Der
Schiffer (1808)
Du schönste Wunderblume süßer Frauen!
Ein Meer bist du, wo Flut und Himmel laden,
Fröhlich zu binden von des Grüns Gestaden
Der wünsche blühnde Segel voll Vertrauen.
So schiffend nun auf stillerblühten Auen,
In Lockennacht, wo Blicke zaubrisch laden,
Des Munds Koralln in weißem Glanze baden,
Wen füllt’ mit süßem Schauer nicht solch Schauen!
Viel hab ich von Sirenen sagen hören,
Stimmen, die aus dem Abgrund lockend schallen
Und Schiff und Schiffer ziehn zum kühlen Tode.
Ich muß dem Zauber ewge Treue schwören,
Und ruder, Segel laß ich gerne fallen,
Denn schönres Leben blüht aus solchem Tode.
Die christliche Deutung der Liebe - gegenüber Novalis um
einige Aspekte erweitert - bildet auch das Grundthema der Dichtungen
Eichendorffs (1788-1857). Auch Eichendorffs Lyrik kennt neben der christlich
verankerten Seelenliebe die magische Zauberkraft der sinnlichen Verlockung.
Das
wichtigste Gestaltungsmittel, mit dem Eichendorff das Motiv der weiblichen
Verführungsmacht poetisch veranschaulicht, besteht in den Bildvergleichen und
Metaphern. Im preisenden Anruf der 1. Zeile benutzt das lyrische Ich die
Umschreibung „Wunderblume süßer Frauen“ Die Benennung einer geliebten Frau als
Blume, z. B. als Rose oder Lilie, ist als traditionelles Klischee in der
Lyriksprache bekannt. Eichendorff wählt aber mit Bedacht nicht eine bestimmte
Blumenart zur Metaphernbildung, mit deren Hilfe der Leser assoziative
Beziehungen zwischen der Schönheit der Pflanze (Form, Farbe, Duft etc.) und der
Geliebten herstellen könnte, sondern er bedient sich des abstrakten Gebildes“
Wunderblume“. Dadurch wird die Vorstellung geweckt, dass die Frau nicht in
bestimmten Äußerlichkeiten, sondern ihrem ganzen Wesen nach den Blumen gleicht.
Wozu man noch wissen muss, dass die Blume als Teil des Vegetabilischen bei
Eichendorff stets in den Bereich des rein Sinnlichen weist. Zusätzlich werden
der Frau durch die Metapher übernatürliche Eigenschaften und Wirkungen
(„Wunder') auf das lyrische Subjekt zugeschrieben. Und schließlich wird ihr das
auf Sinnenreiz deutende Adjektiv „süß“ zugeordnet. Allerdings lässt sich eine semantische Beziehung des Beiworts zwanglos auch zur
Blume herstellen (süßer Duft) und ebenfalls zur Wahrnehmungsbereitschaft des
lyrischen Ichs, in dem die weibliche Schönheit ja „süße“ Empfindungen weckt wie
die Wiederholung des Adjektivs im 8. Vers („süße Schauer“) bestätigt. So wirkt
die betörende Süße in allen Wesen.
Der zweite Metaphernkomplex, mit dem Eichendorff die
Faszination des Weiblichen auf das lyrische Subjekt umschreibt, ist das Meer.
Es dient als Sinnbild für die Sehnsucht des Menschen, in die verlockende Ferne
zu fahren. Entsprechend lädt es (das Meer, das eigentlich eine Frau ist) das
Ich dazu ein, „der Wünsche blühende Segel“ zu lösen. So verschmilzt das
Erlebnis der Sinnenliebe mit dem Bild der abenteuerlichen Meerfahrt, bei der
die eigenen Wünsche dem Schiffer als Antrieb („Segel“) dienen, und zwar in
geschickter Verschränkung mit der Blumen-Metapher als „blühende Segel“, d. h.
als dem bewusstlos-organischen Wesen der Pflanzen verwandt.
Die 2. Strophe führt das Bild des Liebeserlebnisses als
Reise weiter und benennt in metaphorischer Umschreibung einige ihrer
,Stationen'. Waren es in Vers 2 noch sehr unbestimmt „Flut und Himmel“, die das
Ich faszinierten. so konkretisieren sich in Vers 6 - der übrigens mit Vers 2
syntaktisch auffällig übereinstimmt - die erotischen Anziehungskräfte: „In
Lockennacht, wo Blicke zaubrisch laden“. Die Metapher „Lockennacht“ spielt an
auf die in Eichendorffs Werk meist schwarzgelockte Liebeszauberin. Mit
untergründiger Doppelbedeutung ruft sie zugleich die Gefahr wach, die dem Ich
von der Verlockung der Nacht droht. Sie symbolisiert in solchem Zusammenhang
das finstere Reich des Bösen. Zum Arsenal der verführerischen Waffen gehören
natürlich auch die „Blicke“, die „zaubrisch laden“ (= locken).
Von sinnlicher Schönheit kündet das aufreizende Rot der
Lippen, das Eichendorff nicht zufällig mit einer Metapher der barocken
Liebeslyrik formuliert („Des Munds Koralln“). Das kontrastierende Weiß der
Wangen und der Zähne veranlasst eine weitere optisch reizvolle Bildfindung: das
faszinierend schöne Gesicht gleicht einem Bad, in das man eintauchen möchte.
Auch dieses Bild knüpft an die Meeres-Metapher an und weckt zugleich
Erinnerungen an poetisch-mythologische Badeszenen mit erotischem Inhalt (z. B.
die schaumgeborene Aphrodite). Im 8. Vers fasst das lyrische Ich die Wirkung
der sinnbetörenden Reize in einem Ausruf zusammen. Eichendorff nutzt auf
kunstvolle Weise die Klangverwandtschaft der Wörter „schauen“ und „Schauer“, um
durch ein Wortspiel den Zusammen- hang zwischen dem Anschauen der weiblichen
Schönheit und den begehrlichen Empfindungen des Ichs („Schauer“) zu
verdeutlichen. Aber der Bezug des substantivierten Verbs „Schauen“ ist wiederum
doppeldeutig: Es meint das Schauen des lyrischen Subjekts selbst wie auch die
lockenden Blicke der Verführerin. Und in das System der vielfältigen
Verknüpfungen wird sogar der Leser hineingezogen, in- dem er die rhetorische
Frage („ Wen füllt' ...nicht“) auch auf sich beziehen wird.
Die 4. Strophe lässt endgültig erkennen, dass das Ich der
Eros-Gewalt wehrlos ausgeliefert ist: Es „muß“ ihr „ewge Treue schwören“. Damit
handelt es unter einem Zwang, der ihm keine freie Wahl lässt, obwohl der
Dichter ihm auf der anderen Seite eine Entscheidungsfreiheit („laß ich gerne
fallen“) ein- räumt. Im ambivalenten Zwischenbereich von Müssen und Wollen
entscheidet sich der Kampf des Menschen mit den sinnlichen Verlockungen. Wer
ihnen erliegt, verliert die Lauterkeit seines Herzens („süße Schauer“ verwirren
ihn) und seine geistig-sittliche Freiheit (er muß dem Zauber folgen). So geht
er als Mensch im höheren Sinne zugrunde.
aus:
Binneberg, Kurt. Lektürehilfen Liebeslyrik. Epochen- und gattungsspezifische
Aspekte. Stuttgart: 1989.
Die romantische Dichtung wird von der Idee geleitet, in der
gegebenen Realität überwirkliche (transzendente) Zusammenhänge und göttliche
Kräfte zu erkennen und im Kunstwerk darzustellen. Sie ist daher im wesentlichen
transzendentale oder religiöse Poesie. Entsprechend treffen wir in ihrer
Liebeslyrik auf einen zweifachen Liebesbegriff: die irdisch gegebene
Sinnenliebe und die aufs Himmlische gerichtete Seelenliebe. Die Gedichte von
Novalis, Brentano und Eichendorff legen Zeugnis ab von diesem Dualismus der
Empfindungen und dem Versuch, ihn zu versöhnen.
Der Gegensatz von Sinnenliebe und geistig-seelischer Liebe
führt die romantische Lyrik in einen kaum lösbaren Konflikt. Die ersehnte
Zusammenführung beider Formen der Liebe zur harmonischen Einheit gelingt als
Idealvorstellung nur dann, wenn der menschliche Eros in der Liebe zu
Christus/Gott aufgehoben wird (Novalis, Eichendorff). Im Grunde bleiben beide
Bereiche getrennt und finden ihre jeweilige dichterische Gestaltung in Texten,
die entweder eine religiöse Überhöhung der Liebe vornehmen (Vorbild; die
Marienverehrung) oder sie mit Hilfe heidnisch-mythologischer Symbolfiguren
(Venus, Sirenen etc.) als reine Sinnlichkeit dämonisieren (Brentano, Eichendorff).
Friedrich
Schlegel:
(1798)
Friedrich Schlegel gründet 1797
zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm Schlegel die Zeitschrift Athenäum.
Obwohl sie nur drei Jahre erscheint, gewinnt sie große Bedeutung. Sie ist das
Organ der Frühromantiker (Schleiermacher, Novalis, Caroline Schlegel). Vor
allem in den Fragmenten, die noch im ersten Band des Athenäums ohne Nennung des
Verfassers als Gemeinschaftswerk Friedrich und August Wilhelm Schlegels sowie
Novalis‘ und Schleiermachers erscheinen, werden grundlegende Vorstellungen zu
einer Poetik der Romantik formuliert. Besondere Bedeutung für die Entwicklung
poetologischer Vorstellungen erlangt das 116. Athenäums-Fragment, in dem
Friedrich Schlegel die Programmatik der romantischen Poesie formuliert. Diese
sogenannte Progressive Universalpoesie fordert die Vermischung aller Gattungen.
Im romantischen Roman schlägt sich dieses Diktum in einem steten Wechsel der
Formen nieder: Erzählende Passagen werden von dramatischen, dialogischen
Sequenzen abgelöst; Gedichte, Lieder oder Briefe durchbrechen den Erzählfluß.
Aber auch die Erzählung an sich ist nicht „aus einem Guß“. Es gibt immer wieder
kleinere Subtexte (Märchen, Exkurse, Erinnerungen etc.), die die Haupterzählung
unterbrechen. So besteht der Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin
Dolores [1810] von Achim von Arnim aus fast 100 eigenständigen Erzählelementen.
Dies ist ein Gegenschlag gegen alle schematisierenden Poetiken, die den Dichter
in ein enges Regelkorsett zwängen.
Schlegels Poetik steht jedoch
nicht nur für die Vermischung der Gattungen, sondern auch für den Grundsatz,
daß Poesie nicht nur – im engen Sinne – alle poetischen Elementen integrieren
soll, sondern auch Philosophie, Rhetorik und Kritik:
„Die romantische Poesie ist
eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle
getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der
Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie
und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen,
bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die
Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit
gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die
Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom
größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu
dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.“
Indem die Universalpoesie sich
möglichst viele Bereiche des Lebens aneignet, wird das Leben selbst zur
Dichtung; ein Leben, dessen Totalität, als Bild des Zeitalters, sich wiederum
nur in der Poesie wiederfindet. Nur in ihr kann der Mensch alles überblicken.
„Sie kann sich so in das
Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art
zu charakterisieren, sei ihr Eins und Alles; und doch gibt es noch keine Form,
die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken: so daß
manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich
selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen
umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. [...] Die romantische Poesie
ist unter den Künsten, was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft,
Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig und
können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im
Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie
vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur
eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu
wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als ihr
erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich
leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art und gleichsam
die Dichtkunst selber ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle
Poesie romantisch sein.“ (S. 38f.) Die absolute Freiheit des
Dichters meint also nicht nur Freiheit von tradierten poetologischen
Konventionen – für deren Außerkraftsetzung die Romantik seit jeher bekannt ist
-, sondern Freiheit von jeder Poetik, auch der romantischen. Die poetische
Unfreiheit besteht in dem Zwang zur Freiheit.
Die historische Bedeutung dieser
neuen Poetik liegt also in der radikalen Abkehr von jeglicher Regelpoetik. Der
Dichter wird zu einem in Freiheit schaffenden Genie. Nur er selber ist für die
Gestalt seines Werkes verantwortlich. Damit einher geht die Aufwertung des
Romans als literarische Form, denn in seiner flexiblen Hülle ist nicht nur die
Vermischung der Gattungen möglich. Auch die Abkehr von der Idealvorstellung,
daß im Epos (Aristoteles, Hegel) oder im Roman gesellschaftliche Totalität
abgebildet werden kann und muß, beginnt Schlegel mit seiner progressiven
Universalpoesie vorzubereiten, ohne es zu wollen. Zwar glaubt er noch, in der
Unabschließbarkeit des romantischen Romans Unendlichkeit auszudrücken und damit
auf die Ganzheit der Erscheinungen der Menschen und der Gesellschaft zu
verweisen, aber dieser fragmentarische Charakter des Romans bereitet schon
moderne und postmoderne Formen literarischen Schaffens vor, die ja nicht nur
durch ihre stilistische Freiheit, sondern oft auch durch die radikale
Begrenzung ihrer Perspektive gekennzeichnet sind. Wir erleben die Wirklichkeit
dort nur noch als Ausschnitt, begrenzt auf die Sicht eines orientierungslosen
Subjekts, für das sich die Welt längst auf ungeordnete Eindrücke reduziert hat.
Hier verweist das Fragmentarische nicht mehr auf die Welt, sondern nur auf das
Individuum.
Friedrich Schlegel:
Kritische Schriften, hg. v. Wolfdietrich Rasch, 2. Aufl., München 1964.
© rein -
http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/poetik/schlegelprog.htm