LIEBESLYRIK

 

INHALT

BLATT 11

 

Joseph von Eichendorff

 

Der Schiffer (1808)

 

Du schönste Wunderblume süßer Frauen!

Ein Meer bist du, wo Flut und Himmel laden,

Fröhlich zu binden von des Grüns Gestaden

Der wünsche blühnde Segel voll Vertrauen.

 

So schiffend nun auf stillerblühten Auen,

In Lockennacht, wo Blicke zaubrisch laden,

Des Munds Koralln in weißem Glanze baden,

Wen füllt’ mit süßem Schauer nicht solch Schauen!

 

Viel hab ich von Sirenen sagen hören,

Stimmen, die aus dem Abgrund lockend schallen

Und Schiff und Schiffer ziehn zum kühlen Tode.

 

Ich muß dem Zauber ewge Treue schwören,

Und ruder, Segel laß ich gerne fallen,

Denn schönres Leben blüht aus solchem Tode.

 

 

 


Eichendorff,  Der Schiffer

 

Die christliche Deutung der Liebe - gegenüber Novalis um einige Aspekte erweitert - bildet auch das Grundthema der Dichtungen Eichendorffs (1788-1857). Auch Eichendorffs Lyrik kennt neben der christlich verankerten Seelenliebe die magische Zauberkraft der sinnlichen Verlockung.

 

Das wichtigste Gestaltungsmittel, mit dem Eichendorff das Motiv der weiblichen Verführungsmacht poetisch veranschaulicht, besteht in den Bildvergleichen und Metaphern. Im preisenden Anruf der 1. Zeile benutzt das lyrische Ich die Umschreibung „Wunderblume süßer Frauen“ Die Benennung einer geliebten Frau als Blume, z. B. als Rose oder Lilie, ist als traditionelles Klischee in der Lyriksprache bekannt. Eichendorff wählt aber mit Bedacht nicht eine bestimmte Blumenart zur Metaphernbildung, mit deren Hilfe der Leser assoziative Beziehungen zwischen der Schönheit der Pflanze (Form, Farbe, Duft etc.) und der Geliebten herstellen könnte, sondern er bedient sich des abstrakten Gebildes“ Wunderblume“. Dadurch wird die Vorstellung geweckt, dass die Frau nicht in bestimmten Äußerlichkeiten, sondern ihrem ganzen Wesen nach den Blumen gleicht. Wozu man noch wissen muss, dass die Blume als Teil des Vegetabilischen bei Eichendorff stets in den Bereich des rein Sinnlichen weist. Zusätzlich werden der Frau durch die Metapher übernatürliche Eigenschaften und Wirkungen („Wunder') auf das lyrische Subjekt zugeschrieben. Und schließlich wird ihr das auf Sinnenreiz deutende Adjektiv „süß“ zugeordnet. Allerdings lässt sich eine semantische  Beziehung des Beiworts zwanglos auch zur Blume herstellen (süßer Duft) und ebenfalls zur Wahrnehmungsbereitschaft des lyrischen Ichs, in dem die weibliche Schönheit ja „süße“ Empfindungen weckt wie die Wiederholung des Adjektivs im 8. Vers („süße Schauer“) bestätigt. So wirkt die betörende Süße in allen Wesen.

 

Der zweite Metaphernkomplex, mit dem Eichendorff die Faszination des Weiblichen auf das lyrische Subjekt umschreibt, ist das Meer. Es dient als Sinnbild für die Sehnsucht des Menschen, in die verlockende Ferne zu fahren. Entsprechend lädt es (das Meer, das eigentlich eine Frau ist) das Ich dazu ein, „der Wünsche blühende Segel“ zu lösen. So verschmilzt das Erlebnis der Sinnenliebe mit dem Bild der abenteuerlichen Meerfahrt, bei der die eigenen Wünsche dem Schiffer als Antrieb („Segel“) dienen, und zwar in geschickter Verschränkung mit der Blumen-Metapher als „blühende Segel“, d. h. als dem bewusstlos-organischen Wesen der Pflanzen verwandt.

 

Die 2. Strophe führt das Bild des Liebeserlebnisses als Reise weiter und benennt in metaphorischer Umschreibung einige ihrer ,Stationen'. Waren es in Vers 2 noch sehr unbestimmt „Flut und Himmel“, die das Ich faszinierten. so konkretisieren sich in Vers 6 - der übrigens mit Vers 2 syntaktisch auffällig übereinstimmt - die erotischen Anziehungskräfte: „In Lockennacht, wo Blicke zaubrisch laden“. Die Metapher „Lockennacht“ spielt an auf die in Eichendorffs Werk meist schwarzgelockte Liebeszauberin. Mit untergründiger Doppelbedeutung ruft sie zugleich die Gefahr wach, die dem Ich von der Verlockung der Nacht droht. Sie symbolisiert in solchem Zusammenhang das finstere Reich des Bösen. Zum Arsenal der verführerischen Waffen gehören natürlich auch die „Blicke“, die „zaubrisch laden“ (= locken).

 

Von sinnlicher Schönheit kündet das aufreizende Rot der Lippen, das Eichendorff nicht zufällig mit einer Metapher der barocken Liebeslyrik formuliert („Des Munds Koralln“). Das kontrastierende Weiß der Wangen und der Zähne veranlasst eine weitere optisch reizvolle Bildfindung: das faszinierend schöne Gesicht gleicht einem Bad, in das man eintauchen möchte. Auch dieses Bild knüpft an die Meeres-Metapher an und weckt zugleich Erinnerungen an poetisch-mythologische Badeszenen mit erotischem Inhalt (z. B. die schaumgeborene Aphrodite). Im 8. Vers fasst das lyrische Ich die Wirkung der sinnbetörenden Reize in einem Ausruf zusammen. Eichendorff nutzt auf kunstvolle Weise die Klangverwandtschaft der Wörter „schauen“ und „Schauer“, um durch ein Wortspiel den Zusammen- hang zwischen dem Anschauen der weiblichen Schönheit und den begehrlichen Empfindungen des Ichs („Schauer“) zu verdeutlichen. Aber der Bezug des substantivierten Verbs „Schauen“ ist wiederum doppeldeutig: Es meint das Schauen des lyrischen Subjekts selbst wie auch die lockenden Blicke der Verführerin. Und in das System der vielfältigen Verknüpfungen wird sogar der Leser hineingezogen, in- dem er die rhetorische Frage („ Wen füllt' ...nicht“) auch auf sich beziehen wird. 

 

Die 4. Strophe lässt endgültig erkennen, dass das Ich der Eros-Gewalt wehrlos ausgeliefert ist: Es „muß“ ihr „ewge Treue schwören“. Damit handelt es unter einem Zwang, der ihm keine freie Wahl lässt, obwohl der Dichter ihm auf der anderen Seite eine Entscheidungsfreiheit („laß ich gerne fallen“) ein- räumt. Im ambivalenten Zwischenbereich von Müssen und Wollen entscheidet sich der Kampf des Menschen mit den sinnlichen Verlockungen. Wer ihnen erliegt, verliert die Lauterkeit seines Herzens („süße Schauer“ verwirren ihn) und seine geistig-sittliche Freiheit (er muß dem Zauber folgen). So geht er als Mensch im höheren Sinne zugrunde.  

 

aus: Binneberg, Kurt. Lektürehilfen Liebeslyrik. Epochen- und gattungsspezifische Aspekte. Stuttgart: 1989.


 


Himmlische und irdische Liebe in der romantischen Poesie

 

Die romantische Dichtung wird von der Idee geleitet, in der gegebenen Realität überwirkliche (transzendente) Zusammenhänge und göttliche Kräfte zu erkennen und im Kunstwerk darzustellen. Sie ist daher im wesentlichen transzendentale oder religiöse Poesie. Entsprechend treffen wir in ihrer Liebeslyrik auf einen zweifachen Liebesbegriff: die irdisch gegebene Sinnenliebe und die aufs Himmlische gerichtete Seelenliebe. Die Gedichte von Novalis, Brentano und Eichendorff legen Zeugnis ab von diesem Dualismus der Empfindungen und dem Versuch, ihn zu versöhnen.

 

Der Gegensatz von Sinnenliebe und geistig-seelischer Liebe führt die romantische Lyrik in einen kaum lösbaren Konflikt. Die ersehnte Zusammenführung beider Formen der Liebe zur harmonischen Einheit gelingt als Idealvorstellung nur dann, wenn der menschliche Eros in der Liebe zu Christus/Gott aufgehoben wird (Novalis, Eichendorff). Im Grunde bleiben beide Bereiche getrennt und finden ihre jeweilige dichterische Gestaltung in Texten, die entweder eine religiöse Überhöhung der Liebe vornehmen (Vorbild; die Marienverehrung) oder sie mit Hilfe heidnisch-mythologischer Symbolfiguren (Venus, Sirenen etc.) als reine Sinnlichkeit dämonisieren (Brentano, Eichendorff).


 

 


Friedrich Schlegel:

Progressive Universalpoesie

(1798)

 

Friedrich Schlegel gründet 1797 zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm Schlegel die Zeitschrift Athenäum. Obwohl sie nur drei Jahre erscheint, gewinnt sie große Bedeutung. Sie ist das Organ der Frühromantiker (Schleiermacher, Novalis, Caroline Schlegel). Vor allem in den Fragmenten, die noch im ersten Band des Athenäums ohne Nennung des Verfassers als Gemeinschaftswerk Friedrich und August Wilhelm Schlegels sowie Novalis‘ und Schleiermachers erscheinen, werden grundlegende Vorstellungen zu einer Poetik der Romantik formuliert. Besondere Bedeutung für die Entwicklung poetologischer Vorstellungen erlangt das 116. Athenäums-Fragment, in dem Friedrich Schlegel die Programmatik der romantischen Poesie formuliert. Diese sogenannte Progressive Universalpoesie fordert die Vermischung aller Gattungen. Im romantischen Roman schlägt sich dieses Diktum in einem steten Wechsel der Formen nieder: Erzählende Passagen werden von dramatischen, dialogischen Sequenzen abgelöst; Gedichte, Lieder oder Briefe durchbrechen den Erzählfluß. Aber auch die Erzählung an sich ist nicht „aus einem Guß“. Es gibt immer wieder kleinere Subtexte (Märchen, Exkurse, Erinnerungen etc.), die die Haupterzählung unterbrechen. So besteht der Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores [1810] von Achim von Arnim aus fast 100 eigenständigen Erzählelementen. Dies ist ein Gegenschlag gegen alle schematisierenden Poetiken, die den Dichter in ein enges Regelkorsett zwängen.

 

Schlegels Poetik steht jedoch nicht nur für die Vermischung der Gattungen, sondern auch für den Grundsatz, daß Poesie nicht nur – im engen Sinne – alle poetischen Elementen integrieren soll, sondern auch Philosophie, Rhetorik und Kritik:

 

„Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.“

 

Indem die Universalpoesie sich möglichst viele Bereiche des Lebens aneignet, wird das Leben selbst zur Dichtung; ein Leben, dessen Totalität, als Bild des Zeitalters, sich wiederum nur in der Poesie wiederfindet. Nur in ihr kann der Mensch alles überblicken.

 

„Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisieren, sei ihr Eins und Alles; und doch gibt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken: so daß manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. [...] Die romantische Poesie ist unter den Künsten, was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art und gleichsam die Dichtkunst selber ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein.“ (S. 38f.) Die absolute Freiheit des Dichters meint also nicht nur Freiheit von tradierten poetologischen Konventionen – für deren Außerkraftsetzung die Romantik seit jeher bekannt ist -, sondern Freiheit von jeder Poetik, auch der romantischen. Die poetische Unfreiheit besteht in dem Zwang zur Freiheit.

 

Die historische Bedeutung dieser neuen Poetik liegt also in der radikalen Abkehr von jeglicher Regelpoetik. Der Dichter wird zu einem in Freiheit schaffenden Genie. Nur er selber ist für die Gestalt seines Werkes verantwortlich. Damit einher geht die Aufwertung des Romans als literarische Form, denn in seiner flexiblen Hülle ist nicht nur die Vermischung der Gattungen möglich. Auch die Abkehr von der Idealvorstellung, daß im Epos (Aristoteles, Hegel) oder im Roman gesellschaftliche Totalität abgebildet werden kann und muß, beginnt Schlegel mit seiner progressiven Universalpoesie vorzubereiten, ohne es zu wollen. Zwar glaubt er noch, in der Unabschließbarkeit des romantischen Romans Unendlichkeit auszudrücken und damit auf die Ganzheit der Erscheinungen der Menschen und der Gesellschaft zu verweisen, aber dieser fragmentarische Charakter des Romans bereitet schon moderne und postmoderne Formen literarischen Schaffens vor, die ja nicht nur durch ihre stilistische Freiheit, sondern oft auch durch die radikale Begrenzung ihrer Perspektive gekennzeichnet sind. Wir erleben die Wirklichkeit dort nur noch als Ausschnitt, begrenzt auf die Sicht eines orientierungslosen Subjekts, für das sich die Welt längst auf ungeordnete Eindrücke reduziert hat. Hier verweist das Fragmentarische nicht mehr auf die Welt, sondern nur auf das Individuum.

 

Friedrich Schlegel: Kritische Schriften, hg. v. Wolfdietrich Rasch, 2. Aufl., München 1964.

 

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