BLATT 06 d
Liebe. (Schöne
Künste) Diese allen Menschen gemeine und an mannigfaltigen
angenehmen und unangenehmen Empfindungen so reiche Leidenschaft, wird in allen
Gattungen der Werke des Geschmacks vielfältig zum Hauptgegenstand; aber von
keiner wird ein so vielfältiger Mißbrauch gemacht. Damit wir im Stande seien
dem Künstler über den Gebrauch und die Behandlung derselben gründliche
Vorschläge zu tun, müssen wir notwendig einige Betrachtungen über ihre wahre
Natur voraus schicken.
Der erste Ursprung der Liebe
liegt unstreitig in der blos thierischen Natur des Menschen; aber man müsste
die bewunderungswürdigen Veranstaltungen der Natur ganz verkennen, wenn man
darin nichts höheres als thierische Regungen entdeckte. Der wahre Beobachter
bemerket, dass diese Leidenschaft ihre Wurzeln in dem Fleisch und Blut des
thierischen Körpers hat, aber ihre Äste hoch über der körperlichen Welt in der
Sphäre höherer Wesen verbreitet, wo sie unvergängliche Früchte zur Reife
bringt.
Ob sie gleich in ihrer ersten
Anlag eigennützig ist, zeugt sie doch in rechtschaffenen Gemütern die edelsten
Triebe der Wohlgewogenheit, der zärtlichsten Freundschaft und einer alles
eigene Interesse vergessenden Großmut. Sie ziehlt im Grund auf Wollust und ist
doch das kräftigste Mittel von der Wollust ab und auf selig ere Empfindungen zu
führen; ist furchtsam und oft kleinmütig und kann dennoch der Grund des
höchsten Mutes sein; ist ein in ihrem Ursprung niedriges schaamrotmachendes
Gefühl und in ihren Folgen die Ursache einer wahren Erhöhung des Gemütes.
Diejenigen, denen dieses wiedersprechend oder übertrieben vorkommt, sind zu
beklagen und würden durch weitläufigere Entwicklung der Sachen doch nicht
belehrt werden.
Der Künstler muss die
verschiedenen Gestalten, die diese Leidenschaft annimmt und ihre verschiedenen
Wirkungen genau unterscheiden, wenn er sie ohne Tadel behandeln soll. Wir
wollen also die Hauptformen derselben unterscheiden und über jede einige dem
Künstler dienliche Anmerkungen beifügen.
Liebe in rohen oder durch
Wollust verwilderten Menschen, die bloß auf eine wilde Befriedigung des
körperlichen Bedürfnisses abziehlt, kann nach Beschaffenheit der Umstände in
eine höchst gefährliche Leidenschaft ausbrechen und äußerst verderbliche Folgen
nach sich ziehen. Diese durch Hilfe der schönen Künste noch mehr zu reizen, in
das schon verzehrende Feuer noch mehr Öl zu gießen, ist der schändlichste
Mißbrauch, dessen sich Maler und Dichter nur allzu oft schuldig machen. Für
Werke, die bloß zur niedrigen Wollust reizen, lassen sich schlechterdings keine
Entschuldigungen anführen, die bei ver nünftigen Menschen den geringsten
Eindruck machten. Die fleischlichen Triebe, so weit die Natur ihrer bedarf,
sind bei Menschen, die ihr Temperament nicht durch Ausschweifungen zu Grunde
gerichtet haben, allezeit stark und lebhaft genug; also ist es Narrheit sie
über ihren Endzweck zu reizen: aber für verworfene Wollüstlinge zu arbeiten,
erniedriget den Künstler. Wer sollte ohne Schaam sich zum Diener solcher unter
das Tier erniedrigten Menschen machen, wenn sie auch von hohem Stande wären?
Deswegen ist die Liebe,
insofern sie bloß thierische Wollust ist, kein Gegenstand der Künste als
insofern diese dienen können, die schädlichen Folgen derselben in ihrer
ekelhaften Gestalt lebhaft vor Augen zu legen. Dazu können Maler, Dichter und
Schauspieler die höchste Kraft ihrer Talente sehr nützlich anwenden. Der
berühmte berlinische Zeichner, Herr Daniel Chodowiczki, hat in einer
Folge von zwölf Blättern, die zum Teil hierauf abzielen, ein Werk gemacht, das
ihm viel Ehre bringt. Wir hoffen, dass er es durch radierte Platten bald
öffentlich bekannt machen werde. Sie können mit Ehren ihren Rang neben den
bekannten Hogarthschen Blättern von ähnlichem Inhalt stehen.
Zunächst auf diese ganz
thierische Liebe folgt die zwar unschuldige, aber romanhafte und unglückliche
Liebe, die nach den Umständen der Personen und Zei ten auf keine gründliche
Vereinigung der Liebenden führen kann. Eine solche Liebe kann den ganzen Plan
des Lebens zerrütten und sehr unglücklich machen. Es ist daher höchst wichtig,
dass die Jugend davor gewarnet werde und dass die fatalen Folgen der
Unbesonnenheit, womit sie sich bisweilen einer solchen romanhaften Liebe
überlässt, auf das lebhafteste vor Augen gelegt werden. Aber es muss auf eine
Art geschehen, die wirklich abschreckend ist. In Romanen und in dramatischen
Stücken, wird gar oft der Fehler begangen, dass solche Liebesbegebenheiten zwar
unglücklich, aber doch so vorgestellt worden, dass die Jugend vielmehr dazu
gereizt als abgeschreckt wird. Denn selbst der unglücklichste Ausgang, wenn er
mehr Mitleiden als Furcht erweckt, tut hier der Absicht keine Genüge. Man hat
ja Beispiele, dass so gar die Hinrichtung öffentlicher Verbrecher, mit
Umständen begleitet gewesen, wodurch bei schwachen, enthusiastischen Menschen
eine Lust erweckt worden ist, auch so zu sterben. Darum muss von einer solchen
Leidenschaft mehr die Torheit, Unbesonnenheit und das Verwerfliche derselben
als das Mitleidenswürdige recht fühlbar gemacht werden. Hierzu sind mehre
Dichtungsarten geschickt. Die erzählende, sie sei ernsthaft oder komisch, die
dramatische und die satyrische Poesie schicken sich dazu und selbst die
lyrische schließt diesen Inhalt nicht aus. Wenn aber der Dich ter auf erwähnten
Zweck arbeiten will, so muss er große Vorsichtigkeit anwenden. Zum hohen
dramatischen können wir auch die unglücklichste Liebe nicht empfehlen; weil sie
doch immer in ihrem eigentlichen Wesen etwas kleines und phantastisches hat,
das den Charakter hoher Personen, dergleichen dieses Trauerspiel aufführen
soll, erniedriget.
So hat Corneille in
seinem Oedipus den Theseus, einen Helden, dem Athen Tempel gebaut hat, dadurch
ungemein erniedriget, dass er ihm diese wirklich schimpfliche Empfindung
zuschreibt:
Perisse
l' Univers pourvû que Dircé vive! Perisse le jour même avant qu'elle s'en
prive! Que m' importe & le salut de tous?
Ai-je
rien à sauver, rien à perdre que vous? Eine solche Liebe ist völlige
Raserei und erweckt Ärgernis. Die Alten haben gar wohl eingesehen, dass die
Liebe höchst selten als eine wahre tragische Leidenschaft könne behandelt
werden. Sollte es jemand einfallen, das Beispiel des Hippolytus vom
Euripides als eine Einwendung gegen diese Anmerkung anzuführen, so geben wir
ihm zu überlegen, dass die Art, wie der griechische Dichter diesen Stoff
behandelt hat, ihn allerdings tragisch macht. Die Liebe der Phädra war das Werk
einer rächenden Gottheit und sie herrschte in einem zarten, weiblichen Herzen,
das doch mit ausnehmender Bestrebung dagegen kämpfte, das selbst da, wo die
Macht einer Gottheit es niederdrückte, sich groß zeigte. Aber Männer, besonders
hohe Personen und Regenten der Völker, wie verliebte Jünglinge, einer
unglücklichen Liebe unterliegen zu lassen, ist in Wahrheit des hohen Cothurns
unwürdig und kann so gar ins Lächerliche fallen, wie man in vielen Stellen der
Trauerspiele des Corneille es empfindet. Wer fühlt nicht, um nur ein Beispiel
anzuführen, dass in der Rodogüne die Szene zwischen dem Seleücus und
Antiochus etwas abgeschmacktes habe, besonders die läppisch galanten Seufzer
des Seleücus:
–– Ah
destin trop contraire! –– –– –– ––
L'
amour, l' amour doit vaincre, & la triste amitié Ne doit être à tous deux
qu'un objet de pitié.
Un
grand cœur cede un trone, & le cede avec gloire;
Cet
effet de vertu couronne sa memoire: Mais lorsqu'un digne objet a sçu nous
enflamer, Qui le cede est un lache.
Dergleichen Gesinnungen schicken
sich für eine scherzhafte Behandlung der Liebe, da man romanhafte Empfindungen
lächerlich machen und den Verliebten als einen Geken schildern will.
Es ist also höchst selten, dass die
Liebe Äußerun gen zeigt, die sie zum Gegenstand des hohen tragischen mache. Wie
stark und groß die Wallungen des Blutes bei einem verliebten Jüngling auch sein
mögen, so wissen doch erfahrnere Kenner der Menschen, dass sie vorübergehend
sind und im Grund etwas bloß phantastisches zur Unterstützung haben.
Hingegen nimmt die durch
mancherlei Hindernisse in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht selten eine
wahre komische Gestalt an. Sie scheint von allen Leidenschaften diejenige zu
sein, die den Menschen am meisten hintergeht und ihn auf die vielfältigste Art
täuschet. Es kann seinen guten Nutzen haben, wenn Dichter die komischen
Wirkungen derselben in einem Lichte vorstellen, wodurch beide Geschlechter
gewarnet werden sich vor einer Leidenschaft zu hüten, bei der man große Gefahr
läuft, ins Lächerliche zu fallen. Dieses ist eigentlicher und guter Stoff für
die komische Schaubühne.
Eine edle mit wahrer
Zärtlichkeit verbundene Liebe, die nach einigen Hindernissen zulezt glücklich
wird, ist ein überaus angenehmer Stoff zu dramatischen, epischen und anderen
erzählenden Arten des Gedichts. Es ist schwerlich irgend ein Stoff auszufinden,
der so viel reizende Gemälde, so mancherlei entzückende Empfindungen, so liebliche
Schwermereien einer Wollust trunkenen Seele, darbietet als dieser. Außerdem
aber hat hierbei der Dichter Gelegen heit die mannigfaltigen schätzbaren und
angenehmen Wirkungen, die die Zärtlichkeit in gut gearteten Seelen
hervorbringt, auf eine reizende Weise zu entwickeln. Es ist gewiss, dass bei
jungen Gemütern von guter Anlage, eine recht zärtliche Liebe überaus
vorteilhafte Wirkungen hervorbringen und der ganzen Gemütsart eine höchst
vorteilhafte Wendung geben kann. Bei einem edlen und rechtschaffenen Jüngling
kann durch die Liebe das ganze Gemüt um einige Grade zu jedem Guten und Edlen
erhöhet werden und alle guten Eigenschaften und Gesinnungen können dadurch
einen Nachdruck bekommen, die keine andere Leidenschaft ihnen würde gegeben
haben.
Aber ausnehmende Sorgfalt hat
der Dichter hierbei nötig, dass er nicht seine jüngern Leser in gefährliche
Weichlichkeit und phantastische Schwermerei der Empfindungen verleite. Wehe dem
Jüngling und dem Mädchen, die kein höheres Glück kennen als das Glück zu lieben
und geliebt zu werden! Die schönesten und unschuldigsten Gemälde von der
Glückselig keit der Liebe können zu einem verderblichen Gift werden. Selbst die
unschuldigste Zärtlichkeit kann das Gemüt etwas erniedrigen, wenn nicht
durchaus neben der Liebe eine in ihrem Wesen größere und wichtigere Empfindung
darin liegt, die noch über die Liebe herrscht und das Gemüt, das sich sonst
bloß der feinern Wollust der lieblichsten Empfindungen über ließe, bei
wirkenden Kräften erhält. So hat Klopstock der höchsten Zärtlichkeit des
Lazarus und der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gänzliche
Beherrschung der Herzen zu benehmen gesucht: nur Schade, dass diese Empfindung,
die den Gemütern ihre Stärke erhalten sollte, selbst etwas schwärmerisches hat.
Durch eine gesetztere Gottesfurcht und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe
der Neachiden und der Siphaitinnen vor überwältigender Kraft geschützt.
Schwache Seelen werden durch Zärtlichkeit noch schwächer; aber die, in denen
eine wahre männliche Stärke liegt, können dadurch noch mehr Kraft bekommen.
Diese Betrachtungen muss der
Dichter nie aus den Augen setzen; sonst läuft er Gefahr durch lebhafte
Schilderungen der Liebe sehr schädlich zu werden. Es wäre hierüber noch
ungemein viel besonderes zu sagen; aber wir müssen bei der allgemeinen
Erinnerung die wir darüber gemacht haben, stehen bleiben und dem Dichter nur
überhaupt noch empfehlen, dass er immer darauf sehe die Zärtlichkeit mehr durch
mancherlei edle Wirkungen, die sie hervorbringt als durch die überfließende Empfindung
der vorhandenen und gehoften Glückselig keit, womit sie verbunden ist,
vorzustellen.
Quelle: http://www.textlog.de/2761.html