LIEBESLYRIK

 

INHALT

BLATT 15

 

Erich Kästner

 

Sachliche Romanze

 

Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

 

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,

versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wussten nicht weiter.

Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

 

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.

 

Sie gingen ins kleinste Café am Ort

und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort.

Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.

 

 

Quelle: Kästner, Erich: Lärm im Spiegel. 1929.