Bertolt Brecht - Galileo Galilei

 

Thema: Selbstaussagen Brechts



 

 

 

 

 

Im „Arbeitsjournal“ findet sich folgendes, für den „Galilei“ gedachtes „Vorwort“, das wichtige Interpretationen Brechts für sein Theaterstück eröffnet:

 

vorwort

Geehrtes Publikum der Breiten Straße

Wir laden Sie heut in die welt der kurven und maße

Zu entschleiern vor ihrem kennerblick

Die geburtsstunde der physik.

Sie sehen das leben des großen Galileo Galilei,

den kampf des fallgesetzes mit dem gratias dei,

der wissenschaft mit der obrigkeit

an der schwelle der Neuen Zeit.

Sie sehen die wissenschaft jung, geil und drall

Und Sie sehen ihren Sündenfall.

sie muss essen und ihr wird gewalt getan

und so kommt sie auf die schiefe bahn

und wird, die meisterin der natur

billige gesellschaftshur.

Noch ist das wahre nicht die ware

Doch hat es schon dies sonderbare

Dass es die vielen nicht erreicht

Und macht ihr leben schwer statt leicht.

Solches wissen ist aktuell

Die Neue Zeit läuft ab besonders schnell.

Wir hoffen, Sie leihen Ihr geneigtes ohr

Wenn nicht uns, so doch unserm thema, bevor

Infolge der nicht gelernten lektion

Auftritt die atombombe in person.“

 

Brecht nimmt hiermit direkt die Spannung aus dem Stück, der Zuschauer weiß, „worum es sich dreht“. Außerdem bringt er sein Stück mit der Atombombe in Verbindung, so wird der Betrachter direkt in die wissenschaftliche bzw. politische Richtung gelenkt, da ja ein episches Theater immer eine bestimmte Absicht hat. Bei einer historischen Begebenheit ist dies schwer, deshalb gibt Brecht den Weg vor.

 

Brecht beurteilt sein Werk und die Figur des Galilei so:

 

„Es wäre eine große Schwäche des Werkes, wenn die Physiker recht hätten, die mir – im Ton der Billigung – sagten, Galileis Widerruf seiner  Lehre sei trotz einiger „Schwankungen“ als vernünftig dargestellt mit der Begründung, dieser Widerruf habe ihm ermöglicht, seine wissenschaftlichen Arbeiten fortzuführen und der Nachwelt zu überliefern. In Wirklichkeit hat Galilei die Astronomie und die Physik bereichert, indem er diese Wissenschaften zugleich eines Großteils ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beraubte. Mit ihrer Diskreditierung der Bibel und der Kirche standen sie eine Zeitlang auf der Barrikade für allen Fortschritt. Es ist wahr, der Umschwung vollzog sich trotzdem in den folgenden Jahrhunderten, und sie waren daran beteiligt, aber es war eben ein Umschwung anstatt einer Revolution, der Skandal artete sozusagen in einen Disput aus, unter Fachleuten. Die Kirche und mit ihr die gesamte Reaktion konnte einen geordneten Rückzug vollziehen und ihre Macht mehr oder weniger behaupten.

[…] Galileis Verbrechen kann als „Erbsünde“ der modernen Naturwissenschaften betrachtet werden. Aus der neuen Astronomie, die eine neue Klasse, das Bürgertum, zutiefst interessierte, da sie den revolutionären sozialen Strömungen der Zeit Vorschub leistete, machte er eine scharf begrenzte Spezialwissenschaft, die sich freilich gerade durch ihre „Reinheit“, d.h. ihre Indifferenz zu der Produktionsweise, verhältnismäßig ungestört entwickeln konnte.

Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das klassische Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens. Der Held des Werkes ist so nicht Galilei, sondern das Volk.“

 

Hier schreibt Brecht selbst ein Kommentar, er äußert sich zu mehreren Punkten, geht aber vor allem auf die Sichtweise der Widerrufung Galileis ein und stellt erneut einen Bezug zum Atombombenabwurf auf Hiroshima her, behauptet sogar, dass dies das „Endprodukt“ Galileis ist, was meiner Meinung nach nur zum Teil stimmt, da immerhin auch noch Leute entscheiden mussten, ob sie in diesem Gebiet forschen oder nicht, unabhängig von den gegebenen Möglichkeiten. Der letzte Satz („Der Held des Werkes ist so nicht Galilei, sondern das Volk“) ist wichtig, bezieht sich noch einmal auf das Versagen in Bezug auf die Atombombe.

 

In einem Brief an Stefan S. Brecht charakterisiert Brecht seinen Galilei wie folgt:

 

„Eigentlich ist der G. einfach nur für die ungehinderte Ausübung seiner Wissenschaft (welche er als ein Glied in der ideologischen Kette vorfindet, die Bürgertum und Bauerntum niederhält, welches Glied er anzusägen hat). Er sägt recht vorsichtig. Zunächst, in Padua, schweigt er sich aus über den Kopernikus, dann findet er Beweise und beschließt, damit Karriere zu machen, geh nach Florenz, buckelt vor dem Fürsten, unterwirft die Beweise den päpstlichen Astronomen. Man erkennt sie an und verbietet ihm, aus den Beweisen Schlüsse zu ziehen. Beinahe ein Jahrzent lang fügt er sich und schweigt wieder. Dann verlässt er sich auf den liberalen Papst (nicht etwa auf das Volk oder das Bürgertum) und, von diesem im Stich gelassen, unterwirft er sich völlig und öffentlich. In der Gefangenschaft kollaboriert er schamlos (im Stück) und lässt sich sein Hauptwerk stehlen – unter heftigsten Bauchschmerzen. Ich glaube wirklich, das „Sympathische“ […] ist seine Vitalität.“

 

Brecht geht auf Galileis soziale Schwäche ein, der, obwohl er weiß, dass es ungerecht ist, die Wissenschaft so extrem vom niederen Bürgertum zu trennen (lateinische Sprache), nichts unternimmt, um diese Verhältnisse zu ändern. Brecht nennt hier die Punkte einer Liste des sozialen Versagens, da sich Galilei gleich mehrfach dem Fürst oder der Kirche unterwirft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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