollüstiger. Ihre Sprache
hatte wegen der gehäuften Vokalen in einem Worte, noch mehr Spielendes. Die
Sitten der nächsten Inseln waren unter einerlei Himmelstrich von den ionischen
nicht verschieden. Eine einzige Münze der Insel Lesbos kann hier zum Beweise
dienen. In der Natur ihrer Körper muß sich also auch eine gewisse Abartung von
ihren Stammvätern gezeiget haben.
Noch eine größere Veränderung muß unter
entfernteren Kolonien der Griechen vorgegangen sein. Diejenige, welche sich in
Afrika, in der Gegend Pithicussa niedergelassen hatten, fingen an die Affen so
ernstlich als die Eingebornen anzubeten; sie nenneten ihre Kinder sogar nach
diesem Tiere.
Die heutigen Einwohner in Griechenland sind ein
Metall, das mit dem Zusatz verschiedener andern Metalle zusammengeschmolzen
ist, an welchen aber dennoch die Hauptmasse kenntlich bleibt. Die Barbarei hat
die Wissenschaften bis auf dem ersten Samen vertilget, und Unwissenheit
bedecket das ganze Land. Erziehung, Mut und Sitten sind unter einem harten
Regimente erstickt, und von der Freiheit ist kein Schatten übrig. Die Denkmale des
Altertums werden von Zeit zu Zeit noch mehr vertilget, teils weggeführet; und
in englischen Gärten stehen itzo Säulen von dem Tempel des Apollo zu Delos.
Sogar die Natur des Landes hat durch Nachlässigkeit seine erste Gestalt
verloren. Die Pflanzen in Kreta wurden allen andern in der Welt vorgezogen, und
itzo siehet man an den Bächen und Flüssen, wo man sie suchen sollte, nichts als
wilde Ranken und gemeine Kräuter. Und wie kann es anders sein, da ganze
Gegenden, wie die Insel Samos, die mit Athen einen langwierigen und kostbaren
Krieg zur See aushalten konnte, wüste liegen.
Bei aller Veränderung und traurigen Aussicht des
Bodens, bei dem gehemmten freien Strich der Winde durch die verwilderte und
verwachsene Ufer, und bei dem Mangel mancher Bequemlichkeit, haben dennoch die
heutigen Griechen viel natürliche Vorzüge der alten Nation behalten. Die
Einwohner vieler Inseln, (welche mehr als das feste Land von Griechen bewohnt
werden) bis in Kleinasien, sind die schönsten Menschen, sonderlich was das
schöne Geschlecht betrifft, nach aller Reisenden Zeugnis.
Die attische Landschaft gibt noch itzo, so wie
ehemals, einen Blick von Menschenliebe. Alle Hirten und alle Arbeiter auf dem
Felde hießen die beiden Reisegefährten Spon und Wheler willkommen, und kamen
ihnen mit ihren Grüßen und Wünschen zuvor. An den Einwohnern bemerkt man noch
itzo einen sehr feinen Witz, und eine Geschicklichkeit zu allen Unternehmungen.
Es ist einigen eingefallen, daß die frühzeitige
Übungen der schönen Form der griechischen Jugend mehr nachteilig als
vorteilhaft gewesen. Man könnte glauben, daß die Anstrengung der Nerven und
Muskeln dem jugendlichen Umrisse zarter Leiber anstatt des sanften Schwungs
etwas Eckigtes und Fechtermäßiges gegeben. Die Antwort hierauf liegt zum Teil
in dem Charakter der Nation. Ihre Art zu handeln und zu denken war leicht und
natürlich; ihre Verrichtungen geschahen, wie Perikles sagt, mit einer gewissen
Nachlässigkeit, und aus einigen Gesprächen des Plato kann man sich einen
Begriff machen, wie die Jugend unter Scherz und Freude ihre Übungen in ihren
Gymnasien getrieben; und daher will er in seiner Republik, daß alte Leute sich
daselbst einfinden sollen, um sich der Annehmlichkeiten ihrer Jugend zu
erinnern.
Ihre Spiele nahmen mehrenteils bei Aufgang der
Sonne ihren Anfang, und es geschahe sehr oft, daß Sokrates so früh diese Orte
besuchte. Man wählte die Frühstunden, um sich nicht in der Hitze zu entkräften,
und sobald die Kleider abgelegt waren, wurde der Körper mit Öle, aber mit dem
schönen attischen Öle überstrichen, teils sich vor der empfindlichen Morgenluft
zu verwahren; wie man auch sonst in der größten Kälte zu tun pflegte; teils um
die heftigen Ausdünstungen zu vermindern, die nichts als das Überflüssige
wegnehmen sollten. Das Öl sollte auch die Eigenschaft haben stark zu machen.
Nach geendigten Übungen ging man insgemein ins Bad, wo der Körper von neuen mit
Öle gesalbet wurde, und Homer sagt von einem Menschen, der auf solche Art
frisch aus dem Bade kömmt, daß er länger und stärker scheine, und den unsterblichen
Göttern ähnlich sei.
Auf einer Vase, welche Charles Patin besessen, und
in welcher, wie er mutmaßet, die Asche eines berühmten Fechters verwahret
gewesen, kann man sich die verschiedenen Arten und Grade des Ringens bei den
Alten sehr deutlich vorstellen.
Wären die Griechen beständig barfuß, wie sie selbst
die Menschen aus der Heldenzeit vorstelleten, oder allezeit nur auf einer
angebundenen Sohle gegangen, wie man insgemein glaubt, so würde ohne Zweifel
die Form ihrer Füße sehr gelitten haben. Allein es läßt sich erweisen, daß sie
auf die Bekleidung und auf die Zierde ihrer Füße mehr, als wir verwandt haben.
Die Griechen hatten mehr als zehen Namen, wodurch sie Schuhe bezeichneten.
Die Bedeckung, welche man in den Spielen um die
Hüfte trug, war bereits weggetan vor der Zeit, da die Künste in Griechenland
anfingen zu blühen; und dieses war für die Künstler nicht ohne Nutzen. Wegen
der Speise der Ringer in den großen Spielen, in ganz uralten Zeiten, fand ich
es anständiger von der Milchspeise überhaupt als von weichen Käse zu reden.
Ich erinnere mich hier, daß man die Gewohnheit der
ersten Christen, die ganz nackend getauft worden, fremde ja unerweislich finde,
unten ist mein Beweis; ich kann mich in Nebendingen nicht weitläuftig
einlassen.
Ich weiß nicht, ob ich mich auf meine
Wahrscheinlichkeiten über eine vollkommenere Natur der alten Griechen beziehen
darf: ich würde bei dem zweiten Punkte an der Kürze viel gewinnen.
Charmoleos, ein junger Mensch von Megara, von dem
ein einziger Kuß auf zwei Talente geschätzt wurde, muß gewiß würdig gewesen
sein, zu einem Modelle eines Apollo zu dienen, und diesen Charmoleos, den
Alkibiades, den Charmides, den Adeimantos konnten die Künstler alle Tage einige
Stunden sehen, wie sie ihn zu sehen wünschten. Die Künstler in Paris hingegen
will man auf ein Kinderspiel verweisen; und überdem sind die äußersten Teile
der Körper, die nur im Schwimmen und Baden sichtbar sind, an allen und jeden
Orten ohne Bedeckung zu sehen. Ich zweifle auch, daß derjenige, der in allen Franzosen
mehr finden will, als die Griechen in ihren Alkibiades gefunden haben, einen so
kühnen Ausspruch behaupten könnte.
Ich könnte auch aus dem Vorhergehenden meine
Antwort nehmen über das in dem Sendschreiben angeführte Urteil der Akademien,
daß gewisse Teile des Körpers eckigter, als es bei den Alten geschehen, zu
zeichnen sind. Es war ein Glück für die alten Griechen und für ihre Künstler,
daß ihre Körper eine gewisse jugendliche Völligkeit hatten; sie müssen aber
dieselbe gehabt haben: denn da an griechischen Statuen die Knöchel an den
Händen eckigt genug angemerkt sind, welches an andern in dem Sendschreiben benannten
Orten nicht geschehen ist, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sie die Natur
also gebildet, unter sich gefunden haben. Der berühmte Borghesische Fechter von
der Hand des Agasias von Ephesos hat das Eckigte, und die bemerkten Knochen
nicht, wo es die Neuren lehren: er hat es hingegen, wo es sich an anderen
griechischen Statuen befindet. Vielleicht ist der Fechter eine Statue, welche ehemals
an Orten, wo die großen Spiele in Griechenland gehalten wurden, gestanden hat,
wo einem jeden Sieger dergleichen gesetzet wurde. Diese Statuen mußten sehr
genau nach ebender Stellung, in welcher der Sieger den Preis erhalten hatte,
gearbeitet werden, und die Richter der Olympischen Spiele hielten über dieses
Verhältnis eine genaue Aufsicht: ist nicht hieraus zu schließen, daß die
Künstler alles nach der Natur gearbeitet haben?
Von dem zweiten und dritten Punkte meiner Schrift
ist bereits von vielen geschrieben worden: meine Absicht, wie es von selbst
zeigen kann, war also nur, den Vorzug der Werke der alten Griechen und die
Nachahmung derselben mit wenigen zu berühren. Die Einsicht unserer Zeiten
fordert sehr viel von Beweisen in dieser Art, wenn sie allgemein sein sollen,
und sie setzen allezeit eine nicht geringe vorläufige Einsicht voraus.
Unterdessen sind die Urteile vieler Skribenten über der Alten ihre Werke in der
Kunst zuweilen nicht reifer, als manche Urteile über ihre Schriften. Könnte man
von jemand, der von den schönen Künsten überhaupt schreiben wollen, und die
Quellen derselben so wenig gekannt hat, daß er dem Thukydides, dessen
Schreibart dem Cicero, wegen ihrer körnigten Kürze und Höhe, wie er selbst
bekennet, dunkel war, den Charakter der Einfalt andichtet; könnte man, sage
ich, von einem solchen Richter ein wahres Urteil über die griechischen Werke in
der Kunst hoffen? Auch in einer fremden Tracht muß Thukydides niemanden also
erscheinen. Ein anderer Schriftsteller scheinet mit dem Diodor von Sizilien
ebensowenig bekannt zu sein, da er ihn vor einen Geschichtschreiber hält, der
den Zierlichkeiten nachläuft. Mancher bewundert auch etwas an der Arbeit der
Alten, was keine Aufmerksamkeit verdienst. »Kennern« sagt ein Reisebeschreiber,
»ist der Strick, mit welchem Dirke an den Ochsen gebunden ist, das Schönste an
dem größten Gruppo aus dem Altertum, welches unter dem Namen il Toro Farnese
bekannt ist.«
A miser aegrota putruit cui mente salillum.
Ich kenne die Verdienste der neuern Künstler, die
in dem Sendschreiben denen aus dem Altertume entgegengesetzet sind: aber ich
weiß auch, daß jene durch Nachahmung dieser geworden, was sie gewesen sind, und
es würde zu erweisen sein, daß sie gemeiniglich, wo sie von der Nachahmung der
Alten abgewichen, in viele Fehler des größten Haufens derjenigen neuern
Künstler, auf die ich nur allein in meiner Schrift gezielet, verfallen sind.
Was den Umriß der Körper betrifft, so scheinet das
Studium der Natur, an welches sich Bernini in reifern Jahren gehalten hat,
diesen großen Künstler allerdings von der schönen Form abgeführet zu haben.
Eine Caritas von seiner Hand an dem Grabmale Papst Urban VIII. soll gar zu
fleischigt sein, und ebendiese Tugend an dem Grabmale Alexander VII. will man
sogar häßlich finden. Gewiß ist, daß man die Statue Königs Ludwig XIV. zu
Pferde, an welcher Bernini funfzehen Jahr gearbeitet, und welche übermäßige
Summen gekostet, nicht hat gebrauchen können. Der König war vorgestellet, wie
er einen Berg der Ehre hinaufreiten wollte: die Aktion des Helden aber sowohl
als des Pferdes ist gar zu wild und gar zu übertrieben. Man hat daher einen
Curtius, der sich in den Pfuhl stürzt, aus dieser Statue gemacht, und sie
stehet itzo in dem Garten der Tuilerie. Die sorgfältigste Beobachtung der Natur
muß also allein nicht hinlänglich sein zu vollkommenen Begriffen der Schönheit,
so wie das Studium der Anatomie allein die schönsten Verhältnisse des Körpers
nicht lehren kann. Lairesse hat diese, wie er selbst berichtet, nach den
Skeletts des berühmten Bidloo genommen. Man kann jenen vor einen Gelehrten in
seiner Kunst halten; und dennoch findet man, daß er vielmals in seinen Figuren
zu kurz gegangen ist. Die gute Römische Schule wird hierin selten fehlen. Es
ist nicht zu leugnen, die Venus des Raffaels bei dem Göttermahle scheinet zu
schwer zu sein, und ich möchte es nicht wagen, den Namen dieses großen Mannes
in einem Kindermorde von ihm, welchen Marcantonio gestochen, über ebendiesen
Punkt, wie in einer seltenen Schrift von der Malerei geschehen, zu rechtfertigen.
Die weiblichen Figuren haben eine gar zu volle Brust, und die Mörder dagegen
ausgezehrte Körper. Man glaubt die Absicht bei diesem Kontrapost sei gewesen,
die Mörder noch abscheulicher vorzustellen. Man muß nicht alles bewundern: die
Sonne selbst hat ihre Flecken.
Man folge dem Raffael in seiner besten Zeit und
Manier, so hat man, wie er, keine Verteidiger nötig; und Parrhasios und Zeuxis
die in dem Sendschreiben in dieser Absicht, und überhaupt die holländischen
Formen zu entschuldigen, angeführet worden, sind hierzu nicht dienlich. Man
erkläret zwar die daselbst berührte Stelle des Plinius, welche den Parrhasios
betrifft, in dem Verstande, wie sie dort angebracht worden, nämlich, »daß der
Maler in das Magere verfallen sei, da er die Schwulst vermeiden wollen«. Da man
aber, wenn Plinius verstanden, was er geschrieben hat, voraussetzen muß, daß er
sich selbst nicht habe widersprechen wollen, so muß dieses Urteil mit
demjenigen, worin er kurz zuvor dem Parrhasios den Vorzug in den äußersten
Linien, das ist, in dem Umrisse zuschreibet, verglichen und übereinstimmend
gemacht werden. Die eigentlichen Worte des Plinius sind; »Parrhasios scheine
mit sich selbst verglichen, sich unter sich selbst herunterzusetzen, in
Ausdrückung der mittlern Körper«. Es ist aber nicht klar, was »mittlere Körper«
sein sollen. Man könnte es von denjenigen Teilen des Körpers verstehen, welche
der äußerste Umriß einschließt. Allein ein Zeichner soll seinen Körper von
allen Seiten, und nach allen Bewegungen kennen: er wird denselben nicht allein
vorwärts, sondern auch von der Seite, und von allen Punkten gestellet,
verstehen zu zeichnen, und dasjenige, was im ersteren Falle von dem Umrisse
eingeschlossen zu sein scheinen könnte, wird in diesem Falle der Umriß selbst
sein. Man kann nicht sagen, daß es für einen Zeichner mittlere Teile des
Körpers gibt: (ich rede nicht von dem Mittel des Leibes:) eine jede Muskel
gehöret zu seinem äußersten Umrisse und ein Zeichner, der fest ist in dem
äußersten Umrisse, aber nicht in dem Umrisse derjenigen Teile, welche der
äußerste einschließt, ist ein Begriff, der sich weder an sich selbst, noch in
Absicht auf einen Zeichner gedenken läßt. Es kann hier die Rede ganz und gar
nicht von dem Umrisse sein, auf welchem das Magere oder die Schwulst beruhet.
Vielleicht hat Parrhasios Licht und Schatten nicht verstanden, und den Teilen
seines Umrisses ihre gehörige Erhöhung und Vertiefung nicht gegeben; welches
Plinius unter dem Ausdrucke der »mittleren Körper« oder »der mittleren Teile
desselben« kann verstanden haben; und dieses möchte die einzige mögliche
Erklärung sein, welche die Worte des Plinius annehmen können. Oder es ist dem
Maler ergangen, wie dem berühmten Lafage, den man vor einen großen Zeichner
halten kann: man sagt, sobald er die Palette ergriffen und malen wollen, habe
er seine eigene Zeichnung verdorben. Das Wort »geringer« beim Plinius gehet
also nicht auf den Umriß. Mich deucht, es können des Parrhasios Gemälde außer
den Eigenschaften, die ihnen obige Erklärung gibt, nach Anleitung der Worte des
Plinius, auch noch diesen Vorzug gehabt haben, daß die Umrisse sanft im
Hintergrunde vermalet und vertrieben worden, welches sich in den mehresten
übriggebliebenen Malereien der Alten, und in den Werken neuerer Meister zu
Anfange des sechszehenden Jahrhunderts nicht findet, in welchen die Umrisse der
Figuren mehrenteils hart gegen den Grund abgeschnitten sind. Der vermalte Umriß
aber gab den Figuren des Parrhasios dennoch allein ihre wahre Erhobenheit und
Ründung nicht, da die Teile derselben nicht gehörig erhöhet und vertieft waren;
und hierin war er also unter sich selbst herunterzusetzen. Ist Parrhasios der
Größte im Umrisse gewesen, so hat er ebensowenig in das Magere, als in die
Schwulst verfallen können.
Was des Zeuxis weibliche Figuren betrifft, die er
nach Homers Begriffen stark gemacht, so ist daraus nicht zu schließen, wie in
dem Sendschreiben geschehen, daß er sie stark, wie Rubens, das ist, zu
fleischigt gehalten. Es ist zu glauben, daß das spartanische Frauenzimmer,
vermöge ihrer Erziehung, eine gewisse männliche jugendliche Form gehabt hat,
und gleichwohl waren es, nach dem Bekenntnisse des ganzen Altertums, die
größten Schönheiten in Griechenland; und also muß man sich das Gewächs der
Helena einer Spartanerin, beim Theokrit vorstellen.
Ich zweifle also, daß Jacob Jordaens, dessen
Verteidigung man in dem Sendschreiben mit vielem Eifer ergriffen hat,
seinesgleichen unter den griechischen Malern finden würde. Ich getraue mich
mein Urteil von diesem großen Koloristen allezeit zu behaupten. Der Verfasser
des sogenannten Auszugs von dem Leben der Maler hat die Urteile über dieselbe
fleißig gesammlet; aber sie zeugen nicht an allen Orten von einer großen
Einsicht in die Kunst, und manche sind unter so vielen Umständen angebracht,
daß ein Urteil auf mehr als auf einen Künstler insbesondere könnte angewendet
werden.
Bei dem freien Zutritte, welchen Ihro Königliche
Majestät in Polen allen Künstlern und Liebhabern der Kunst verstatten, kann der
Augenschein mehr lehren, und ist überzeugender, als das Urteil eines
Skribenten: ich berufe mich auf die Darbringung im Tempel und auf den Diogenes
vom gedachtem Meister. Aber auch dieses Urteil von Jordaens hat eine
Erläuterung nötig, wenigstens in Absicht der Wahrheit. Der allgemeine Begriff
von Wahrheit sollte auch in Werken der Kunst stattfinden, und nach demselben
ist das Urteil ein Rätsel. Der einzige mögliche Sinn desselben möchte etwa
folgender sein.
Rubens hat nach der unerschöpflichen Fruchtbarkeit
seines Geistes wie Homer gedichtet; er ist reich bis zur Verschwendung: er hat
das Wunderbare wie jener gesucht, sowohl überhaupt, wie ein dichterischer und
allgemeiner Maler, als auch insbesondere, was Komposition, und Licht und
Schatten betrifft. Seine Figuren hat er in der vor ihm unbekannten Manier, die
Lichter auszuteilen, gestellet, und diese Lichter welche auf die Hauptmasse
vereiniget sind, sind stärker als in der Natur selbst zusammengehalten, um auch
dadurch seine Werke zu begeistern, und etwas Ungewöhnliches in dieselbe zu
legen. Jordaens, von der Gattung niederer Geister, ist in dem Erhabenen der
Malerei mit Rubens, seinem Meister, keinesweges in Vergleichung zu stellen: er
hat an die Höhe desselben nicht reichen, und sich über die Natur nicht
hinaussetzen können. Er ist also derselben näher gefolget, und wenn man dadurch
mehr Wahrheit erhält, so möchte Jordaens den Charakter einer mehrern Wahrheit
als Rubens verdienen. Er hat die Natur gemalet, wie er sie gefunden.
Wenn der Geschmack des Altertums der Künstler Regel
in Absicht der Form und der Schönheit nicht sein soll, so wird gar keine
anzunehmen sein. Einer würde seiner Venus, wie ein neuerer namhafter Maler
getan, ein gewisses französisches Wesen geben: ein anderer würde ihr eine
Habichtsnase machen; da es würklich geschehen, daß man die Nase an der
Mediceischen Venus also gebildet finden wollen: noch ein anderer würde ihr
spitzige und spillenförmige Finger zeichnen, wie der Begriff einiger Ausleger
der Schönheit, welche Lukian beschreibet, gewesen. Sie würde uns mit
chinesischen Augen ansehen, wie alle Schönheiten aus einer neuern italienischen
Schule; ja aus jeder Figur würde man das Vaterland des Künstlers ohne
Belesenheit erraten können. Nach des Demokritos Vorgeben sollen wir die Götter
bitten, daß uns nur glückliche Bilder vorkommen, und dergleichen Bilder sind
der Alten ihre.
Die Nachahmung der Alten in ihrem Umrisse völlig
gebildeter Körper kann unsern Künstlern, wenn man will, eine Ausnahme in
Absicht der Fiammingischen Kinder gestatten. Der Begriff einer schönen Form
läßt sich bei jungen Kindern nicht eigentlich anbringen: man sagt; ein Kind ist
schön und gesund: aber der Ausdruck der Form begreift schon die Reife gewisser
Jahre in sich. Die Kinder vom Fiammingo sind itzo beinahe wie eine vernünftige
Mode, oder wie ein herrschender Geschmack, dem unsere Künstler billig folgen,
und die Akademie in Wien, welche geschehen lassen, daß man den antiken Cupido
den Abgüssen vom Fiammingo nachgesetzt, hat dadurch von der Vorzüglichkeit der
Arbeit neuerer Künstler in Kindern über ebendie Arbeiten der Alten keine Entscheidung,
wie mich deucht, gegeben; welches der Verfasser des Sendschreibens aus dieser angebrachten
Nachricht möchte ziehen wollen. Die Akademie ist bei dieser Nachsicht dennoch
bei ihrer gesunden Lehrart und Anweisung zur Nachahmung des Altertums
geblieben. Der Künstler, welcher dem Verfasser diese Nachricht mitgeteilet,
ist, soviel ich weiß, meiner Meinung. Der ganze Unterschied ist dieser: die
alten Künstler gingen auch in Bildung ihrer Kinder über die gewöhnliche Natur,
und die neuern Künstler folgen derselben. Wenn der Überfluß, welchen diese
ihren Kindern geben, keinen Einfluß hat in ihre Begriffe von einem jugendlichen
Körper und von einem reifen Alter, so kann ihre Natur in dieser Art schön sein:
aber der Alten ihre ist deswegen nicht fehlerhaft.
Es ist eine ähnliche Freiheit, die sich unsere
Künstler in dem Haarputze ihrer Figuren genommen haben, und die ebenfalls bei
aller Nachahmung der Alten bestehen kann. Will man sich aber an die Natur
halten, so fallen die vordern Haare viel ungezwungener auf die Stirn herunter,
wie es sich in jedem Alter bei Menschen, die ihr Leben nicht zwischen dem Kamme
und dem Spiegel verlieren, zeigen kann: folglich kann auch die Lage der Haare
an Statuen der Alten lehren, daß diese allezeit das Einfältige und das Wahre
gesucht haben; da es gleichwohl bei ihnen nicht an Leuten gefehlet, die sich
mehr mit ihrem Spiegel, als mit ihren Verstande unterhalten, und die sich auf
die Symmetrie ihrer Haare so gut als der Zierlichste an unsern Höfen verstanden.
Es war gleichsam ein Zeichen einer freien und edlen Geburt, die Haare so, wie
die Köpfe und Statuen der Griechen zu tragen.
Die Nachahmung des Umrisses der Alten ist
unterdessen auch von denen, welche hierin nicht die Glücklichsten gewesen sind,
niemals verworfen worden, aber über die Nachahmung der edlen Einfalt und der
stillen Größe sind die Stimmen geteilt. Dieser Ausdruck hat selten allgemeinen
Beifall gefunden, und Künstler haben mit demselben allezeit viel gewaget. Also
sahe man diese wahre Größe an dem Herkules vom Bandinelli in Florenz als einen
Fehler an: in dem Kindermorde des Raffaels verlanget man mehr Wildes und
Schreckliches in den Gesichtern der Mörder.
Nach dem allgemeinen Begriffe »der Natur in Ruhe«
könnten die Figuren vielleicht den jungen Spartanern des Xenophon ähnlich
werden, welches der Verfasser des Sendschreibens auch nach der Regel der
»stillen Größe« besorget; ich weiß auch, daß der größte Teil der Menschen, wenn
auch der Begriff meiner Schrift allgemein festgesetzt und angenommen wäre, ein
Gemälde nach diesem Geschmacke des Altertums gearbeitet, dennoch ansehen
könnte, wie man eine Rede vor den Areopagiten gehalten, lesen würde. Allein der
Geschmack des größten Haufens kann niemals Gesetze in der Kunst geben. In
Absicht des Begriffs »der Natur in Ruhe« hat der Herr von Hagedorn in seinem
Werke, welches mit so vieler Weisheit als Einsicht in dem Feinsten der Kunst
abgefasset ist, vollkommen recht, in großen Werken mehr Geist und Bewegung zu
verlangen. Aber diese Lehre hat allezeit viel Einschränkung nötig: niemals so
viel Geist, daß ein ewiger Vater einem rächenden Mars, und eine Heilige in
Entzückung einer Bacchante ähnlich werde.
Wem dieser Charakter der höhern Kunst unbekannt
ist, in dessen Augen wird eine Madonna vom Trevisani, eine Madonna vom Raffael
niederschlagen: ich weiß, daß selbst Künstler geurteilet haben, die Madonna des
erstern sei dem königlichen Raffael ein wenig vorteilhafter Nachbar. Es schien
daher nicht überflüssig, vielen die wahre Größe des seltensten aller Werke der
Galerie in Dresden zu entdecken, und diesen gegenwärtig einzigen unversehrten
Schatz von der Hand dieses Apollo der Maler, welcher in Deutschland zu finden
ist, denen die ihn sehen, schätzbarer zu machen.
Man muß bekennen, daß der königliche Raffael in der
Komposition der Transfiguration desselben nicht beikommt; dahingegen hat jenes
Werk einen Vorzug, den dieses nicht hat. An der völligern Ausarbeitung der
Transfiguration hat Giulio Romano vielleicht ebensoviel Anteil als dessen
großer Meister selbst, und alle Kenner versichern, daß man beide Hände in der
Arbeit sehr wohl unterscheiden könne. In jenem aber finden Kenner die wahren
ursprünglichen Züge von ebender Zeit des Meisters, da derselbe die Schule zu
Athen im Vatikan gearbeitet hat. Auf den Vasari will ich mich hier nicht noch
einmal berufen.
Ein vermeinter Richter der Kunst, der das Kind in
den Armen der Madonna so elend findet, ist so leicht nicht zu belehren.
Pythagoras siehet die Sonne mit andern Augen an als Anaxagoras: jener als einen
Gott, dieser als einen Stein, wie ein alter Philosoph sagt. Der Neuling mag
Anaxagoras sein: Kenner werden der Partei des Pythagoras beitreten. Die
Erfahrung selbst kann ohne Betrachtung des hohen Ausdrucks in den Gesichtern
des Raffaels Wahrheit und Schönheit finden und lehren. Ein schönes Gesicht
gefällt, aber es wird mehr reizen, wenn es durch eine gewisse überdenkende
Miene etwas Ernsthaftes erhält. Das Altertum selbst scheinet also geurteilet zu
haben: ihre Künstler haben diese Miene in alle Köpfe des Antinous gelegt; die
mit den vordern Locken bedeckte Stirn desselben gibt ihm dieselbe nicht. Man
weiß ferner, daß dasjenige, was bei dem ersten Augenblicke gefällt, nach
demselben vielmals aufhöret zu gefallen: was der vorübergehende Blick hat
sammlen können, zerstreuet ein aufmerksamere Auge, und die Schminke
verschwindet. Alle Reizungen erhalten ihre Dauer durch Nachforschung und
Überlegung, und man sucht in das verborgene Gefällige tiefer einzudringen. Eine
ernsthafte Schönheit wird uns niemals völlig satt und zufrieden gehen lassen;
man glaubt beständig neue Reizungen zu entdecken: und so sind Raffaels und der
alten Meister ihre Schönheiten beschaffen: nicht spielend und liebreich, aber
wohlgebildet und erfüllet mit einer wahrhaften und ursprünglichen Schönheit.
Durch Reizungen von dieser Art ist Kleopatra durch alle Zeiten hindurch berühmt
worden. Ihr Gesicht setzte niemand in Erstaunen, aber ihr Wesen hinterließ bei
allen, die sie ansahen, sehr viel zurück, und sie siegte ohne Widerstand, wo
sie wollte. Einer französischen Venus vor ihrem Nachttische wird es ergehen,
wie jemand von dem Sinnreichen beim Seneca geurteilet hat: es verlieret viel,
ja vielleicht alles, wenn man es sucht zu erforschen.
Die Vergleichung zwischen dem Raffael und einigen
großen holländischen und neuern italienischen Meistern, welche ich in meiner
Schrift gemacht habe, betrifft allein das Traktament in der Kunst. Ich glaube,
das Urteil über den mühsamen Fleiß in den Arbeiten der ersteren wird eben
dadurch, daß derselbe hat versteckt sein sollen, noch gewisser: denn ebendieses
verursachte dem Maler die größte Mühe. Das Schwerste in allen Werken der Kunst
ist, daß dasjenige, was sehr ausgearbeitet worden, nicht ausgearbeitet scheine;
diesen Vorzug hatten des Nikomachos Gemälde.
Van der Werff bleibet allezeit ein großer Künstler,
und seine Stücke zieren mit Recht die Kabinette der Großen in der Welt. Er hat
sich bemühet, alles wie von einem einzigen Gusse zu machen: alle seine Züge
sind wie geschmolzen, und in der übertriebenen Weichlichkeit seiner Tinten ist,
sozusagen, nur ein einziger Ton. Seine Arbeit könnte daher emaillieret eher als
gemalet heißen.
Unterdessen gefallen seine Gemälde. Aber kann das
Gefällige ein Hauptcharakter der Malerei sein? Alte Köpfe von Dennern gefallen
auch: wie würde aber das weise Altertum urteilen? Plutarch würde dem Meister
aus dem Munde eines Aristides oder eines Zeuxis sagen: »Schlechte Maler, die
das Schöne aus Schwachheit nicht erreichen können, suchen es in Warzen und in
Runzeln«. Man erzählet vor gewiß, daß Kaiser Karl VI. den ersten Kopf von
Dennern, den er gesehen, geschätzt, und an demselben die fleißige Art in Öl zu
malen bewundert habe. Man verlangte von dem Meister noch einen dergleichen
Kopf, und es wurden ihm etliche tausend Gulden für beide bezahlet. Der Kaiser,
welcher ein Kenner der Kunst war, hielt sie beide gegen Köpfe vom van Dyck und
vom Rembrandt, und soll gesagt haben; »er habe zwei Stücke von diesem Maler, um
etwas von ihm zu haben, weiter aber verlange er keine mehr, wenn man sie ihm
auch schenken wolle«. Ebenso urteilete ein gewisser Engländer von Stande: man
wollte ihm Dennerische Köpfe anpreisen; »Meinet ihr«, gab er zur Antwort, »daß
unsere Nation Werke der Kunst schätzet, an welchen der Fleiß allein, der
Verstand aber nicht den geringsten Anteil hat?«
Dieses Urteil über Denners Arbeit folget
unmittelbar auf den van der Werff nicht deswegen, daß man eine Vergleichung
zwischen beiden Meistern zu machen, gesonnen wäre; denn er reichet bei weiten
nicht an van der Werffs Verdienste: sondern nur durch jenes Arbeit, als durch
ein Beispiel zu zeigen, daß ein Gemälde, welches gefällt, ebensowenig ein
allgemeines Verdienst habe, als ein Gedicht, welches gefällt, wie der Verfasser
des Sendschreibens scheinet behaupten zu wollen.
Es ist nicht genug, daß ein Gemälde gefällt; es muß
beständig gefallen: aber eben dasjenige, wodurch der Maler hat gefallen wollen,
macht uns seine Arbeit in kurzer Zeit gleichgültig. Er scheinet nur für den
Geruch gearbeitet zu haben: denn man muß seine Arbeit dem Gesichte so nahe
bringen als Blumen. Man wird sie beurteilen, wie einen kostbaren Stein, dessen
Wert der geringste bemerkte Tadel verringert.
Die größte Sorgfalt dieser Meister ging also bloß
auf eine strenge Nachahmung des Allerkleinsten in der Natur: man scheuete sich
das geringste Härchen anders zu legen, als man es fand, um dem schärfsten Auge,
ja wenn es möglich gewesen wäre, selbst den Vergrößerungsgläsern das
Unmerklichste in der Natur vorzulegen. Sie sind anzusehen als Schüler des
Anaxagoras, der den Grund der menschlichen Weisheit in der Hand zu finden
glaubte. Sobald sich aber diese Kunst weiter wagen, und die größern
Verhältnisse des Körpers, und sonderlich das Nackende hat zeichnen wollen,
sogleich zeigt sich
infelix operis summa, quia ponere totum
Nescit. Hor.
Die Zeichnung bleibt bei einem Maler, wie die
Aktion bei dem Redner des Demosthenes das erste, das zweite und das dritte
Ding.
Dasjenige was in dem Sendschreiben an den erhobenen
Arbeiten der Alten ausgesetzet ist, muß ich zugestehen, und mein Urteil ist aus
meiner Schrift zu ziehen. Die geringe Wissenschaft der Alten in der Perspektiv,
welche ich daselbst angezeiget habe, ist der Grund zu dem Vorwurf, den man den
Alten in diesem Teile der Kunst machet: ich behalte mir eine ausführliche
Abhandlung über demselben vor.
Der vierte Punkt betrifft vornehmlich die
Allegorie.
Die Fabel wird in der Malerei insgemein Allegorie
genannt; und da die Dichtkunst nicht weniger als die Malerei die Nachahmung zum
Endzweck hat, so macht doch diese allein ohne Fabel kein Gedicht, und ein
historisches Gemälde wird durch die bloße Nachahmung nur ein gemeines Bild
sein, und man hat es ohne Allegorie anzusehen, wie D'Avenants sogenanntes
Heldengedicht Gondibert, wo alle Erdichtung vermieden ist.
Kolorit und Zeichnung sind vielleicht in einem
Gemälde, was das Silbenmaß, und die Wahrheit oder die Erzählung in einem
Gedichte sind. Der Körper ist da: aber die Seele fehlet. Die Erdichtung, die
Seele der Poesie, wie sie Aristoteles nennet, wurde ihr zuerst durch den Homer
eingeblasen, und durch dieselbe muß auch der Maler sein Werk beleben. Zeichnung
und Kolorit sind durch anhaltende Übung zu erlangen: Perspektiv und
Komposition, und diese im eigentlichsten Verstande genommen, gründen sich auf
festgesetzte Regeln; folglich ist alles dieses mechanisch, und es braucht's
nur, wenn ich so reden darf, mechanische Seelen, die Werke einer solchen Kunst
zu kennen und zu bewundern.
Alle Ergötzlichkeiten bis auf diejenigen, die dem
größten Haufen der Menschen den unerkannten großen Schatz, die Zeit, rauben,
erhalten ihre Dauer, und verwahren uns vor Ekel und Überdruß nach der Maße, wie
sie unsern Verstand beschäftigen. Bloß sinnliche Empfindungen aber gehen nur
bis an die Haut, und würken wenig in den Verstand. Die Betrachtung der
Landschaften, der Frucht- und Blumenstücke macht uns ein Vergnügen von dieser
Art: der Kenner, welcher sie siehet, hat nicht nötig mehr zu denken, als der
Meister; der Liebhaber oder der Unwissende gar nicht.
Ein historisches Gemälde, welches Personen und
Sachen vorstellet, wie sie sind, oder wie sie geschehen, kann sich bloß durch
den Ausdruck der Leidenschaften in den handelnden Personen von Landschaften
unterscheiden: unterdessen sind beide Arten nach eben der Regel ausgeführet, im
Wesen eins; und dieses ist die Nachahmung.
Es scheinet nicht widersprechend, daß die Malerei
ebenso weite Grenzen als die Dichtkunst haben könne, und daß es folglich dem
Maler möglich sei, dem Dichter zu folgen, so wie es die Musik imstande ist zu
tun. Nun ist die Geschichte der höchste Vorwurf, den ein Maler wählen kann; die
bloße Nachahmung aber wird sie nicht zu dem Grade erheben, den eine Tragödie
oder ein Heldengedicht, das Höchste in der Dichtkunst, hat. Homer hat aus
Menschen Götter gemacht, sagt Cicero; das heißt, er hat die Wahrheit nicht
allein höher getrieben, sondern er hat, um erhaben zu dichten, lieber das
Unmögliche, welches wahrscheinlich ist, als das bloß Mögliche gewählet; und
Aristoteles setzt hierin das Wesen der Dichtkunst, und berichtet uns, daß die
Gemälde des Zeuxis diese Eigenschaft gehabt haben. Die Möglichkeit und
Wahrheit, welche Longin von einem Maler im Gegensatze des Unglaublichen bei dem
Dichter fordert, kann hiermit sehr wohl bestehen.
Diese Höhe kann ein Historienmaler seinen Werken nicht
durch einen über die gemeine Natur erhabenen Umriß, nicht durch einen edlen
Ausdruck der Leidenschaften allein geben: man fordert ebendieses von einem
weisen Porträtmaler, und dieser kann beides erhalten ohne Nachteil der
Ähnlichkeit der Person, die er schildert. Beide bleiben noch immer bei der
Nachahmung; nur daß dieselbe weise ist. Man will sogar in van Dycks Köpfen die
sehr genaue Beobachtung der Natur als eine kleine Unvollkommenheit ansehen; und
in allen historischen Gemälden würde sie ein Fehler sein.
Die Wahrheit, so liebenswürdig sie an sich selbst
ist, gefällt und machet einen stärkeren Eindruck, wenn sie in einer Fabel
eingekleidet ist: was bei Kindern die Fabel, im engsten Verstande genommen,
ist, das ist die Allegorie einem reifen Alter. Und in dieser Gestalt ist die
Wahrheit in den ungesittetesten Zeiten angenehmer gewesen, auch nach der sehr
alten Meinung, daß die Poesie älter als Prosa sei, welche durch die Nachrichten
von den ältesten Zeiten verschiedener Völker bestätiget wird.
Unser Verstand hat außerdem die Unart, nur auf
dasjenige aufmerksam zu sein, was ihm nicht der erste Blick entdecket, und
nachlässig zu übergehen, was ihm klar wie die Sonne ist: Bilder von der letzten
Art werden daher, wie ein Schiff im Wasser, oftmals nur eine augenblickliche
Spur in dem Gedächtnisse hinterlassen. Aus keinem andern Grunde dauren die
Begriffe von unserer Kindheit länger, weil wir alles, was uns vorgekommen, als
außerordentlich angesehen haben. Die Natur selbst lehret uns also, daß sie
nicht durch gemeine Sachen beweget wird. Die Kunst soll hierin die Natur
nachahmen, sagt der Skribent der Bücher von der Redekunst, sie soll erfinden,
was jene verlanget.
Eine jede Idee wird stärker, wenn sie von einer
oder mehr Ideen begleitet ist, wie in Vergleichungen, und um so viel stärker,
je entfernter das Verhältnis von diesen auf jene ist: denn wo die Ähnlichkeit
derselben sich von selbst darbietet, wie in Vergleichung einer weißen Haut mit
Schnee, erfolgt keine Verwunderung. Das Gegenteil ist dasjenige, was wir Witz,
und was Aristoteles unerwartete Begriffe nennet: er fordert ebendergleichen
Ausdrücke von einem Redner. Je mehr Unerwartetes man in einem Gemälde
entdecket, desto rührender wird es; und beides erhält es durch die Allegorie.
Sie ist wie eine unter Blättern und Zweigen versteckte Frucht, welche desto
angenehmer ist, je unvermuteter man sie findet; das kleinste Gemälde kann das
größte Meisterstück werden, nachdem die Idee desselben erhaben ist.
Die Notwendigkeit selbst hat Künstlern die
Allegorie gelehret. Anfänglich wird man sich freilich begnüget haben, nur
einzelne Dinge von einer Art vorzustellen; mit der Zeit aber versuchte man auch
dasjenige, was vielen einzelnen gemein war, das ist, allgemeine Begriffe
auszudrücken. Eine jede Eigenschaft eines einzelnen gibt einen solchen Begriff,
und getrennt von demjenigen, was ihn begreift, denselben sinnlich zu machen,
mußte durch ein Bild geschehen, welches einzeln wie es war, keinem einzelnen
insbesondere, sondern vielen zugleich zukam.
Die Ägypter waren die ersten, die solche Bilder
suchten, und ihre Hieroglyphen gehören mit unter dem Begriff der Allegorie.
Alle Gottheiten des Altertums, sonderlich der Griechen, ja die Namen derselben
kamen aus Ägypten: die Göttergeschichte aber ist nichts als Allegorie und
machet den größten Teil derselben auch bei uns aus.
Jene Erfinder aber gaben vielen Dingen, sonderlich
ihren Gottheiten, solche Zeichen, die zum Teil unter den Griechen beibehalten
wurden, deren Bedeutung man oftmals so wenig durch Hülfe der uns aufbehaltenen
Skribenten finden kann, daß es diese vielmehr vor ein Verbrechen wider die
Gottheit hielten, dieselben zu offenbaren, wie mit dem Granatapfel in der Hand
der Juno zu Samos geschehen. Es wurde ärger als ein Kirchenraub gehalten, von
den Geheimnissen der Eleusischen Ceres zu reden.
Das Verhältnis der Zeichen mit dem Bezeichneten
gründete sich auch zum Teil auf unbekannte oder unbewiesene Eigenschaften der
ersteren. Von dieser Art war der Roßkäfer, als ein Bild der Sonne bei den
Ägyptern, und diese sollte das Insekt vorstellen, weil man glaubte, daß kein
Weibchen in seinem Geschlechte sei, und daß er sechs Monate in der Erde und
ebenso lange Zeit außer derselben lebe. Ebenso sollte die Katze, weil man
wollte bemerkt haben, daß sie so viel Junge als Tage in einem Umlaufe des Monds
zu werfen pflege, ein Bild der Isis oder des Monds sein.
Die Griechen, welche mehr Witz und gewiß mehr
Empfindung hatten, nahmen nur diejenigen Zeichen von jenen an, die ein wahres
Verhältnis mit dem Bezeichneten hatten, und vornehmlich welche sinnlich waren:
ihren Göttern gaben sie durchgehends menschliche Gestalten. Die Flügel
bedeuteten bei den Ägyptern schnelle und wirksame Dienste: das Bild ist der
Natur gemäß; Flügel stelleten bei den Griechen ebendieses vor, und wenn die
Athenienser ihrer Viktoria die gewöhnlichen Flügel nicht gaben, wollten sie
dadurch den ruhigen Aufenthalt derselben in ihrer Stadt vorstellen. Eine Gans
bedeutete dort einen behutsamen Regenten, und man gab in Absicht hierauf den
Vorderteilen an Schiffen die Gestalt einer Gans. Die Griechen behielten dieses
Bild bei, und der Alten ihre Schiffschnäbel endigen sich mit einem Gänsehals.
Der Sphinx ist von den Figuren, die kein klares
Verhältnis zu ihrer Bedeutung haben, vielleicht die einzige, welche die Griechen
von den Ägyptern angenommen haben: er bedeutete bei jenen beinahe ebendas, was
er bei diesen lehren sollte, wenn er vor dem Eingange ihrer Tempel stand. Die
Griechen gaben ihrer Figur Flügel, und bildeten den Kopf mehrenteils frei ohne
Stola; auf einer atheniensischen Münze hat der Sphinx dieselbe behalten.
Es war überhaupt der griechischen Nation eigen,
alle ihre Werke mit einem gewissen offenen Wesen, und mit einem Charakter der
Freude zu bezeichnen: die Musen lieben keine fürchterliche Gespenster; und wenn
selbst Homer seinen Göttern ägyptische Allegorien in dem Mund leget, geschiehet
es insgemein, um sich zu verwahren, mit einem »Man saget«. Ja wenn der Dichter
Pamphos vor den Zeiten des Homers, seinen Jupiter beschreibet, wie er in
Pferdemist eingewickelt ist, so klinget es zwar mehr als ägyptisch, in der Tat
aber nähert es sich dem hohen Begriffe des englischen Dichters.
As full, as perfect in a hair as heart,
As full, as perfect in vile Man that mourns,
As the rapt Seraph that adores and burns.
Pope.
Ein Bild, dergleichen die Schlange ist, die sich um
ein Ei geschlungen, auf einer lyrischen Münze des dritten Jahrhunderts, wird
schwerlich auf einer griechischen Münze zu finden sein. Auf keinem einzigen
ihrer Denkmale ist eine fürchterliche Vorstellung. sie vermieden dergleichen
noch mehr als gewisse sogenannte unglückliche Worte. Das Bild des Todes
erscheinet vielleicht nur auf einem einzigen alten Steine: aber in einer
Gestalt, wie man es bei ihren Gastmahlen aufzuführen pflegte; nämlich sich
durch Erinnerung der Kürze des Lebens zum angenehmen Genusse desselben
aufzumuntern: der Künstler hat den Tod nach der Flöte tanzen lassen. Auf einem
andern Steine mit einer römischen Inschrift ist ein Totengerippe mit zwei
Schmetterlingen, als Bildern der Seele, von denen der eine von einem Vogel
gehaschet wird, welches auf die Seelenwanderung zielen soll; die Arbeit aber
ist von spätern Zeiten.
Man hat auch angemerket, daß, da alle Gottheiten
geweihete Altäre gehabt haben, weder unter den Griechen noch Römern ein Altar
des Todes gewesen, außer an den entlegensten Küsten der damals bekannten Welt.
Die Römer haben in ihrer besten Zeit gedacht wie
die Griechen, und wo sie die Bildersprache einer fremden Nation angenommen
haben, so sind sie den Grundsätzen ihrer Vorgänger und Lehrer gefolget. Ein
Elefant, der in spätern Zeiten unter die geheimen Zeichen der Ägypter
aufgenommen wurde, (denn auf den vorhandenen ältesten Denkmalen dieser Nation
ist das Bild dieses Tiers sowenig als ein Hirsch, ein Strauß und ein Hahn zu
finden) bedeutete verschiedenes, und vielleicht auch die Ewigkeit, unter
welchem Begriffe der Elefant auf einigen römischen Münzen stehet; und dieses
wegen seines langen Lebens. Auf einer Münze Kaiser Antonins führet dieses Tier
zur Überschrift das Wort: Munificentia: wo es aber nichts anders bedeuten kann,
als große Spiele, in welchen man Elefanten mit aufführete.
Es ist aber meine Absicht ebensowenig den Ursprung
aller allegorischen Bilder bei den Griechen und Römern zu untersuchen, als ein
Lehrgebäude der Allegorie zu schreiben. Ich suche nur meine Schrift über diesen
Punkt zu rechtfertigen, mit dieser Einschränkung, daß die Bilder, worin die
Griechen und Römer ihre Gedanken eingekleidet haben, vor allen Bildern anderer
Völker, und vor übelentworfenen Gedanken einiger Neueren das Studium der
Künstler sein müssen.
Es können einige wenige Bilder als Beispiele
dienen, wie die griechischen und guten römischen Künstler gedacht haben, und
wie es möglich sei, ganz abgesonderte Begriffe sinnlich vorzustellen. Viele
Bilder auf ihren Münzen, Steinen und andern Denkmalen haben ihre bestimmte und
angenommene Bedeutung, einige aber der merkwürdigsten, welche die ihrige noch
nicht allgemein haben, verdienten sie zu bekommen.
Man könnte die allegorischen Bilder der Alten unter
zwo Arten fassen, und eine höhere und gemeinere Allegorie setzen, so wie
überhaupt in der Malerei dieser Unterschied stattfinden kann. Bilder von der
ersteren Art sind diejenigen, in welchen ein geheimer Sinn der Fabelgeschichte
oder der Weltweisheit der Alten liegt: man könnte auch einige hieher ziehen,
die von wenig bekannten, oder geheimnisvollen Gebräuchen des Altertums genommen
sind.
Zur zweiten Art gehören Bilder von bekannterer
Bedeutung, als persönlich gemachte Tugenden und Laster usw.
Bilder von der ersten Art geben den Werken der
Kunst die wahre epische Größe: eine einzige Figur kann ihr dieselbe geben: je
mehr Begriffe sie in sich fasset, desto höher wird sie, und je mehr sie zu
denken veranlasset, desto tiefer ist der Eindruck, den sie machet, und um so
viel sinnlicher wird sie also.
Die Vorstellung der Alten von einem Kinde, welches
in der Blüte seiner Jugend stirbt, war ein solches: sie maleten ein Kind in den
Armen der Aurora entführet; ein glückliches Bild: vermutlich von der
Gewohnheit, die Leichen junger Leute beim Anbruche der Morgenröte zu begraben,
hergenommen; der gemeine Gedanke der Künstler vom heutigen Wuchs ist bekannt.
Die Belebung des Körpers durch Einflößung der
Seele, einer der abgesondertesten Begriffe, ist durch die lieblichsten Bilder
sinnlich, und zugleich dichterisch von den Alten gemalet. Ein Künstler, der
seine Meister nicht kennet, würde zwar durch die bekannte Vorstellung der
Schöpfung ebendieses anzudeuten glauben: sein Bild aber würde in aller Augen
nichts anders als die Schöpfung selbst vorstellen, und diese Geschichte
scheinet zur Einkleidung eines bloß philosophischen menschlichen Begriffs und
zur Anwendung desselben an ungeweiheten Orten zu heilig: zu geschweigen, daß er
zur Kunst nicht dichterisch genug ist. In Bildern der ältesten Weisen und
Dichter eingekleidet erscheinet dieser Begriff teils auf Münzen, teils auf
Steinen. Prometheus bildet einen Menschen von dem Tone, von welchem man noch zu
Pausanias' Zeiten große versteinerte Klumpen in der Landschaft Phokis zeigte;
und Minerva hält einen Schmetterling, als das Bild der Seele, auf dem Kopf
derselben. Auf der angeführten Münze Antonini Pii, wo hinter der Minerva ein
Baum ist, um den sich eine Schlange gewunden hat, hält man es vor ein Sinnbild
der Klugheit und Weisheit des Prinzen.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Bedeutung von
vielen allegorischen Bildern der Alten auf bloße Mutmaßungen beruhet, die daher
von unsern Künstlern nicht allgemein angewendet werden können. Man hat in der
Figur eines Kindes auf einem geschnittenen Steine, welches einen Schmetterling
auf einen Altar setzen will, den Begriff einer Freundschaft bis zum Altar, das
ist, die nicht über die Grenzen der Gerechtigkeit gehet, finden wollen. Auf
einem andern Steine soll die Liebe, die den Zweig eines alten Baums, als ein vorgegebenes
Bild der Weisheit, auf welchen eine sogenannte Nachtigall sitzet, nach sich zu
ziehen bemühet, die Liebe zur Weisheit vorstellen. Eros, Himeros und Pathos
waren bei den Alten diejenigen Bilder, welche die Liebe, den Appetit und das
Verlangen andeuteten: diese drei Figuren will man auf einem geschnittenen
Steine finden. Sie stehen um einen Altar, auf welchem ein heiliges Feuer
brennet. Die Liebe hinter dasselbe, so daß sie nur mit dem Kopfe hervorraget;
der Appetit und das Verlangen auf beiden Seiten des Altars: jener nur mit einer
Hand im Feuer, in der andern aber mit einem Kranze: dieser mit beiden Händen im
Feuer.
Eine Viktorie, die einen Anker krönet, auf einer
Münze Königs Seleukos, war sonst als ein Bild des Friedens und der Sicherheit,
den der Sieg verschaffet, angesehen; bis man die wahre Erklärung gefunden.
Seleukos soll mit einem Male in der Gestalt eines Ankers geboren sein, welches
Zeichen nicht allein dieser König, sondern auch die Seleukiden, dessen
Nachkommen, zur Bezeichnung ihrer Abkunft, auf ihre Münzen prägen lassen.
Wahrscheinlicher ist die Erklärung, die man einer
Viktorie mit Schmetterlingsflügeln an ein Siegeszeichen gebunden, gibt. Man
glaubt unter derselben einen Held zu finden, der als ein Sieger, wie
Epaminondas, gestorben. In Athen war jene Statue und ein Altar der Viktoria
ohne Flügel, als ein Bild des unwandelbaren Glücks im Kriege: der angebundene
Sieg könnte hier eine ähnliche Bedeutung erlauben, verglichen mit dem angeschlossenen
Mars zu Sparta. Die Art von Flügeln, die der Psyche eigen ist, war der Figur
vermutlich nicht von ohngefähr gegeben, da ihr sonst Adlersflügel gehören:
vielleicht liegt der Begriff der Seele des verstorbenen Helden unter denselben
verborgen. Die Mutmaßungen sind erträglich, wenn eine Viktorie an Trophäen von
Waffen überwundener Völker gebunden, sich mit einem Sieger dieser Völker reimen
ließe.
Die höhere Allegorie der Alten ist freilich ihrer
größten Schätze beraubet auf uns gekommen; sie ist arm in Ansehung der zweiten
Art. Diese hat nicht selten mehr als ein einziges Bild zu einem einzigen
Ausdruck. Zwei verschiedene finden sich auf Münzen Kaisers Commodus, die
Glückseligkeit der Zeit zu bezeichnen. Das eine ist ein sitzendes Frauenzimmer
mit einem Apfel oder Kugel in der Rechten, und mit einer Schale in der linken
Hand unter einem grünen Baume: vor ihr sind drei Kinder, von welchen zwei in
einer Vase oder in einem Blumentopfe, als das gewöhnliche Symbolum der
Fruchtbarkeit. Das andere bestehet aus vier Kindern, welche die vier
Jahrszeiten vorstellen durch die Sachen, welche sie tragen: die Unterschrift
beider Münzen ist: »Glückseligkeit der Zeiten«.
Diese und alle andere Bilder, welche eine Schrift
zur Erklärung nötig haben, sind vom niedrigen Range in ihrer Art: und einige
würden ohne dieselbe für andere Bilder können genommen werden. Die Hoffnung und
die Fruchtbarkeit könnte eine Ceres, der Adel eine Minerva sein. Der Geduld auf
einer Münze Kaisers Aurelianus fehlen auch die wahren Unterscheidungszeichen,
so wie der Muse Erato; und die Parzen sind allein durch ihre Bekleidung von den
Grazien unterschieden. Unterdessen sind andere Begriffe, die in der Moral
unmerkliche Grenzen haben, wie es die Gerechtigkeit und die Billigkeit ist, von
den Künstlern der Alten sehr wohl unterschieden. Jene wird mit aufgebundenen
Haaren und einem Diadem in einer ernsthaften Miene, so wie sie Gellius malet,
diese wird mit einem holden Gesichte und mit fliegenden Haaren vorgestellet.
Aus der Waage, welche diese hält, steigen Kornähren hervor, welche man auf die
Vorteile der Billigkeit deutet; zuweilen hält sie in der andern Hand ein Horn
des Überflusses.
Unter die vorn stärkeren Ausdrucke gehöret der
Friede auf einer Münze Kaisers Titus. Die Göttin des Friedens stützt sich mit
dem linken Arm auf eine Säule, und in ebender Hand hält sie einen Zweig von
einem Ölbaume, in der andern des Merkurs Stab über einen Schenkel eines
Opfertiers, welcher auf einem kleinen Altare liegt. Diese Hostie deutet auf die
unblutigen Opfer der Göttin des Friedens: man schlachtete dieselben außer dem
Tempel, und auf ihren Altar wurden nur die Schenkel gebracht, um denselben
nicht mit Blut zu beflecken.
Gewöhnlich siehet man den Frieden mit einem
Ölzweige und Stabe des Merkurs, wie auf einer Münze ebendieses Kaisers; oder
auch auf einem Sessel, welcher auf einem Haufen hingeworfener Waffen stehet,
wie auf einer Münze vom Drusus: auf einigen von des Tiberius und Vespasianus
Münzen verbrennet der Friede Waffen.
Auf einer Münze Kaisers Philippus ist ein edles
Bild: eine schlafende Viktoria. Man kann sie mit besserem Rechte auf einen
zuversichtlichen gewissen Sieg, als auf die Sicherheit der Welt deuten, was sie
nach der Unterschrift vorstellen soll. Eine ähnliche Idee enthielt dasjenige
Gemälde, wodurch man dem atheniensischen Feldherrn Timotheos ein blindes Glück
in seinen Siegen vorwerfen wollte. Man malete ihn schlafend, und das Glück, wie
es Städte in ihr Netz fing.
Zu dieser Klasse gehöret der Nil mit seinen
sechszehen Kindern im Belvedere zu Rom. Dasjenige Kind, welches mit den
Kornähren und den Früchten in dem Horn des Nils, gleich hoch stehet, bedeutet
die größte Fruchtbarkeit; diejenigen von den Kindern aber, die über das Horn
und dessen Früchte hinaufgestiegen, deuten auf Mißwachs. Plinius gibt uns die
Erklärung davon. Ägypten ist am fruchtbarsten, wenn der Nil sechszehen Fuß hoch
steiget, wenn er aber über diese Maß kommt, ist es dem Lande ebensowenig zuträglich,
als wenn der Fluß die gewünschte Maß nicht erreichet. In des Rossi seiner
Sammlung sind die Kinder weggelassen.
Was sich von allegorischen Satiren findet, gehöret
mit zu dieser zweiten Art. Ein Exempel gibt der Esel aus der Fabel des Gabrias,
den man mit einer Statue der Isis beladen hatte, und welcher die Ehrfurcht des
Volks gegen das Bild auf sich deutete. Kann der Stolz des Pöbels unter den
Großen in der Welt sinnlicher vorgestellet werden?
Die höhere Allegorie wurde aus der gemeinern können
ersetzet werden, wenn diese nicht gleiches Schicksal mit jener gehabt hätte.
Wir wissen zum Exempel nicht, wie die Beredsamkeit oder die Göttin Peitho
gebildet gewesen; oder wie Praxiteles die Göttin des Trostes Paregoros, von
welchem Pausanias Nachricht gibt, vorgestellet habe. Die Vergessenheit hatte
einen Altar bei den Römern; vielleicht war auch dieser Begriff persönlich
gemacht. Ebendieses läßt von der Keuschheit gedenken, deren Altar man auf
Münzen findet; ingleichen von der Furcht, welcher Theseus geopfert hat.
Unterdessen sind die übriggebliebenen Allegorien
von Künstlern neuerer Zeiten noch nicht insgesamt verbraucht: es sind vielen
unter diesen hier und da einige unbekannt geblieben; und die Dichter und die
übrigen Denkmale des Altertums können noch allezeit einen reichen Stoff zu
schönen Bildern darreichen. Diejenigen, welche zu unseren und unserer Väter
Zeiten dieses Feld haben bereichern, und nicht weniger zum Unterricht als zur Erleichterung
der Künstler arbeiten wollen, hätten Quellen, die so rein und reich sind,
suchen sollen. Es erschien aber eine Zeit in der Welt, wo ein großer Haufe der
Gelehrten gleichsam zur Ausrottung des guten Geschmacks sich mit einer
wahrhaften Raserei empörete. Sie fanden in dem, was Natur heißt, nichts als
kindische Einfalt, und man hielt sich verbunden, dieselbe witziger zu machen.
Junge und Alte fingen an Devisen und Sinnbilder zu malen, nicht allein für
Künstler, sondern auch für Weltweise und Gottesgelehrte; und es konnte kaum
ferner ein Gruß ohne ein Emblema anzubringen, bestellet werden. Man suchte
dergleichen lehrreicher zu machen durch eine Unterschrift desjenigen, was sie bedeuteten,
und was sie nicht bedeuteten. Dieses sind die Schätze nach die man noch itzo
gräbet. Nachdem nun einmal diese Gelehrsamkeit Mode worden war, so wurde an die
Allegorie der Alten gar nicht mehr gedacht.
Das Bild der Freigebigkeit war bei den Alten eine
weibliche Figur mit einem Horne des Überflusses in der einen Hand und in der
andern die Tafel eines römischen Congiarii. Die römische Freigebigkeit schien
vielleicht gar zu sparsam; man gab der selbstgemachten in jeder Hand ein Horn,
und das eine umgekehrt, um auszustreuen. Auf den Kopf setzte man ihr einen
Adler, der, ich weiß nicht was, hier bedeuten sollte. Andere maleten eine Figur
mit einem Gefäße in jeder Hand.
Die Ewigkeit saß bei den Alten auf einer Kugel oder
vielmehr auf einer Sphäre mit einem Spieße in der Hand; oder sie stand, mit der
Kugel in der einen Hand, und im übrigen wie jene; oder eine Kugel in der Hand,
und ohne Spieß; oder auch mit einem fliegenden Schleier um den Kopf. Unter so
verschiedenen Gestalten findet sich die Ewigkeit auf Münzen der Kaiserin
Faustina. Den neuern Allegoristen schien dieses zu leicht gedacht: sie maleten
uns etwas Schreckliches, wie vielen die Ewigkeit selbst ist; eine weibliche Gestalt
bis auf die Brust, mit Kugeln in beiden Händen; das übrige des Körpers ist eine
Schlange, die in sich selbst zurückgehet mit Sternen bezeichnet.
Die Vorsicht hat mehrenteils zu ihren Füßen eine
Kugel und einen Spieß in der linken Hand. Auf einer Münze Kaisers Pertinax hält
die Vorsicht die Hände ausgestreckt gegen eine Kugel, welche aus den Wolken zu
fallen scheinet. Eine weibliche Figur mit zwei Gesichtern schien den Neuern
bedeutender zu sein.
Die Beständigkeit siehet man auf einigen Münzen
Kaisers Claudius, sitzend und stehend mit einem Helme auf dem Haupte und einem
Spieße in der linken Hand; auch ohne Helm und Spieß: aber allezeit mit einem
auf das Gesicht gerichteten Zeigefinger, als wenn sie etwas ernstlich behaupten
wollte. Bei den Neuern konnte die Vorstellung dieser Tugend ohne Säulen nicht
förmlich werden.
Es scheinet, Ripa habe oft seine eigene Figuren
nicht verstanden zu erklären. Das Bild der Keuschheit hält bei ihm in der einen
Hand eine Geißel, (welche wenig Reizung zur Tugend gibt) und in der andern Hand
ein Sieb. Der Erfinder dieses Bildes, von dem es Ripa geborget, hat vermutlich
auf die Vestalin Tuccia zielen wollen; Ripa, dem dieses nicht eingefallen ist,
kommt mit den gezwungensten Einfällen hervor, die nicht verdienen, daß sie
wiederholet werden.
Ich spreche durch den gemachten Gegensatz unseren
Zeiten das Recht der Erfindung allegorischer Bilder nicht ab: es können aber
aus der verschiedenen Art zu denken einige Regeln gezogen werden für
diejenigen, welche diesen Weg betreten wollen.
Von dem Charakter einer edlen Einfalt haben sich
die alten Griechen und Römer niemals entfernet: das wahre Gegenteil von
derselben siehet man in Romeyn de Hooghes Bildersprache. Von vielen seiner
Einfälle kann man sagen, wie Vergil von dem Ulmbaume in der Hölle
Hanc sedem somnia vulgo
Vana tenere ferunt, foliisque sub omnibus haerent.
Aen. VI.
Die Deutlichkeit gaben die Alten ihren Bildern
mehrenteils durch solche ihnen zugegebene Zeichen, die dieser und keiner andern
Sache eigen sind, (etliche wenige, die oben angezeiget worden, ausgenommen) und
zu ebendieser Regel gehöret die Vermeidung aller Zweideutigkeit, wider welche
man in Allegorien der Neueren gehandelt hat, wo der Hirsch die Taufe und auch
die Rache, ein nagendes Gewissen und die Schmeichelei bedeuten soll. Die Zeder
soll ein Bild eines Predigers und zugleich irdischer Eitelkeiten, eines
Gelehrten und einer sterbenden Wöchnerin sein.
Die Einfalt und Deutlichkeit begleitete allezeit
ein gewisser Wohlstand. Ein Schwein, welches bei den Ägyptern einen
Nachforscher der Geheimnisse soll bezeichnet haben, würde nebst allen
Schweinen, welche Cesare Ripa und andere Neuere angebracht haben, als ein
unanständiges Bild von ihnen angesehen worden sein: außer da, wo dieses Tier
gleichsam das Wappen eines Orts war, wie auf den eleusischen Münzen zu sehen.
Endlich waren die Alten bedacht, das Bezeichnete
mit seinem Zeichen in ein entfernteres Verhältnis zu stellen. Nebst diesen
Regeln soll die allgemeine Beobachtung bei allen Versuchen in dieser
Wissenschaft billig sein, die Bilder, womöglich, aus der Mythologie und aus der
ältesten Geschichte zu wählen.
Man hat in der Tat einige neuere Allegorien, (wenn
ich neu nennen darf, was völlig in dem Geschmacke des Altertums ist), die
vielleicht neben den Bildern der alten höhern Allegorie zu setzen sind.
Zwei Brüder aus dem Hause Barbarigo, die in der
Würde eines Doge zu Venedig unmittelbar aufeinandergefolget sind, werden
vorgestellet unter den Bildern des Castor und Pollux. Dieser teilete nach der
Fabel mit jenem die Unsterblichkeit, welche ihm allein vom Jupiter zuerkannt
wurde: und in der Allegorie überreichet Pollux, als der Nachfolger, seinem verstorbenen
Vorgänger, der durch einen Totenkopf bezeichnet wird, eine Schlange, so wie
dieselbe pflegt die Ewigkeit vorzustellen; dadurch anzudeuten, daß der
verstorbene Bruder durch die Regierung des lebenden, so wie dieser selbst,
verewiget werde. Auf der Rückseite einer erdichteten Münze unter beschriebenen
Bilde, stehet ein Baum, von dem ein abgebrochener Zweig herunterfällt, mit
einer Überschrift aus der Aneis:
Primo avulso non deficit alter.
Ein Bild auf einer von Königs Ludwig XIV. Münzen
verdienet hier auch angemerkt zu werden. Es wurde dieselbe gepräget, da der
Herzog von Lothringen, welcher bald die französische bald die österreichische
Partei ergriff, nach der Eroberung von Marsal, aus seinen Landen weichen mußte.
Der Herzog ist hier Proteus, wie sich Menelaos desselben mit List bemächtiget,
und ihn bindet, nachdem er vorher alle mögliche Formen angenommen hatte. In der
Ferne ist die eroberte Festung, und in der Unterschrift ist das Jahr derselben
angezeiget. Die Bedeutung der Allegorie hätte die Überschrift: Protei artes
delusae; nicht nötig gehabt.
Ein gutes Exempel der gemeinern Allegorie ist die
Geduld oder vielmehr die Sehnsucht, das sehnliche Verlangen unter dem Bilde
einer weiblichen Figur, die mit gefaltenen Händen die Zeit an einer Uhr
betrachtet.
Bisher haben freilich die Erfinder der besten
malerischen Allegorien noch immer aus den Quellen des Altertums allein
geschöpfet, weil man niemanden ein Recht zugestanden, Bilder für Künstler zu
entwerfen, da denn also keine allgemeine Aufnahme derselben stattgefunden. Von
den meisten bisherigen Versuchen ist dergleichen nicht zu hoffen gewesen: in
der ganzen Ikonologie des Ripa sind etwa zwei oder drei erträglich,
apparent rari nantes in gurgite vasto;
und die verlorne Mühe durch einen Mohr, der sich
wäschet, vorgestellet, möchte noch das beste sein. In einigen guten Schriften
sind Bilder versteckt und zerstreuet, wie die Dummheit und der Tempel derselben
in dem Zuschauer ist: diese müßte man sammlen und allgemeiner machen. Es ist
ein Weg, Wochen- und Monatschriften sonderlich unter Künstlern beliebt zu
machen: ein Beitrag von guten allegorischen Bildern würde dieses würken. Wenn
die Schätze der Gelehrsamkeit der Kunst zufließen, so könnte die Zeit erscheinen,
daß der Maler eine Ode ebensogut als eine Tragödie schildern würde.
Ich will selbst versuchen ein paar Bilder
anzugeben: Regeln und viel Exempel unterrichten am besten. Ich finde die Freundschaft
allenthalben schlecht vorgestellet, und die Sinnbilder derselben verdienen
nicht einmal beurteilet zu werden: sie sind mehrenteils mit fliegenden und
beschriebenen Wimpeln; man weiß, wie tief alsdenn die Begriffe liegen.
Ich würde diese größte menschliche Tugend durch
Figuren zweier ewigen Freunde aus der Heldenzeit, des Theseus und des
Peirithoos malen. Auf geschnittenen Steinen gehen Köpfe unter dem Namen des
ersteren: auf einem andern Steine erscheinet der Held mit der Keule, die er dem
Periphetes, einem Sohne des Vulkans, genommen hat, von der Hand des Philemons:
Theseus kann also den Erfahrnen im Altertume kenntlich gemacht werden. Zu
Entwerfung des Bildes einer Freundschaft in der größten Gefahr könnte ein
Gemälde zu Delphos dienen, welches Pausanias beschreibet. Theseus war
vorgestellet, wie er sich mit seinem Degen in der einen Hand, und mit dem
Degen, welchen er seinem Freunde von der Seite gezogen hatte, in der andern
Hand, gegen die Thesprotier zur Gegenwehr setzet. Oder der Anfang und die
Stiftung ihrer Freundschaft, so wie sie Plutarch beschreibet, könnte ebenfalls
ein Vorwurf dieses Bildes sein. Ich habe mich gewundert, daß ich unter den
Sinnbildern von weltlichen und geistlichen großen Helden und Männern aus dem
Hause Barbarigo keins gefunden habe, auf einen wahren Menschen und ewigen
Freund. Nikolaus Barbarigo war ein solcher: er stiftete mit Marco Trevisano
eine Freundschaft, die ein ewiges Denkmal verdienet hätte:
Monumentum aere perennius.
Ihr Andenken ist in einer kleinen raren Schrift
erhalten.
Ein Bild des Ehrgeizes könnte ein kleiner Umstand
aus dem Altertume geben. Plutarch bemerkt, daß man der Ehre mit entblößtem
Haupte geopfert habe. Alle übrige Opfer, das an den Saturnus ausgenommen,
geschahen mit einer Decke über den Kopf. Gedachter Skribent glaubt, daß die
gewöhnliche Ehrenbezeigung unter Menschen zu der Beobachtung bei diesen Opfer
Gelegenheit gegeben habe; da es vielleicht das Gegenteil sein kann. Es kann
auch dieses Opfer von den Pelasgern herrühren, die mit entblößtem Haupte zu
opfern pflegten. Die Ehre wird vorgestellet durch eine weibliche Figur mit
Lorbeern gekrönet, die ein Horn des Überflusses in der einen, und eine hasta in
der andern Hand hält. In Begleitung der Tugend, die eine männliche Figur mit
einem Helme ist, stehet sie auf einer Münze Kaisers Vitellius: die Köpfe dieser
Tugenden siehet man auf einer Münze von Cordus und Calenus.
Ein Bild des Gebets könnte aus dem Homer genommen
werden. Phönix, der Hofmeister des Achilles, suchet den ihm anvertrauten Held
zu besänftigen, und dieses tut er in einer Allegorie. »Du mußt wissen,
Achilles«, sagt er, »daß die Gebete Töchter des Jupiters sind. Sie sind krumm
worden durch vieles Knien; ihr Gesicht ist voller Sorgen und Runzeln, und ihre
Augen sind beständig gegen den Himmel gerichtet. Sie sind ein Gefolge der
Göttin Ate, und gehen hinter ihr. Diese Göttin gehet ihren Weg mit einer kühnen
und stolzen Miene, und leicht zu Fuß, wie sie ist, läuft sie durch die ganze
Welt, und ängstiget und quälet die Menschenkinder. Sie suchet den Gebeten
auszuweichen, welche ihr unablässig folgen, um diejenigen Personen, welche jene
verwundet, zu heilen. Wer diese Töchter des Jupiters ehret, wenn sie sich ihm
nähern, genießt viel Gutes von ihnen; wenn man sie aber verwirft, bitten sie
ihren Vater, der Göttin Ate Befehl zu geben, einen solchen wegen der Härte
seines Herzens zu strafen«.
Man könnte auch aus einer bekannten alten Fabel ein
neues Bild machen. Salmakis und der Knabe, den sie liebte, wurden in eine
Quelle verwandelt, welche weibisch machte; also daß
quisquis in hos fontes vir venerit, exeat inde
Semivir: et tactis subito mollescat in undis.
Ovid. Metam. L. IV.
Die Quelle war bei Halikarnassos in Karien. Vitruv
glaubt, die Wahrheit dieser Erdichtung gefunden zu haben. Einige Einwohner aus
Argos und Troizen, sagt er, begaben sich dahin, und vertrieben die Karer und
Leleger, die sich ins Gebürge retteten, und anfingen die Griechen mit
Streifereien zu beunruhigen. Einer von den Einwohnern, welcher besondere
Eigenschaften in dieser Quelle entdecket hatte, legte bei derselben ein Gebäude
an, wo diejenigen die den Brunnen gebrauchen wollten, ihre Bequemlichkeit
hatten. Es fanden sich Barbaren sowohl als Griechen hier ein, und jene
gewöhneten sich an die sanften griechischen Sitten, und legten freiwillig ihr
wildes Wesen ab. Die Vorstellung der Fabel selbst ist Künstlern bekannt: die
Erzählung des Vitruvs könnte ihnen Anleitung geben ein Bild eines Volks zu
machen, welches gesittet und menschlich geworden, wie die Russen unter Peter I.
angefangen haben. Die Fabel des Orpheus könnte zu ebendieser Vorstellung
dienen: es kommt auf den Ausdruck an, ein Bild vor das andere bedeutender zu
machen.
Ist dasjenige, was ich allgemein über die Allegorie
gesagt habe, nicht überzeugend genug die Notwendigkeit derselben in der Malerei
darzutun, so werden wenigstens die Bilder, welche als Beispiele angebracht
sind, zur Rechtfertigung meines Satzes dienen können; »daß sich die Malerei auf
Dinge erstrecke, die nicht sinnlich sind«.
Die beiden größten Werke der allegorischen Malerei,
die ich in meiner Schrift angeführet habe, nämlich die Luxemburgische Galerie
und die Cuppola der Kaiserlichen Bibliothek zu Wien, können zeigen, wie ihre
Meister die Allegorie glücklich und dichterisch angewendet haben.
Rubens wollte Heinrich IV. als einen menschlichen
Sieger malen, der in Bestrafung der frevelhaften Aufrührer und
meuchelmörderischer Majestätbeleidiger dennoch Gelindigkeit und Gnade blicken
läßt. Er gab seinem Held die Person des Jupiters, welcher den Göttern Befehl
erteilet, die Laster zu strafen und zu stürzen. Apollo und Minerva drücken ihre
Pfeile auf dieselben ab, und die Laster, als Ungeheuer gebildet, fallen
übereinander zu Boden. Mars will in voller Wut alles vollend zernichten; die
Venus aber, als das Bild der Liebe, hält ihn sanft bei dem Arme zurück: der
Ausdruck der Göttin ist so redend gemacht, daß man dieselbe gleichsam den Gott
des Krieges bitten höret: Wüte nicht mit grausamer Rache wider die Laster; sie
sind gestraft.
Daniel Grans ganze Arbeit an der Cuppola ist eine
Allegorie auf die Kaiserliche Bibliothek, und alle seine Figuren sind gleichsam
Zweige von einem einzigen Stamme. Es ist ein malerisches Heldengedicht, welches
nicht von den Eiern der Leda anfängt, sondern wie Homer vornehmlich nur den
Zorn des Achilles besinget, so verewiget des Künstlers Pinsel nur allein des
Kaisers Sorgfalt für die Wissenschaften. Die Anstalten zum Baue der Bibliothek
hat der Künstler also vorgestellet.
Die kaiserliche Majestät erscheinet unter einer sitzenden
weiblichen Figur mit einem kostbaren Hauptschmucke, auf deren Brust ein
goldenes Herz an einer Kette hänget, als ein Bild des guttätigen Herzens dieses
Kaisers. Mit dem Befehlsstabe gibt diese Figur den Befehl zum Baue. Unter ihr
sitzet ein Genius mit Winkel, Palette und Eisen; ein anderer schwebet über ihr
mit dem Bilde der drei Grazien, welche auf den guten Geschmack in dem ganzen
Baue deuten. Neben der Hauptfigur sitzet die allgemeine Freigebigkeit mit einem
angefülleten Beutel in der Hand, und unter derselben ein Genius mit der Tafel
des römischen Congiarii, und hinter derselben die österreichische Freigebigkeit
mit gewürkten Lerchen in ihren Mantel. Aus dem Horne des Überflusses fangen
etliche Genii die ausgeschütteten Schätze und Belohnungen auf, um dieselbe
denen um Künste und Wissenschaften, sonderlich um die Bibliothek verdienten
Männern auszuteilen. Auf die befehlende Person richtet die persönlich gemachte
Befolgung des gegebenen Befehls ihr Gesicht, und drei Kinder halten das Modell
des Gebäudes. Neben dieser Figur stehet ein alter Mann, der auf einer Tafel den
Bau ausmißt, und unter ihm ein Genius mit einem Senkbleie, zur Vorstellung der
eingerichteten Befolgung. Zur Seite des Alten sitzet die sinnreiche Erfindung
mit dem Bilde der Isis in der rechten Hand, und mit einem Buche in der Linken,
die Natur und Wissenschaft als Quellen der Erfindung anzuzeigen, deren schwere
Auflösungen das Bild eines Sphinx, welches vor ihr lieget, abbildet.
Die Vergleichung dieses Werks mit den großen
Plafond von Lemoyne zu Versailles, die ich in meiner Schrift gemacht habe, ist
bloß als zwischen den neuesten und größten Arbeiten unserer Zeiten in
Deutschland und Frankreich angestellet. Die große Galerie des erwähnten
Lustschlosses von Charles Lebrun gemalet, ist ohne Zweifel das Höchste in der
dichterischen Malerei, was nach dem Rubens ausgeführet worden, und Frankreich
kann sieh rühmen, daß es an dieser und der Luxemburgischen Galerie die
gelehrtesten Werke der Allegorie in der Welt habe.
Die Galerie von Lebrun stellet die Geschichte
Ludwigs XIV. vom Pyrenäischen bis zum Nimwegischen Frieden vor in neun großen
und achtzehen kleinen Feldern. Dasjenige Gemälde, wo der König den Krieg wider
Holland beschließt, enthält allein eine sinnreiche und hohe Anwendung beinahe
der ganzen Mythologie, und ist von Simoneau dem Ältern gestochen. Der Reichtum
desselben erfordert eine Beschreibung, die für eine kleine Schrift zu stark
werden würde: man urteile aus ein paar kleinern Kompositionen unter diesen
Gemälden, was der Künstler imstande gewesen zu denken und auszudrücken. Er
malete den berühmten Übergang der französischen Völker über den Rhein. Sein
Held sitzet auf einem Kriegeswagen mit einem Donnerkeile in der Hand, und
Herkules, als ein Bild des heroischen Muts, treibet den Wagen mitten durch die
unruhigen Wellen. Die Figur, welche Spanien vorstellet, wird von dem Strome mit
fortgerissen: der Gott des Rheins ist bestürzt und läßt sein Ruder fallen: die
Viktorien kommen herzugeflogen, und halten Schilder, auf welche die Namen der
Städte, die nach diesem Übergange erobert sind, angedeutet worden. Europa
siehet voller Verwunderung zu.
Eine andere Vorstellung betrifft den
Friedensschluß. Holland läuft, ohnerachtet es durch den Reichsadler beim Rocke
zurückgehalten wird, dem Frieden entgegen, welcher vom Himmel herabkömmt,
umgeben mit den Geniis der Scherze und des Vergnügens, die allenthalben Blumen
ausstreuen. Die Eitelkeit mit Pfauenfedern gekrönt sucht Spanien und
Deutschland zurückzuhalten, diesem mit ihnen verbundenen Staate zu folgen; aber
da sie die Höhle sehen, wo für Frankreich und Holland Waffen geschmiedet
wurden, und die Fama in den Lüften höreten, die sie bedrohet, so lenken sie
sich gleichfalls zum Frieden. Das erste von diesen zwei Bildern ist an Höhe mit
Homers berühmter Beschreibung von Neptuns Fahrt auf dem Meere, und dem Sprunge
der unsterblichen Pferde desselben zu vergleichen.
Nach dergleichen großen Beispielen wird es dennoch
der Allegorie in der Malerei nicht an Gegnern fehlen, so wie es der Allegorie
im Homer schon im Altertume ergangen ist. Es gibt Leute von so zärtlichen
Gewissen, daß sie die Fabel neben der Wahrheit gestellet, nicht ertragen
können: eine einzige Figur eines Flusses auf einem sogenannten heiligen
Vorwurfe ist vermögend ihnen Ärgernis zu geben. Poussin wurde getadelt, weil
er, auf seiner Erfindung Moses, den Nil persönlich gemacht hatte. Eine noch
stärkere Partei hat sich wider die Deutlichkeit der Allegorie erkläret; und in
diesem Punkte hat Lebrun ungeneigte Richter gefunden und findet sie noch itzo.
Aber wer weiß nicht, daß Zeit und Verhältnis mehrenteils Deutlichkeit und das
Gegenteil zu machen pflegt? Da Phidias seiner Venus zuerst eine Schildkröte
zugegeben, waren vielleicht wenige von der Absicht des Künstlers unterrichtet,
und derjenige, welcher ebendieser Göttin zuerst Fesseln angeleget, hat viel
gewaget. Mit der Zeit wurden diese Zeichen so bekannt als es die Figur war,
welcher sie beigeleget worden. Aber die ganze Allegorie hat, wie Plato von der
Dichtkunst überhaupt saget, etwas Rätselhaftes, und ist nicht für jedermann
gemacht. Wenn die Besorgung, denen undeutlich zu sein, die ein Gemälde wie ein
Getümmel von Menschen ansehen, den Künstler bestimmen sollte, so würde er auch
alle außerordentliche fremde Ideen ersticken müssen. Die Absicht des berühmten
Federigo Baroccio mit einer Kirsche auf einem Märtyrertod des hl. Vitalis, die
ein junges Mädchen über einen Specht hielt, der nach derselben schnappete, war
notwendig sehr vielen ein Geheimnis. Die Kirsche bedeutete die Jahrszeit, in
welcher der Heilige seinen Geist aufgegeben hatte.
Alle große Maschinen und Stücke eines öffentlichen
Gebäudes, Palastes etc. erfordern billig allegorische Malereien. Das, was groß
ist, hat einerlei Verhältnis: eine Elegie ist nicht gemacht, große Begebenheiten
in der Welt zu besingen. Ist aber eine jede Fabel eine Allegorie zu ihrem Orte?
Sie hat es weniger Recht zu sein, als der Doge verlangen könnte dasjenige in
Terraferma vorzustellen, was er zu Venedig ist. Wenn ich richtig urteile, so
gehöret die Farnesische Galerie nicht unter die allegorischen Werke. Vielleicht
habe ich dem Annibale an diesem Orte in meiner Schrift zu viel getan, wenn die
Wahl nicht bei ihm gestanden: man weiß, daß der Herzog von Orleans vom Coypel
die Geschichte des Äneas in seine Galerie verlanget.
Des Rubens Neptun auf der Königlichen Galerie zu
Dresden, war ehemals für den prächtigen Einzug des Infant Ferdinands von
Spanien, als Gouverneur der Niederlande, in Antwerpen gemacht; und daselbst war
es an einer Ehrenpforte ein allegorisches Gemälde. Der Gott des Meers, der beim
Vergil den Winden Frieden gebietet, war dem Künstler ein Bild der nach
ausgestandenen Sturm glücklichen Fahrt und Anländung des Prinzen in Genua. Itzo
aber kann es weiter nichts, als den Neptun beim Vergil vorstellen.
Vasari hat nach der gleichsam bekannten und
angenommenen Absicht bei Gemälden an Orten, dergleichen ich namhaft gemacht
habe, geurteilet, wenn er in Raffaels bekanntem Gemälde im Vatikan, welches
unter dem Namen der Schule zu Athen bekannt ist, eine Allegorie finden wollen;
nämlich die Vergleichung der Weltweisheit und Sterndeutung mit der Theologie:
da man doch nichts weiter in demselben zu suchen hat, als was man
augenscheinlich siehet, das ist, eine Vorstellung der Akademie zu Athen.
Im Altertume hingegen war eine jede Vorstellung der
Geschichte einer Gottheit in dem ihr geweiheten Tempel auch zugleich als ein
allegorisches Gemälde anzusehen, weil die ganze Mythologie ein Gewebe von
Allegorie war. Homers Götter, sagt jemand unter den Alten, sind natürliche
Gefühle der verschiedenen Kräfte der Welt; Schatten und Hüllen edler
Gesinnungen. Für nichts anders sahe man die Liebeshändel des Jupiters und der
Juno an einem Plafond eines Tempels dieser Göttin zu Samos an. Durch den
Jupiter wurde die Luft und durch die Juno die Erde bezeichnet.
Endlich muß ich mich über die Vorstellung der
Widersprüche in den Neigungen des atheniensischen Volks, von der Hand des
Parrhasios, erklären. Ich will zugleich einen Fehler anmerken, den ich in
meiner Schrift begangen habe: an die Stelle dieses Malers ist in der Schrift
Aristides gesetzt, welchen man insgemein den Maler der Seele hieß. In dem
Sendschreiben hat man sich den Begriff von besagtem Gemälde sehr leicht und
bequem gemacht: man teilet es zu mehrerer Deutlichkeit in verschiedene Gemälde
ein. Der Künstler hat gewiß nicht so gedacht: denn sogar ein Bildhauer,
Leochares, machte eine Statue des atheniensischen Volks, so wie man einen
Tempel unter diesem Namen hatte, und die Gemälde, deren Vorwurf das Volk zu Athen
war, scheinen wie des Parrhasios Werk ausgeführet gewesen zu sein. Man hat noch
keine wahrscheinliche Komposition desselben entwerfen können, oder da man es
mit der Allegorie versuchet, so ist eine schreckliche Gestalt erschienen, wie
diejenige ist, die uns Tesoro malet. Das Gemälde des Parrhasios wird allezeit
ein Beweis bleiben, daß die Alten gelehrter als wir in der Allegorie gewesen.
Meine Erklärung über die Allegorie überhaupt,
begreift zugleich dasjenige in sich, was ich über die Allegorie in Verzierungen
sagen könnte: da aber der Verfasser des Sendschreibens besondere Bedenken über
dieselbe angebracht hat, so will ich diesen Punkt wenigstens berühren.
In allen Verzierungen sind die beiden vornehmsten
Gesetze: Erstlich, der Natur der Sache und dem Orte gemäß, und mit Wahrheit;
und zweitens, nicht nach einer willkürlichen Phantasie zu zieren.
Das erste Gesetz, welches allen Künstlern überhaupt
vorgeschrieben ist, und von ihnen verlanget, Dinge dergestalt
zusammenzustellen, daß das eine auf das andere eine Verhältnis habe, will auch
hier eine genaue Übereinstimmung des Verzierten mit den Zieraten.
- Non ut placidis coeant immitia -
Hor.
Das Unheilige soll nicht zu dem Heiligen, und das
Schreckhafte nicht zu dem Erhabenen gestellet werden; und aus ebendiesem Grunde
verwirft man die Schafsköpfe in den Metopen der dorischen Säulen an der Kapelle
des Luxemburgischen Palais in Paris.
Das zweite Gesetz schließt eine gewisse Freiheit
aus, und schränkt Baumeister und Verzierer in viel engere Grenzen ein als
selbst die Maler. Dieser muß sich zuweilen sogar nach der Mode in historischen
Stücken bequemen, und es würde wider alle Klugheit sein, wenn er sich mit
seinen Figuren in seiner Einbildung allezeit nach Griechenland versetzen
wollte. Aber Gebäude und öffentliche Werke, die von langer Dauer sein sollen,
erfordern Verzierungen, die einen längern Perioden als Kleidertrachten haben,
das ist, entweder solche, die sich viele Jahrhunderte hindurch in Ansehen
erhalten haben und bleiben werden, oder solche, die nach den Regeln, oder nach
dem Geschmacke des Altertums gearbeitet worden; widrigenfalls wird es
geschehen, daß Verzierungen veralten und aus der Mode kommen, ehe das Werk, wo
sie angebracht sind, vollendet worden.
Das erste Gesetz führet den Künstler zur Allegorie:
das zweite zur Nachahmung des Altertums; und dieses gehet vornehmlich die
kleinern Verzierungen an.
Kleinere Verzierungen nenne ich diejenigen, welche
teils kein Ganzes ausmachen, teils ein Zusatz der größeren sind. Muscheln sind
bei den Alten nirgends als wo es der Fabel, wie bei der Venus und den
Meergöttern, oder wo es dem Orte gemäß gewesen, wie in Tempeln des Neptuns
geschehen, angebracht worden: Man glaubt auch, daß alte Lampen mit Muscheln
gezieret, in Tempeln dieser Gottheit gebraucht worden sind. Sie können also an
vielen Orten schön ja bedeutend sein; wie in den Festons an dem Rathause zu
Amsterdam.
Die Schaf- und Stierköpfe geben sowenig eine
Rechtfertigung des Muschelwerks, wie der Verfasser des Sendschreibens
vielleicht glaubt, daß sie vielmehr den Mißbrauch desselben dartun können.
Diese von der Haut entblößtem Köpfe hatten nicht allein ein Verhältnis zu den
Opfern der Alten; sondern man glaubt auch, sie hätten die Kraft dem Blitze zu
widerstehen, und Numa wollte hierüber einen besonderen Befehl vom Jupiter bekommen
haben. Das Kapital einer korinthischen Säule kann ebensowenig zu dem
Muschelwerk, als ein Beispiel eines scheinbar ungereimten Zierats gesetzt
werden, der durch die Länge der Zeit Wahrheit und Geschmack erhalten. Der Ursprung
dieses Kapitals scheinet weit natürlicher und vernünftiger zu sein, als Vitruvs
Angeben ist. Diese Untersuchung aber gehöret in ein Werk der Baukunst. Pococke,
welcher glaubt, daß die korinthische Ordnung vielleicht nicht sonderlich
bekannt gewesen, da Perikles den Tempel der Minerva gebauet, hätte sich
erinnern sollen, daß dieser Göttin ihren Tempeln dorische Säulen gehören, wie
Vitruv lehret.
Man muß in diesen Verzierungen so wie überhaupt in
der Baukunst verfahren. Diese erhält eine große Manier, wenn die Einteilung der
Hauptglieder an den Säulenordnungen aus wenig Teilen bestehet; wenn dieselben
eine kühne und mächtige Erhobenheit und Ausschweifung erhalten. Man gedenke
hierbei an die kannelierten Säulen am Tempel des Jupiters zu Agrigent, in deren
einzigem Reife ein Mensch füglich stehen konnte. Diese Verzierungen sollen
nicht allein an sich wenig sein, sondern sie sollen auch aus wenig Teilen
bestehen, und diese Teile sollen groß und frei ausschweifen.
Das erste Gesetz (um wieder auf die Allegorie zu
kommen) könnte in sehr viel subalterne Regeln zergliedert werden: die
Beobachtung der Natur der Sachen aber und der Umstände ist allezeit das
allgemeine Augenmerk der Künstler; und was die Beispiele betrifft, so scheinet
hier der Weg der Widerlegung lehrreicher als der Weg der Vorschrift.
Arion auf einem Delphine reitend, so wie er als ein
Gemälde zu einer Sopraporte in einem neuern Werke der Baukunst, wiewohl nicht
mit Vorsatz, wie es scheinet, angebracht ist, würde nach der gewöhnlichen
Deutung nur allein in Sälen und Zimmern eines Dauphin von Frankreich, dem Orte
gemäß sein: an allen Orten aber, wo dieses Bild nicht entweder auf
Menschenliebe, oder auf Hülfe und Schutz, welchen Künstler, wie Arion finden,
ziehen kann, würde es nicht bedeutend sein. In der Stadt Tarent hingegen könnte
ebendieses Bild, doch ohne Leier, noch itzo, an allen öffentlichen Gebäuden
seinen Ort zieren: denn die alten Tarentiner, die des Neptuns Sohn Taras vor
ihren Erbauer hielten, prägten denselben, wie er auf einem Delphine ritt, auf
ihre Münzen.
Man hat wider die Wahrheit gehandelt in den
Verzierungen eines Gebäudes, an dessen Aufführung eine ganze Nation Teil hat;
an dem Palais Blenheim des Herzogs von Marlborough, wo über zwei Portale
ungeheure Löwen von Stein gehauen liegen, welche einen kleinen Hahn in Stücken
reißen: die Erfindung ist nichts als ein sehr gemeines Wortspiel.
Es ist nicht zu leugnen, man hat eins oder ein paar
Beispiele von ähnlich scheinenden Gedanken aus den Altertume, wie die Löwin auf
dem Grabmale der Liebste des Aristogeitons, mit Namen Leaina war, welches
dieser Person als eine Belohnung aufgerichtet wurde, wegen der bezeugten
Beständigkeit in der Marter des Tyrannen, um von ihr ein Geständnis der
Mitverschwornen wider ihn zu erpressen. ich weiß nicht, ob dieses Grabmal zur
Rechtfertigung der Wortspiele in neueren Verzierungen dienen könnte. Die
Liebste des Märtyrers der Freiheit zu Athen war eine Person von berüchtigten
Sitten, deren Namen man Bedenken trug auf ein öffentliches Denkmal zu setzen. Eine
gleiche Beschaffenheit hat es mit den Eidechsen und Fröschen an einem Tempel,
wodurch die beiden Baumeister Sauros und Batrachos ihre Namen, die sie nicht
offenbar andeuten durften, zu verewigen suchten. Gedachte Löwin hatte keine
Zunge und dieser Gedanke gab der Allegorie Wahrheit. Die Löwin, welche auf der
berühmten Lais Grab gesetzt wurde, war vermutlich von jener eine Kopie, und
hielt hier mit den Vorderfüßen einen Widder, als ein Gemälde ihrer Sitten. In
übrigen wurde auf dem Grabmal tapferer Leute insgemein ein Löwe gesetzt.
Es ist zwar nicht zu verlangen, daß alle
Verzierungen und Bilder der Alten auch sogar auf ihren Vasen und Geräte
allegorisch sein sollen. Die Erklärung von vielen derselben würde auch entweder
sehr mühsam werden, oder auf bloßen Mutmaßungen beruhen. Ich unterstehe mich
nicht zu behaupten, daß zum Exempel eine irdene Lampe in der Gestalt eines
Ochsenkopfs eine immerwährende Erinnerung nützlicher Arbeiten bedeute, so wie
das Feuer ewig ist. Ebensowenig möchte ich hier die Vorstellung eines Opfers
des Pluto und der Proserpine suchen. Das Bild aber eines trojanischen Prinzen,
den Jupiter entführet und ihn zu seinen Liebling erwählet, war in dem Mantel
eines Trojaners von großer und rühmlicher Deutung; und also eine wahre Allegorie,
welche man in dem Sendschreiben nicht hat finden wollen. Die Bedeutung der
Vögel, die von Trauben fressen, scheinet einem Aschentopfe ebenso gemäß zu
sein, als es der junge Bacchus, den Merkur der Leukothea zu säugen überbringet,
auf einer großen marmornen Vase von dem Athenienser Salpion gearbeitet, ist.
Die Vögel können den Genuß des Vergnügens vorstellen, welches der Verstorbene
in den elysäischen Feldern haben wird; so wie dieses nach der herrschenden
Neigung im Leben zu geschehen pflegte: man weiß, daß Vögel ein Bild der Seele
waren. Man will auch bei einem Sphinx auf einem Becher des Künstlers Absehen
auf die Begebenheiten des Ödipus in Theben, als dem Vaterlande des Bacchus, dem
der Becher geweihet sein sollen, finden. Die Eidechse aber auf einem Trinkgeschirre
des Mentors kann den Besitzer desselben anzeigen, welcher vielleicht Sauros geheißen
hat.
Ich glaube, man habe Ursach in den mehresten
Bildern des Altertums Allegorien zu suchen, wenn man erwäget, daß sie sogar
allegorisch gebauet haben. Ein solches Werk war die den Sieben Freien Künsten
geweihete Galerie zu Olympia, in welcher ein abgelesenes Gedicht durch den
Widerhall siebenmal wiederholet wurde. Ein Tempel des Merkurs, der anstatt der
Säulen, auf Hermen, oder auf Thermen, wie man itzo spricht, ruhete, auf einer
Münze Kaisers Aurelianus, kann einigermaßen mit hiehergehören. In dem Fronton
ist ein Hund, ein Hahn und eine Zunge: Figuren deren Auslegung bekannt ist.
Noch gelehrter war der Bau des Tempels der Tugend
und der Ehre welchen Marcellus unternahm. Da er die Beute, welche er in
Sizilien gemacht hatte, hierzu bestimmte, wurde ihm sein Vorhaben durch die
Oberpriester, deren Gutachten er vorher einholete, untersaget, unter dem
Vorwande, daß ein einziger Tempel nicht zwo Gottheiten fassen könnte. Marcellus
ließ also zwei Tempel nahe aneinander bauen, dergestalt, daß man durch den
Tempel der Tugend gehen mußte, um in den Tempel der Ehre zu gelangen; um
dadurch zu lehren, daß man allein durch Ausübung der Tugend zur wahren Ehre
geführet werde. Dieser Tempel war vor der Porta Capena. Es fällt mir hierbei
ein ähnlicher Gedanke ein. Die Alten pflegten Statuen von häßlichen Satyrs zu
machen, welche hohl waren: wenn man sie öffnete, zeigten sich kleine Figuren
der Grazien. Wollte man nicht dadurch lehren, daß man nicht nach dem äußeren
Scheine urteilen solle, und daß dasjenige, was der Gestalt abgehet, durch den
Verstand ersetzet werde?
Ich befürchte, daß einige Bedenken in dem
Sendschreiben wider meine Schrift von mir können übergangen worden sein, auf
die ich zu antworten gewillet war. Ich entsinne mich hier auf die Kunst der
Griechen aus blauen Augen schwarze zu machen: Dioskurides ist der einzige
Skribent, der von derselben Meldung getan hat. Es ist in dieser Kunst auch in
neuern Zeiten ein Versuch geschehen. Eine gewisse Gräfin in Schlesien war eine
bekannte Schönheit unserer Zeiten: man fand sie vollkommen; nur hätten einige
gewünscht, daß sie statt der blauen Augen schwarze gehabt hätte. Sie erfuhr den
Wunsch ihrer Anbeter, und wendete alle Mittel an, die Natur zu ändern, und es
gelung ihr: sie bekam schwarze Augen; wurde aber blind.
Ich habe mir selbst und vielleicht auch dem
Sendschreiben kein Genüge getan: Allein die Kunst ist unerschöpflich, und man
muß nicht alles schreiben wollen. Ich suchte mich in der mir vergönneten Muße
angenehm zu beschäftigen, und die Unterredungen mit meinem Freunde, Herrn
Friedrich Oeser, einem wahren Nachfolger des Aristides, der die Seele
schilderte, und für den Verstand malete, gaben zum Teil hierzu die Gelegenheit.
Der Name dieses würdigen Künstlers und Freundes soll den Schluß meiner Schrift
zieren.